Klasse statt Masse
Vergangenheit und Gegenwart des Baustoffs Lehm – Teil 2
Moderner Stampflehmbau dient nicht mehr als Masse-Baustoff, der auf kurzem Transportweg verbaut werden kann. Schon die personalintensive Verarbeitung macht es der Lehmbauweise unmöglich, dem Betonbau ernsthaft Konkurrenz zu machen. Stattdessen wird der Baustoff heute in der Regel als architektonisches Element zur Akzentuierung und zur besonderen Klimatisierung des Raumes genutzt. Denn Lehm hat eine enorme Kapazität als Wärmespeicher – wirkt kühlend im Sommer sowie wärmend im Winter – und ist auch hervorragend zur Regulierung der Raumluftfeuchte geeignet. Stampflehm im heutigen Bauen stellt dessen archaische Schönheit, Reinheit und die Speicherfähigkeit in den Vordergrund. Die hier vorgestellten Beispiele modernen Stampflehmbaus haben alle gemeinsam, dass sie den Raum akzentuieren. Wahre Puristen unter den Architekten setzen die Lehmwand gleichzeitig als tragendes und gestalterisches Element ein (was auch bei einer mehrgeschossigen Bauweise problemlos möglich ist). Andere Architekten und vor allem
<auch das verarbeitende Handwerk nutzen die Vorzüge des Stampflehms in Form von Vorsatzschalen als Möglichkeit, negative Auswirkungen auf das Raumklima (bedingt etwa durch moderne Leichtbauweisen) zu kompensieren. Ein interessantes Beispiel für die moderne Verwendung von Stampflehm findet man z.B. unweit von Berlin. Dort wurde Stampflehm des Herstellers Claytec für den Neubau eines Wohnhauses verwendet, das eine bestehende, landwirtschaftliche Hofanlage ergänzt. Das Erdgeschoss wird aus tragenden Stampflehmwänden auf einer Gründung aus Stahlbeton gebildet.
Material zum Wohlfühlen
Dem Menschen war der Baustoff Lehm stets nah und vertraut. Die Evolution vom Einzeller bis zum heutigen Homo Sapiens geschah in Tuchfühlung mit Lehm. Wohl auch deshalb ruft der Baustoff auch heute noch Wohlbefinden bei uns hervor. Es sei nur am Rande erwähnt: Lehm ist nicht nur ein Baustoff für die Wände – er ist auch einer für die Hände. Es ist ein Material, das (abgesehen von der mechanischen Belastung durch Sand und Kies) die Haut eher heilt als auslaugt. Es ist kein Zufall, dass Lehm sogar in pflegenden Naturheilmitteln und Kosmetika Verwendung findet.Der Rohstoff Lehm wird unmittelbar zu monolithischen Wand-Elementen von natürlicher Farbigkeit verarbeitet, deren „Kraft“ durch die Präsenz der Masse entsteht. Es
handelt sich um ein wahrlich stattliches Gewicht (Rohdichte) von 2,3 t/m2. Es entstehen skulpturale Wände, die für sich wirken oder eine interessante architektonische Spannung als Kontrasterlebnis zu leichten und transparenten Konstruktionen im Raum aufbauen.Moderner Stampflehmbau ist aber auch aus anderen Gründen eine Herausforderung für Bauherren und Verarbeiter, weil beide zunächst das tatsächliche Ergebnis der Arbeit nicht sehen. Die Schalung kann erst nach Fertigstellung entfernt werden, und die Qualität der Verarbeitung verzeiht keine Nachlässigkeit. Die sichtbaren Oberflächen können schwer korrigiert werden, kein vertuschender Putz macht den schlechten Tag des Handwerkers ungeschehen. So tolerant das Material Lehm während der Verarbeitung auch ist (Standzeiten beispielsweise sind großzügig beeinflussbar) – wer eine stolze Wand in den Raum stellen will, der braucht Erfahrung und Akkuratesse, erhält dafür im Gegenzug jedoch absolute Einzigartigkeit. Die natürlichen Farben der Erde reichen von Schwarz bis zu dem am weitesten verbreiteten erdigen Braun. Im Sichtlehmbau werden diese Möglichkeiten genutzt, um Struktur und Muster zu stampfen, mit dunklen, hellen, farbigen oder erdig braunen Schichten.
Bauen mit Stampflehm
Der Stampflehm des Herstellers Claytec wird in einer Standard-Variante „natur“ und in vier aus farbigen Tonen und Zuschlägen sorgfältig abgemischten Farb-Varianten angeboten. Letztere sind für komplette Bauteile ebenso geeignet wie für gestalterische Akzente, z.B. farbige, horizontal verlaufende Schichtstreifen. Ein Big-Bag Stampflehm zu 1,35 t ergibt 0,6 m3 fertige Wand (Rohdichte ca. 2200 kg). Tragende Wände werden nach den Lehmbau-Regeln des Dachverbandes Lehm e.V. geplant und bemessen. Die Kenntnis und Beachtung aller dort
festgelegten Maßgaben ist unabdingbar. Die Planung und Ausführung von Stampflehmbauten setzt ein hohes Maß an Wissen und Können voraus. Die Stampflehmarbeiten müssen von einer theoretisch und praktisch erfahrenen Fachkraft geleitet werden.Wände werden allgemein mindestens 20 cm, tragende Wände mindestens 24 cm stark ausgeführt. Mit der Aufnahme der Lehmbau-Regeln in die Musterliste der „Technischen Regeln des Instituts für Bautechnik Berlin“ ist das tragende Bauen mit Lehmbaustoffen bauaufsichtlich geklärt und unproblematisch geworden.
Ausgangssituation und Vorbereitung
Eine Stampflehmwand benötigt immer einen Sockel aus massivem, wasserfestem Material. Bei Außenwänden muss dieser Sockel zum Schutz vor Spritzwasser ausreichend hoch ausgebildet werden. Vor kapillar aufsteigender Feuchtigkeit muss der Stampflehm, z.B. durch eine bituminierte Pappe, geschützt werden.Für den Stampflehmbau sind handelsübliche Schalungssysteme, auch Gleitschalungen, geeignet. Sie müssen auf 60 kN/m2 ausgelegt sein.Gestampft wird meist maschinell mit pneumatischen oder elektrischen Stampfern. Bei Wandstärken von mehr als 50 cm kann die Verdichtung sehr gut mit Vibrations-Schaffußwalzen erreicht werden. Natürlich ist auch das manuelle Stampfen möglich. Bei Sichtbauteilen ist zu bedenken, dass jeder Arbeitsschritt (Schalen, Einfüllen, Verdichten) an der späteren Oberfläche ablesbar sein wird und entsprechend sorgfältig und weitsichtig ausgeführt werden muss.Ausführliche Informationen finden sich in einem Arbeitsblatt auf der Seite www.claytec.com im Menüpunkt „Konstruktionen und Produkte“ als PDF-Datei zum Download.
Quelle: baustofftechnik 9/2007