RM Rudolf Müller
Der Kaltziegel ist ein druckfester Vollziegel aus recyceltem Ziegelmaterial.  Alle Fotos: Leipfinger-Bader

Der Kaltziegel ist ein druckfester Vollziegel aus recyceltem Ziegelmaterial.  Alle Fotos: Leipfinger-Bader

Boden und Wand
09. Mai 2023 | Artikel teilen Artikel teilen

Was ist der Kaltziegel?

Unter dem Projektnamen „Kaltziegel“ hat Leipfinger-Bader eine neue Generation von Mauerziegeln für tragende Innenwände entwickelt. Der druckfeste Vollziegel soll größtenteils aus Recycling-Rohstoffen bestehen, und die Herstellung ganz ohne energieintensiven Brennvorgang erfolgen. Zu kaufen gibt es die nachhaltige Innovation aber noch nicht. Die Serienfertigung ist geplant, verzögert sich aber bisher.

In der Baustoffbranche wird die Notwendigkeit einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zwar zunehmend akzeptiert, doch die Umsetzung steckt noch in den Kinderschuhen. Zwar werden in Deutschland rund 90 % aller mineralischen Bauabfälle wiederverwendet, doch meist findet ein Downcycling statt.

Meist kommt das Abbruchmaterial nur als Schüttgut beziehungsweise Verfüllungsmaterial im Straßen- und Erdbau zum Einsatz. Dass aus Altbaustoffen neue Baustoffe entstehen, ist dagegen bisher die Ausnahme. Statt aus recycelten Sekundärrohstoffen bestehen fabrikneue Baustoffe bisher meist aus Primärrohstoffen. Statt Kreislaufwirtschaft dominiert also weiterhin der Raubbau an der Natur.

Innovative Recycling-Anlage

In der Recyclinganlage wird der Ziegelbruch in unterschiedliche Körnungsgrade zerkleinert.

In der Recyclinganlage wird der Ziegelbruch in unterschiedliche Körnungsgrade zerkleinert.

Der Mauerziegelhersteller Leipfinger-Bader mit Hauptsitz im bayerischen Vatersdorf gehört in der Branche schon seit Längerem zu den Vorreitern in Sachen Nachhaltigkeit. Die Energie für die eigene Produktion kommt mittlerweile zu 80 % Prozent aus regenerativen Quellen. Und auch in Sachen echter Kreislaufwirtschaft hat sich das Unternehmen zumindest bereits auf den Weg gemacht.

Im Jahr 2020 wurde am Firmenstandort Puttenhausen eine eigene Recycling-Anlage in Betrieb genommen, die Ziegel-Bruch von Neubauten, Reste von Mauerwerkziegeln und Ziegelmaterial aus Abbrüchen zur Wiederverwendung aufbereiten kann. Nun handelt es sich bei vielen Mauersteinen aus der Produktion von Leipfinger-Bader um gefüllte Ziegel, in deren Lochkammern sich ein Mineralgranulat aus Basaltgestein (Produkt „CorIso“) oder Holzfasern („Silvacor“) befindet. Deshalb war es wichtig, dass die Recycling-Anlage in Puttenhausen in der Lage ist, das Ziegelmaterial sauber von den darin enthaltenen Dämmstoffen zu trennen.

Leipfinger-Bader löste das Problem mithilfe eines in die Recycling-Anlage integrierten Windkanals. Das zur Aufbereitung vorgesehene Ziegelsteinmaterial wird mitsamt Dämmstoffen vorgebrochen und in den Kanal befördert. Dort werden die leichteren Dämmstoffpartikel nach oben abgesaugt, während die schweren Ziegelbestandteile nach unten fallen. Den Ziegelbruch zerkleinert man anschließend weiter. Je nach späterem Verwendungszweck sind unterschiedliche Korngrößen möglich.

Primärrohstoffe und Brennstoffe eingespart

Das sortenreine, zerkleinerte Ziegelmaterial kann man natürlich im Straßen- und Wegebau oder auch für Dachbegrünungen verwenden, was bisher auch geschieht. Dabei handelt es sich dann aber wieder um klassisches Downcycling, und dafür hat Leipfinger-Bader eigentlich nicht in die eigene Recycling-Anlage investiert. Ziel ist vielmehr die Herstellung von neuen Ziegelsteinen aus Recyclingmaterial. Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Hersteller den so genannten Kaltziegel entwickelt.

Diese Neuentwicklung ist in Sachen Nachhaltigkeit gleich auf zweierlei Weise bemerkenswert: Zum einen plant Leipfinger-Bader für die Herstellung größtenteils recyceltes Ziegelmaterial einzusetzen, zum anderen wird der Mauerwerkstein auf eine sehr energiesparende Weise produziert, denn das Produkt wird nach der Formgebung einfach nur luftgetrocknet. Bei der herkömmlichen Ziegelherstellung dagegen wird die geformte Rohstoffmasse unter hohen Temperaturen gebrannt. Dieser Brennvorgang entfällt beim Kaltziegel. Daher der Name. Seine Herstellung hilft also nicht nur mineralische Primärrohstoffe, sondern auch Brennstoffe einzusparen.

Der Kaltziegel erfordert zerkleinertes Ziegelmaterial mit besonders feiner Körnung, wie sie etwa als Abfallprodukt beim Schleifen von Planziegeln anfällt. Man kann gewissermaßen von „Ziegelsand“ sprechen. Die neue Recycling-Anlage in Puttenhausen kann solch feinkörniges Material aber auch aus recyceltem Ziegelbruch herstellen. Zusammen mit einer mineralischen Bindemittel-Mischung werden die Ziegelkörner in einem Pressverfahren verfestigt und bei herkömmlichen Umgebungstemperaturen an der Luft getrocknet.

Druckfester Vollstein für Innenwände

Die Steine eignen sich für tragende Innenwände.

Die Steine eignen sich für tragende Innenwände.

Aber kann man einen tonhaltigen Baustoff, der nicht gebrannt wurde, denn überhaupt als Ziegel bezeichnen? In diesem Fall kann man das, denn der Kaltziegel besteht ja aus zerkleinertem Ziegelmaterial, das vor seinem „ersten Leben“ als Baustoff natürlich doch schon mal gebrannt wurde.

Genau genommen müsste man also sagen, dass der Kaltziegel aus gebranntem Ziegelmaterial besteht, das bei seiner Herstellung nicht erneut gebrannt wird. Durch die feine Ziegelsandkörnung sowie den Pressvorgang samt Bindemittelzugabe entsteht ein Vollziegel mit besonders hoher Rohdichte und entsprechend guten Schallschutzeigenschaften, der sich im Dünnbettverfahren verarbeiten lässt.

Anders als porosierte Ziegel eignet sich der Kaltziegel natürlich nicht für hochwärmedämmendes Mauerwerk, wie man es heutzutage für die Gebäudehülle verwendet. Dafür wurde der sehr druckfeste Vollstein aber auch nicht geschaffen. „Ziel unserer Forschung war es, einen Mauerziegel mit hoher Rohdichte und Druckfestigkeit zu entwickeln, der die Anforderungen tragender Innenwände erfüllt – das ist uns gelungen“, erklärt Firmenchef Thomas Bader.

Hoffnung auf staatliche Förderung

Der feine Ziegelsand wird zusammen mit Bindemitteln kalt zusammengepresst.

Der feine Ziegelsand wird zusammen mit Bindemitteln kalt zusammengepresst.

Leipfinger-Bader hatte die Forschung an dem neuen Ziegeltyp 2016 zusammen mit dem Osnabrücker Mörtel- und Putzspezialisten Sievert Baustoffe als Kooperationspartner begonnen. Von Anfang an waren auch die Forscher von „rent a scientist“ aus Regensburg beteiligt. Sie erarbeiteten die theoretischen Grundlagen, führten praktische Versuchsreihen durch und übernahmen zu großen Teilen die Projekt-Organisation. Ende 2020 wurde der neuartige Ziegel dann erstmals der Fachwelt vorgestellt.

Seitdem aber liegt das Projekt Kaltziegel gewissermaßen auf Eis. Kaufen kann man die nachhaltig hergestellten Vollziegel jedenfalls noch nicht. Zum einen steht die bauaufsichtliche Zulassung bislang noch aus. Zum anderen wurde der luftgetrocknete Vollziegel zwar im Labormaßstab bereits erfolgreich hergestellt. Für eine industrielle Herstellung müsste Leipfinger-Bader aber noch viel Geld investieren. „Wir stehen am Beginn einer völlig neuen Generation von Mauerziegeln“ sagt Thomas Bader. „Um eine eigene Produktionslinie zu schaffen, muss jedoch auch ein völlig neuer Betriebszweig entstehen.“

Neben den Fertigungsanlagen selbst muss in neue Hallenflächen zur Trocknung der Ziegel investiert werden, außerdem fehlen bislang auch noch Lagerflächen für die recycelten Sekundärrohstoffe. Zusätzlich ist der logistische Aufwand relativ hoch, da es große Mengen an Ziegelbruch zu bewegen gilt – eben dann, wenn zu recycelndes Material von den Baustellen zurück ins Werk befördert werden muss. Darüber hinaus bedarf es einer anspruchsvollen Qualitätskontrolle, denn nur hochwertiger Ziegelsand darf ins Endprodukt geraten.

Um die hohen Anfangskosten nicht ganz allein tragen zu müssen, hofft Thomas Bader seit rund zwei Jahren auf staatliche Investitionsförderung. Ohne die sei die Herausforderung kaum zu stemmen. Deshalb hat sich die geplante Serienfertigung bislang verzögert. Ob der Hersteller für das Vorhaben Finanztöpfe des Bundeslandes Bayern, des Bundes oder der EU anzapfen kann, war zum Redaktionsschluss dieses Beitrags weiterhin ungeklärt.


 

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