RM Rudolf Müller
Erstaunlicher Dickenunterschied: Rolf-Christian Weder mit zwei 100-qm-Baufolienrollen.  Foto: Marquart

Erstaunlicher Dickenunterschied: Rolf-Christian Weder mit zwei 100-qm-Baufolienrollen.  Foto: Marquart

Boden und Wand
06. August 2020 | Artikel teilen Artikel teilen

Baufolien: Vorsicht bei Untertoleranzen!

Baufolien aus Polyethylen (PE) werden im Baustoffhandel in verschiedenen Stärken verkauft. Die Standardstärke beträgt 0,20 mm. Produktionsbedingt kann es aber zu Abweichungen nach unten kommen – man spricht dann von Untertoleranzen. Diese gelten nicht als Mangel der Ware, wenn die tatsächliche Folienstärke nur 5 % geringer ausfällt als offiziell ausgewiesen. Doch aufgepasst: Bei höheren Untertoleranzen besteht ein Haftungsrisiko für den Handel und Verarbeiter.

PE-Baufolien sind vielfältig einsetzbar. Sie schützen Bauteile vor Durchfeuchtung – zum Beispiel als Dampfbremsen oder Unterdeckbahnen im Steildach. Im Bodenbereich dienen sie als Trennschicht zwischen Estrich und darunterliegender Gebäudedecke beziehungsweise zwischen Estrich und Trittschalldämmung. Man verwendet sie im Bauwesen aber auch gerne als temporäre Abdeckhilfen, etwa zum Fußbodenschutz bei der Zimmerrenovierung oder im Außenbereich zum Schutz von Bauteilen und Baustoffen vor Niederschlägen und anderen Umwelteinflüssen.

Maximal 5 % sind tolerabel

Der Baustoff-Fachhandel verkauft vor allem PE-Folien mit 200 Mikrometer Dicke (0,20 mm), weil diese Stärke einen Sd-Wert von etwa 100 m aufweist. Für den Feuchtigkeitsschutz unter Estrich-/Bodenplatte wird dieser Wert sicherheitshalber allgemein gefordert.

Doch auch dünnere Produkte werden angeboten und haben ihre spezifischen Einsatzbereiche. Haftungsrisiken für den Handel entstehen erst, wenn Folien tatsächlich deutlich dünner sind als offiziell ausgewiesen. Untertoleranzen bis maximal 5 % sind produktionsbedingt offenbar für alle Dicken nicht immer zu vermeiden und gelten daher nicht als Warenmangel.

Auf die 5-%-Regel hatten sich die PE-Baufolienhersteller im Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie (GKV) im Jahr 2006 geeinigt. Eine PE-Folie darf bei dieser Stärke also auch nur 0,19 mm dick sein. Es kommt aber immer wieder vor, dass PE-Folien mit deutlich höheren Untertoleranzen bis zu 30 % oder sogar mehr im Markt als so genannte Typenfolien auftauchen. So etwas kann für den Handel zum Problem werden.

Schadensersatzklagen möglich

Davon weiß Rolf-Christian Weder ein Lied zu singen. Der Vorsitzende des Vereins Bremer Baustoffhändler und Geschäftsführer des Baustoffimporteurs Marquart Baustoffvertriebs GmbH berichtet von einem Fall, bei dem ein Bauunternehmer empört bei seinem Händler anrief, weil die gelieferte PE-Folie Typ 200 tatsächlich nur rund 0,13 mm dick war. Jetzt sähe er sich mit einem Betrugsprozess und Schadensersatzpflicht konfrontiert.

Das Gerichtsverfahren endete mit einem Vergleich, und am Ende musste sich auch der Baustoffhändler mit 50 % an den gesamten Ein- und Ausbaukosten beteiligen. Dabei hatte er sogar noch Glück im Unglück: Die Folie war nicht fachgerecht mit mindestens 8 cm Überlappung verlegt worden, und die Kosten des mehrwöchigen Bauverzugs wurden nicht in Rechnung gestellt. Ansonsten hätte der Händler wahrscheinlich noch mehr zahlen müssen.

„Leider häufen sich solche Fälle in Deutschland zunehmend“, berichtet Rolf-Christian Weder. „Oft fällt dem Architekten zuerst auf, dass das verbaute Material einfach nicht in der gewohnten Zeit trocken wird. Wenn zum Beispiel ein Estrich nach sechs Wochen Trocknung immer noch Feuchtigkeitsspuren aufweist, wird der Boden untersucht. Eine zu dünne Folie, die der Restfeuchte aus der Rohdecke nicht standhält, ist dann schnell als Verursacher ausgemacht.“

Betrug am Verbraucher

Diese Typ-200-Ware mit „handelsüblicher Toleranz“ weist eine Untertoleranz von 47 % auf. Foto: Marquart

Diese Typ-200-Ware mit „handelsüblicher Toleranz“ weist eine Untertoleranz von 47 % auf. Foto: Marquart

Im oben erwähnten Reklamationsfall hatte der Bauunternehmer eine PE-Bau Folie Dicke 0,20 mm verlangt, die vom Händler als ,,Typenfolie 200 mit handelsüblicher Toleranz“ eingekauft und geliefert wurde. Tatsächlich wies das Produkt eine Untertoleranz von 30 % zuzüglich 5 % Maschinentoleranz auf. Es ist nicht verboten, solche Folien zu verkaufen, aber sie müssen korrekt etikettiert und mit dem Hinweis der tatsächlichen Untertoleranz angeboten werden.

Der Einkäufer des Baustoffhändlers hätte die Artikelstammdaten entsprechend ändern müssen. Auf dem Lieferschein stand nur „PE-Typenfolie 200 – 4 x 25 m“. Es fehlte der Hinweis „UT 30“. Der Bauunternehmer konnte vor Einbau nicht erkennen, dass die Folie eine so große Untertoleranz auswies. Das Gericht wertete dies als zielbewusste Irreführung. Nach dem Stand der Technik ist 5 % Untertoleranz handelsüblich – stellte der Gutachter fest – und wies auch auf den Verbraucherschutz hin.

Rolf-Christian Weder hat Verständnis für das Urteil: „Abweichungen von 10 bis 30 % oder mittlerweile noch mehr – ohne deutlichen Hinweis – sind blanker Betrug am Verbraucher. Bauschäden sind vorprogrammiert.“ Der Bremer Baustoffimporteur empfiehlt seinen Kollegen daher, niemals Folien mit „handelsüblicher Toleranz“ zu akzeptieren, sofern sie nicht wissen, mit welcher Untertoleranz die Ware gefertigt wurde.

Anpassung der Artikelstammdaten

Bei unklaren Angaben wie „handelsübliche Toleranz“ rät Weder zur Überprüfung der Ware. Anhand des Gewichtes könne man leicht herausfinden, ob die Folie mit überhöhter Untertoleranz gefertigt wurde. 100 m² PE-Folie der Stärke 0,20 mm müssten eigentlich 18,4 kg wiegen. Zieht man die erlaubten 5 % Untertoleranz ab, darf das Produkt einschließlich der Rolle nicht weniger als 17,48 kg wiegen.

Anhand der ermittelten Daten sollten Baustoffhändler dann ihre Artikelstammdaten differenzieren. Weder empfiehlt genaue Angaben wie zum Beispiel „PE-Baufolie, transluzent, Dicke 0,20 mm, GKV +/-5 %, 4 x 25 m“. Das wäre dann eine Folie mit akzeptabler Untertoleranz im Sinne des GKV-Beschlusses von 2006.

Und als preiswerte Alternative und auch für den Verkäufer erkennbar: „PE-Abdeckfolie, Typ 200 transluzent, 30 % UT, 4 x 25 m“. Dazu kommt immer noch die maschinenbedingte 5 %  Untertoleranz. Das wäre eine Folie mit erheblicher Untertoleranz, aber gleichwohl korrekt etikettiert. Als Abdeckfolie kann sie durchaus gute Dienste leisten, für anspruchsvollere Bauaufgaben sollte der Fachhändler sie besser nicht verkaufen.

Wie groß der Dickenunterschied von Baufolien durch große Untertoleranzen tatsächlich sein kann, zeigt anschaulich unser Foto ganz oben. Auf diesem präsentiert Rolf-Christian Weder zwei verschiedene PE-Folienrollen. Erstaunlich: In beiden Fällen handelt es sich um 100 m2 Material (2 m x 50 m) – obwohl die eine Rolle viel dicker ist als die andere. Die dicke Rolle hat eine Dicke von 0,20 mm nach GKV und wiegt 18,4 kg. Die dünne Rolle dagegen ist „Typ 200“-Ware mit „handelsüblicher Toleranz“. Sie wiegt nur 9,72 kg, aufgrund einer Untertoleranz von 47 %!

Nach Angaben des Marquart-Geschäftsführers sind derartige Produkte in der Regel nur 15 bis 20 % preiswerter als die hochwertigen PE-Folien nach GKV. „Aber eigentlich müsste der Preisunterschied auch 47 % betragen“, findet Weder. Seinen Kollegen rät er abschließend: „Vermeiden Sie selbst als Händler/Einkäufer zum Betrugsopfer von Zwischenhändlern oder Herstellerfirmen zu werden. Zahlen Sie für Untertoleranzware unter dem Deckmantel handelsübliche Toleranz nicht zu viel. Entgehen Sie den kostenintensiven Gerichtsprozessen, Vergleichen und Abmahnungen“.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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