RM Rudolf Müller
Wetterstabil: Silikatfarben ermöglichen langlebige Fassaden.  Foto: Keimfarben

Wetterstabil: Silikatfarben ermöglichen langlebige Fassaden.  Foto: Keimfarben

Boden und Wand
25. Mai 2022 | Artikel teilen Artikel teilen

Was ist Silikatfarbe?

Silikatfarben sind mineralische Anstriche, die gelöstes Kaliwasserglas als Bindemittel enthalten. Aufgrund ihrer außerordentlichen Langlebigkeit und Witterungsbeständigkeit kommen pure Silikatfarben vor allem an Fassaden zum Einsatz. Es gibt aber auch Produkte für den Innenbereich. Die reinen Mineralfarben eignen sich allerdings nur für verkieselungsfähige Untergründe.

Silikatfarben wurden bereits vor knapp 145 Jahren entwickelt. Der Handwerker und Forscher Adolf Wilhelm Keim ließ sich 1878 die erste Wasserglas-Farbe patentieren. Mit dem Unternehmen Industriewerke Lohmann AG aus Diedorf bei Augsburg fand er Ende des 19. Jahrhunderts schließlich einen langfristigen Partner für die industrielle Herstellung dieser Innovation. Das Nachfolgeunternehmen Keimfarben existiert bis heute und fertigt nach wie vor Silikatfarben.

Ein wichtiger Förderer der Entwicklung von Silikatfarben war übrigens der bayerische König Ludwig I., der sich kunstvoll bemalte Fassaden nach italienischem Vorbild auch in seinem Königreich wünschte. Die Kalkfarben der damaligen Zeit wiesen nämlich aufgrund des rauen Klimas nördlich der Alpen meist schon nach wenigen Jahren Schäden auf. Der König regte deshalb die Neuentwicklung wetterstabiler Farben an. Mit dem Einsatz des Bindemittels Wasserglas gelang Adolf Wilhelm Keim ein Durchbruch auf diesem Gebiet.

2K- und 1K-Produkte

Langlebig: Originalanstrich mit Silikatfarbe aus dem Jahr 1892. Foto: Keimfarben

Langlebig: Originalanstrich mit Silikatfarbe aus dem Jahr 1892. Foto: Keimfarben

Das farblose Bindemittel Wasserglas lässt sich aus Quarzsand und Kaliumkarbonat (Pottasche) herstellen. Es besteht im Wesentlichen aus Kaliumsilikaten – daher der Name Silikatfarbe. Als Lösungsmittel kommt Wasser zum Einsatz.

Reine Silikatfarben werden nicht gebrauchsfertig angeboten, sondern sind zweikomponentige Baustoffe (2K). Für die Anwendung muss man also im Grunde zwei Produkte kaufen: Das in Wasser gelöste Bindemittel wird üblicherweise in Metallgebinden geliefert, die Farbpigmente und sonstigen Füllstoffe sind dagegen pulverförmig als fertig gemischte Sackware erhältlich.

Pure Silikatfarben enthalten keine Kunstharze. Es handelt sich um komplett anorganische, durch und durch mineralische Produkte. Der Verzicht auf Kunststoff-Bindemittel, die man energieintensiv aus Rohöl herstellen muss, macht die Wasserglas-Produkte zu einer besonders nachhaltigen und nicht zuletzt auch wohngesunden Farbvariante.

Die uneingeschränkte Empfehlung in Sachen Wohngesundheit gilt allerdings nur für die rein mineralische Silikatfarben, nicht für die seit den 1960er-Jahren ebenfalls erhältlichen Dispersions-Silikatfarben. Dabei handelt es sich um 1K-Produkte, die zudem bis zu 5 % organische Kunstharze enthalten dürfen. Beides erleichtert die Verarbeitung. Das Anrühren entfällt. Die gebrauchsfertigen Farben lassen sich zudem leichter streichen sowie einfacher wieder entfernen. Ansonsten haben diese Farben aber durchaus ähnliche Eigenschaften wie die klassischen 2K-Silikatfarben.

Aufgrund der Kunstharzanteile kommt es bei den 1K-Alternativen allerdings zur Ausdünstung von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) – wenn auch nur in geringem Ausmaß. Die Website WECOBIS („Informationsportal zu Umwelt- und Gesundheitsaspekten bei der Baustoffwahl“) zieht folgendes Fazit: „2K-Silikatfarben gehören zu den aus ökologischer Sicht vorteilhaftesten Produkten. In der Praxis weisen 1K-Silikatfarben beziehungsweise Dispersions-Silikatfarben jedoch ein deutlich besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis auf, obwohl sie etwas umweltbelastender sind.

Langlebig durch Verkieselung

Auch für den Innenbereich: Manche Silikatfarben lassen sich sogar auf Gipsplatten oder Raufasertapeten verarbeiten. Foto: Knauf

Auch für den Innenbereich: Manche Silikatfarben lassen sich sogar auf Gipsplatten oder Raufasertapeten verarbeiten. Foto: Knauf

Im Unterschied zu Dispersionsfarben mit organischen Bindemitteln, die nur durch „Verklebung“ auf dem Untergrund haften, reagieren Silikatfarben chemisch mit dem Untergrund – sofern es sich dabei um einen mineralischen Untergrund handelt. Die Kaliumsilikate des Wasserglases reagieren mit kalkhaltigen Untergründen unter Einbeziehung der Luftkohlensäure zu sehr beständigen Silikathydraten. Diese Reaktion bezeichnet man als Verkieselung. Das Ergebnis ist eine unlösbare Verbindung der Mineralfarbe mit dem Anstrichträger. Dispersionsfarben bilden dagegen nur einen Film auf dem Untergrund und können daher leichter wieder abblättern.

Weil Silikatfarbe verkieselt, ermöglicht sie einen Anstrich von besonders hoher Langlebigkeit. Es entsteht eine sehr feste, lichtechte, UV-beständige und wetterbeständige Schicht. Die Farben bleichen kaum aus und sind nur schwer auszuwaschen. Nach Angaben des Herstellers Keimfarben ermöglicht ein Anstrich mit Silikatfarbe leuchtende Farbtöne von dauerhafter Tiefe und hoher Brillanz. Die Farben seien zudem antistatisch und zögen daher keine Schmutzpartikel aus der Umgebungsluft an.

Ähnlich wie Kalkfarbe oder Lehmfarbe ist Silikatfarbe schadstofffrei und diffusionsoffen, also wasserdampfdurchlässig. Feuchtigkeit kann eindringen, wird aber auch schnell wieder abgegeben. Die Mineralfarbe ist unempfindlich gegenüber Schimmelpilzbefall und trocknet sehr schnell. An ihrer Oberfläche bildet sich daher kein anhaltender Feuchtigkeitsfilm, was Algen- und Pilzbefall unwahrscheinlich macht.

Die Schimmelresistenz ist übrigens eine natürliche Eigenschaft von Silikatfarbe. Eine Beimischung von Fungiziden ist eigentlich nicht notwendig. Nach Angaben von WECOBIS sind gleichwohl nicht alle Marktprodukte tatsächlich biozidfrei. Wer auf Nummer Sicher gehen möchte, sollte daher vor dem Kauf einen Blick in die jeweiligen Produktdatenblätter werfen.

Einsatzbereiche und Untergründe

Innovation: Diese Silikatfarbe ist sogar auf Holz einsetzbar. Foto: Keimfarben

Innovation: Diese Silikatfarbe ist sogar auf Holz einsetzbar. Foto: Keimfarben

Grundsätzlich sind Silikatfarben sowohl im Außen- als auch im Innenbereich einsetzbar – wobei ihre Robustheit insbesondere im Fassadenbereich zum Tragen kommt. Einsatzgrenzen betreffen vor allem den Untergrund. Sowohl die klassischen 2K-Produkte als auch die zu Beginn der 1960er-Jahre eingeführten einkomponentigen Dispersions-Silikatfarben sind nur auf offenporigen, saugfähigen Untergründen verwendbar – also zum Beispiel auf Beton, Kalksandstein oder anderen Mauerwerksteinen.

Der Einsatz dieser Produkte ist also auf verkieselungsfähige, mineralische Untergründe beschränkt. Das begrenzt insbesondere die Anwendung im Innenbereich. Ein Überstreichen von Tapeten ist nicht möglich. Auch Holz und Metall scheiden als Untergründe aus – innen wie außen. Auch mit Gipskartonplatten und Gipsputz harmonisieren diese Silikatfarben nicht. Die Verarbeitung auf allen anderen Mineralputzen (außer Gipsputz) ist dagegen problemlos möglich.

Die Baustoffindustrie ist in den letzten Jahrzehnten aber nicht untätig geblieben und hat neue Silikatfarben mit erweiterten Einsatzmöglichkeiten entwickelt. So brachte Keimfarben 2002 eine so genannte Sol-Silikatfarbe auf den Markt. Bei dieser 1K-Produktvariante kommt als Bindemittel neben Wasserglas und Kunstharz zusätzlich noch Kieselsol (Kieselsäurehydrosol) zum Einsatz.

Diese erneuerte Bindemittelrezeptur führt nach Herstellerangaben dazu, dass man Sol-Silikatfarbe universell auf fast allen mineralischen und organischen Untergründen nutzen kann – und zwar ohne Abstriche bei der silikattypischen Lebensdauer (Verkieselung) und Farbtonkonstanz. Auch die Verwendung auf Altuntergründen (zum Beispiel alte Dispersionsfarben) ist möglich.

Sol-Silikatfarbe ist also nahezu universell einsetzbar, nur nicht auf Holzuntergründen. Doch auch hier hat sich Keimfarben mittlerweile etwas einfallen lassen. Mit Lignosil-Color brachte der Farbenspezialist 2013 eine deckende silikatische Farbbeschichtung für Holz im Außenbereich auf den Markt. Der Hersteller sprach damals von der weltweit ersten mineralischen Verbundbeschichtung zum Wetterschutz von Holzoberflächen. Das Produkt sei wesentlich langlebiger als herkömmliche Holzschutzmittel, die man im Außenbereich alle fünf bis sieben Jahre erneuern müsse.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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