RM Rudolf Müller
Der deutsche Bestandswohnungsbau ist für künftige Hitzewellen meist schlecht gerüstet.  Foto: Pixabay

Der deutsche Bestandswohnungsbau ist für künftige Hitzewellen meist schlecht gerüstet.  Foto: Pixabay

Bauelemente
15. September 2021 | Artikel teilen Artikel teilen

Sonnenschutztechnik und Klimawandel

Mit effizienter Sonnenschutztechnik für verglaste Gebäudebereiche lassen sich Kühlkosten im Sommer minimieren und das Raumklima optimieren. Wird dieses Potenzial bereits ausreichend genutzt? Nein, meinen die Sonnenschutzverbände – vor allem nicht im Wohnbaubestand. Mit der neuen Broschüre „Sommertauglichkeit im Wohnbau“ stellen sie Rollläden, Jalousien & Co. in den Kontext der aktuellen Energie- und Klimapolitik.

Die 28-seitige Publikation entstand in Kooperation der Sonnenschutzverbände IVRSA (Deutschland), BVST (Österreich) und VSR (Schweiz) und steht hier als kostenloses PDF zum Download bereit. Die inhaltliche Federführung übernahm der Experte Ing. Johann Gerstmann, der zugleich Sprecher des österreichischen BVST ist. Die Veröffentlichung behandelt die Potenziale der Sonnenschutztechnik in Deutschland, Österreich und der Schweiz (D-A-CH-Region). Dabei legt sie einen besonderen Fokus auf Wohnbauten in Zeiten des Klimawandels.

Sommerlicher Wärmeschutz

Die 28-seitige Broschüre steht als kostenloses PDF zum Download bereit.

Die 28-seitige Broschüre steht als kostenloses PDF zum Download bereit.

„Während Gebäude immer weniger Energie fürs Heizen benötigen, steigt das Risiko der sommerlichen Überwärmung“, erläutert Wilhelm Hachtel, Vorsitzender der deutschen Industrievereinigung Rollladen-Sonnenschutz-Automation (IVRSA). Das gelte vor allem für städtische Bestandswohnbauten, die noch für ein kühleres Klima geplant wurden und bisher kaum mit wirksamem Sonnenschutz ausgerüstet seien. Wilhelm Hachtel: „Um dies in den Griff zu bekommen, gilt es – wie bei der Reduktion der Heizwärme – zuerst alle passiven Maßnahmen auszuschöpfen, bevor Klimageräte installiert werden.“

Gedämmte Fassaden bieten zwar eigentlich einen guten sommerlichen Wärmeschutz, doch dieser ist eben mehr oder weniger „löchrig“ – je nachdem, wie viele Fenster das Haus hat. Große verglaste Bauelemente ermöglichen einen hohen solaren Wärmeeintrag. Im Winter ist das ein Segen, im Sommer aber zunehmend ein Problem. Sonnenschutzsysteme sind eine einfach zu installierende Lösung, um die „Löcher“ zu stopfen und eine starke Gebäude-Überhitzung zu vermeiden.

Nach Ansicht der IVRSA sind insbesondere außen liegende Beschattungsprodukte wie Rollladen, Außenjalousien, Schiebeläden oder Fassadenmarkisen gut geeignet, um auf die veränderten klimatischen Gegebenheiten zu reagieren. Im Wohnneubau sind sie mittlerweile auch in der D-A-CH-Region zunehmend Standard. Im Altbau dagegen fehlt diese Form der „passiven Kühlung“ noch meist.

Mit vor der Verglasung angebrachtem Sonnenschutz lässt sich laut IVRSA der Energieeintrag ins Gebäude um bis zu 95 % reduzieren. Zum Vergleich: Bei innen liegenden Produkten zum temporären Beschatten – etwa Rollos, Faltstores oder Innenjalousien – wird der solare Wärmeeintrag nur etwa um 20 % reduziert, weil die Sonnenstrahlen hier ohne Hindernisse auf die Fensterscheibe treffen und diese aufheizen.

Weniger Energie – mehr Komfort

Die Grafik zeigt den Tagestemperaturverlauf (19.08.2018) im Schlafzimmer eines Einfamilienhauses von 1978 – mit und ohne Sonnenschutztechnik.

Die Grafik zeigt den Tagestemperaturverlauf (19.08.2018) im Schlafzimmer eines Einfamilienhauses von 1978 – mit und ohne Sonnenschutztechnik.

Mit außen liegenden Sonnenschutzsystemen lässt sich der Energie- und Lichteintrag ins Gebäude individuell und bedarfsgerecht steuern. Das hilft zum Beispiel den Energiebedarf von Klimaanlagen im Sommer zu senken. Positiver Nebeneffekt: Wenn die Kühltechnik weniger stark aufgedreht werden muss, verringert sich auch die zusätzliche Aufheizung von Außenluft durch die Abwärme dieser Geräte!

Klimaanlagen laufen in Mitteleuropa bisher meist nur in Büro- und Gewerbebauten. Laut der Broschüre „Sommertauglichkeit im Wohnbau“ kann man die Kühlleistung der Geräte um 50 bis 80 % reduzieren, wenn eine passive Kühlung durch außen liegende Sonnenschutzsysteme erfolgt. In Wohnbereichen sind Klimaanlagen in unseren Breitengraden dagegen noch selten – anderes als im traditionell heißeren Südeuropa. Durch den Klimawandel drohen nun aber auch bei uns häufiger Hitzewellen wie im Süden. Ganz am Anfang der Broschüre „Sommertauglichkeit im Wohnbau“ steht daher die Befürchtung, dass künftig auch Deutsche, Österreicher und Schweizer vermehrt Klimageräte für ihr Zuhause anschaffen. Das würde die Ziele der aktuellen Klima- und Energiepolitik konterkarieren.

Broschüren-Autor Johann Gerstmann weiß aber auch: „Niemand baut ein Haus oder saniert seine Wohnung primär aufgrund der Energie- oder Umweltpolitik, vielmehr sind der Innenraumkomfort und das Wohlbefinden mit all seinen Aspekten ausschlaggebend.“ Gute Luft, gutes Licht und eine angenehme Raumtemperatur seien die wesentlichen Komfortfaktoren, und mindestens zwei davon lassen sich auch mit der „passiven Kühlung“ durch Sonnenschutztechnik erreichen – argumentieren die Sonnenschutzverbände.

Die Broschüre macht auch klar, dass gerade bei modernen Energiesparhäusern effektive Beschattungssysteme wichtig sind, um das Hauptziel dieser Häuser nicht zu gefährden. Passivhäuser etwa werden zum Süden hin oft mit großen Fensterverglasungen realisiert, um im Winter viel passive Wärme durch Sonneneinstrahlung zu gewinnen und damit den Heizbedarf zu senken. Im Sommer dagegen kann es hier schnell zur Überhitzung kommen, wenn geeignete Sonnenschutztechnik fehlt. „Die Einsparung von Heizenergie darf nicht dazu führen, dass der Kühlbedarf steigt“, bringt es die Broschüre auf den Punkt.

Verbesserte Förderbedingungen

Die Broschüre warnt aber nicht nur vor zunehmender Wohngebäude-Überhitzung durch Überhitzung, sondern macht auch Hoffnung. Im Großteil der D-A-CH-Länder sei es trotz der steigenden Temperaturen weiterhin möglich, Wohngebäude ohne Klimaanlagen sommertauglich zu planen. Notwendig sei eine Kombination aus variabler Beschattung und Nachtlüftung. Damit könne man auch in Hitzeperioden komfortable Raumtemperaturen gewährleisten.

Die Broschüre sieht aber auch Grenzen dieses Prinzips: Auf „innerstädtischen Hitzeinseln mit entsprechendem Mikroklima“ reicht Beschatten allein nämlich oft nicht mehr aus. Dann sind weitere Maßnahmen wie zum Beispiel Gebäudebegrünungen notwendig, um das lokale Mikroklima zu verbessern.

In einer Pressemitteilung hat die deutsche IVRSA kürzlich darauf hingewiesen, dass es für Sonnenschutzsysteme seit Einführung der neuen Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) bessere Förderbedingungen gibt. Alle Sonnenschutzprodukte seien nun förderfähig und alle Gewerke ausführungs- und bestätigungsberechtigt. Für Einzelmaßnahmen bei Wohngebäuden gibt es bereits seit dem 1. Januar 2021 finanzielle Zuschüsse. Seit 1. Juli ist zudem die Inanspruchnahme zinsgünstiger Kredite möglich. Alle wichtigen Infos zur aktuellen Förderung hat die IVRSA in diesem Förder-Flyer zusammengestellt.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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