RM Rudolf Müller
Das Light-Light-Roof könnte künftig in Gewächshäusern zum Einsatz kommen. Foto: Pixabay

Das Light-Light-Roof könnte künftig in Gewächshäusern zum Einsatz kommen. Foto: Pixabay

Bauelemente
12. April 2022 | Artikel teilen Artikel teilen

Was sind Glas-Folien-Dächer?

Herkömmliche Glasdächer wirken hell und leicht, sind tatsächlich aber oft ziemlich schwer, was sich nachteilig auf den Materialtransport, die Montage und die Gebäudestatik auswirken kann. Leichte Dachkonstruktionen, bei denen Glas durch Folie ersetzt wird, sind daher im Trend. Auch Fraunhofer-Forschende entwickeln neue Lösungen in diesem Bereich. Sie arbeiten aktuell an einer Innovation, die Glas und Folie sowie ein Spezialgewebe miteinander kombiniert.

Dächer aus Glas kennt man zum Beispiel von Bahnhöfen, Freizeitbädern und Einkaufspassagen. Die bisher üblichen Überkopfverglasungen bestehen allerdings meist aus schwerem Mehrscheiben-Isolierglas und begünstigen somit einen hohen Ressourcenverbrauch. Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT forscht daher gemeinsam mit dem Industriepartner Wolfgang Block Industrie- und Gartenbau an leichten Dächern aus Glas-Folie. Ein wichtiges Einsatzgebiet soll der Gewächshausbau werden.

Projekt Light-Light-Roof

Der erste Praxistest für das neuartige Glas-Folien-Dach soll 2023 im Dachgewächshaus Altmarktgarten beginnen. Foto: Fraunhofer UMSICHT

Der erste Praxistest für das neuartige Glas-Folien-Dach soll 2023 im Dachgewächshaus Altmarktgarten beginnen. Foto: Fraunhofer UMSICHT

Im Projekt „Light-Light-Roof“ entwickeln die Forschenden aktuell ein neuartiges Dach-Leichtbausystem, das Glas-Folie-Module mit einem Innendach aus lichtdurchlässigem Gewebe kombiniert. Die Glas-Folie-Elemente sind mit einer ETFE-Folie bespannt, die mit Einscheibensicherheitsglas kombiniert wird. Zwischen diesen beiden Materialien befindet sich eine Luftschicht.

Ob das neuartige Glas-Folien-Dach des Fraunhofer UMSICHT künftig mit einer Außenhülle aus ETFE und innenliegendem Sicherheitsglas ausgestattet wird oder ob man sich für die umgekehrte Reihenfolge entscheidet, ist aktuell noch Gegenstand der Forschung. Auch eine dreischichtige Konstruktion – zum Beispiel Folie/Glas/Folie – schließen die Forschenden gegenwärtig nicht aus.

Auf jeden Fall wird die Luftschicht zwischen Folie und Glas die Wärmedämmung der Dachmodule auf natürliche Weise erhöhen. Zudem soll sich das System mit der Ablufttechnik des Gebäudes verbinden lassen. Würde man zum Beispiel im Winter die Abluft zwischen Glasscheibe und Folie zirkulieren lassen, könnte dies auf eine energieeffiziente Weise zum Abtauen von Schnee- und Eislasten beitragen.

Das zusätzlich geplante Innendach des Light-Light-Roof wird aus einem speziellen Gewebe bestehen, das sichtbares Licht durchlässt, aber Infrarot-Licht (Wärmestrahlung) reflektiert. Das Gewebe fungiert als mechanisch verstellbarer Schirm, mit dem sich ein Wärmemanagement des Gebäudes steuern lässt. Wird das Gewebe ausgefahren, lässt sich die Wärmestrahlung von außen (Sonne) bei Bedarf abschirmen beziehungsweise umgekehrt Wärmeabstrahlung nach draußen eindämmen. Dieser Prozess soll bedarfsgerecht regelbar sein. Das Fraunhofer UMSICHT arbeitet dafür an einer passsenden Mess-, Steuer- und Regelungstechnik.

75 % weniger Gewicht

Auch die Luftkissenhülle des Münchner Fußballstadions ist mit ETFE-Folie bespannt. Foto: Pixabay

Auch die Luftkissenhülle des Münchner Fußballstadions ist mit ETFE-Folie bespannt. Foto: Pixabay

„Durch den Aufbau und die Materialkombination erzielt die Kombination aus Folie und Glas im Vergleich zu konventionellen Mehrscheiben-Glassystemen Gewichtsersparnisse von bis zu 75 % – bei gleichzeitig erhöhter Funktionalität“, sagt Dr. Holger Wack, stellvertretender Abteilungsleiter Produktentwicklung des Fraunhofer UMSICHT. „Daraus ergibt sich pro Quadratmeter Fläche für Light-Light-Roof eine CO2-Einsparung von 21.700 kg.“

Mit dem innovativen Glas-Folien-Dach könnten Architekten künftig tragende Gebäudeteile schlanker bauen, weil das Tragwerk weniger Lasten stemmen müsste – einerseits wegen des niedrigen Dachgewichts selbst, andererseits aber auch wegen geringerer Schneelasten. Darüber hinaus sei das Glas-Folien-Gewebe-System nicht nur für Dächer, sondern auch für die Errichtung von Gebäudefassaden interessant – so das Fraunhofer UMSICHT in einer Pressemitteilung.

Seinen ersten Praxistest muss das Light-Light-Roof ab 2023 im Altmarktgarten Oberhausen bestehen. Dabei handelt es sich um ein Gewächshaus, das 2019 auf dem Dach des Oberhausener Jobcenters eröffnet wurde, unter anderem um Möglichkeiten einer gebäudeintegrierten Landwirtschaft nach dem „inFARMING-Konzept“ des Fraunhofer UMSICHT zu erforschen. Auf einer Fläche von 160 m2 wird dort künftig das Glas-Folien-Dach unter realen Einsatzbedingungen im Ganzjahresbetrieb getestet.

Folienmaterial ETFE

Die Folienhülle der Light-Light-Roof-Module besteht aus ETFE. Die Abkürzung steht für Ethylen-Tetrafluorethylen-Copolymer. Dieser weichmacherfreie Kunststoff, den der amerikanische Chemiekonzern Dupont vor rund 50 Jahren entwickelt hat (Markenname: „Tefzel“), vereint Eigenschaften von Teflon (PTFE) und Polyethylen (PE).

Obwohl ursprünglich nicht dafür entwickelt, etablierte sich das lichtdurchlässige Material relativ bald als neuartiger Leichtbauwerkstoff – vor allem im Dach- und Fassadenbereich. Eine der berühmtesten Anwendungen ist die Dach- und Fassadenhülle der Münchner Allianz-Arena, die aus rund 2.500 luftkissenartigen Hohl-Elementen besteht. Deren Außenschicht besteht aus 0,2 mm dicker ETFE-Folie.

ETFE ist aufgrund seiner Teflon-artigen Antihafteigenschaften selbstreinigend und zeigt für einen Kunststoff relativ gute Brandeigenschaften. Das Material ist schwer entflammbar nach DIN 4102 (Baustoffklasse B1). Bei Kontakt mit Flammen findet kein brennendes Abtropfen statt, die Flamme erlischt innerhalb von zehn Sekunden, ein mögliches Nachglimmen dauert maximal 30 Sekunden. Das UV- und witterungsstabile Material lässt zudem bis zu 95 % des sichtbaren Lichts durch.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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