RM Rudolf Müller
„Grüne“ Baustoffe müssen natürlich nicht grün, aber nachhaltig sein.  Foto: Pixabay

„Grüne“ Baustoffe müssen natürlich nicht grün, aber nachhaltig sein.  Foto: Pixabay

Energetisches Bauen
14. Februar 2023 | Artikel teilen Artikel teilen

Verarbeiter-Umfrage zu grünen Baustoffen

Nachhaltigkeit ist auch in der Baustoffindustrie schon lange ein Megatrend. Zumindest gilt das für die Unternehmenskommunikation in Produktbroschüren und Pressemitteilungen. Doch wie sieht es eigentlich mit dem „grünen Bewusstsein“ der Entscheider im Handwerk aus? Die Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners hat nachgefragt. Ihre „Verarbeiter-Studie 2022“ legt den Schluss nahe, dass nachhaltige Baustoffe kein kurzfristiger Trend sind, sondern in der Bauwirtschaft künftig wettbewerbsentscheidend sein werden.

Die Studienergebnisse basieren auf einer Umfrage, die Simon-Kucher & Partners im November 2022 mit 204 baunahen Handwerkern aus Deutschland (146), Österreich (35) und der Schweiz (23) durchgeführt hat. Im Rahmen der regelmäßig durchgeführten Panel-Umfrage wurden die teilnehmenden Entscheider, die aus unterschiedlichen Gewerken stammen, diesmal dazu befragt, wie sie zu nachhaltigen Baustoffen stehen.

Die Antworten hat die Unternehmensberatung in einem zehnseitigen Schriftstück mit dem Titel „Grüner Bauen – Anforderungen an zukünftiges Wachstum“ zusammengefasst, das keine Studie im wissenschaftlichen Sinne darstellt, sondern vielmehr eine Ansammlung von Schaubildern. Es finden sich trotzdem interessante Ergebnisse darin.

Kunden fordern Nachhaltigkeit

Nachhaltige Produkte spielen auch im Bauhandwerk eine große Rolle. Grafik: Simon Kucher & Partners

Nachhaltige Produkte spielen auch im Bauhandwerk eine große Rolle. Grafik: Simon Kucher & Partners

Die Baubranche gilt allgemein als eher konservativ. Handwerker wie etwa Dachdecker, Maurer oder Elektroinstallateure waren bisher nicht unbedingt als Stammwähler der Grünen bekannt. Umso mehr überrascht es, dass 81 % der befragten Verarbeiter das Thema Nachhaltigkeit als wichtig oder sogar sehr wichtig für ihren Einkauf bezeichnen. Und immerhin 52 % gaben an, dass sie bereits heute regelmäßig nachhaltige Baustoffe einkaufen.

„Die Kunden fordern Nachhaltigkeit ein und sind auch zunehmend bereit, mehr dafür zu bezahlen. Darauf reagieren die Verarbeiter entsprechend“, sagt Jan Haemer, Partner in der Construction Practice bei Simon-Kucher & Partners und einer der Autoren der Studie. Das bestätigt die Umfrage. Immerhin 35 % der befragten Handwerker nannten „Kundenwünsche“ als Hauptgrund für ihre Produktwahl. Auf den Plätzen folgten „regulatorische Anforderungen“ (19 %) und der Wunsch, den eigenen Betrieb im Wettbewerb besser zu positionieren (18 %). Nachhaltigkeit als Imagefaktor ist demnach also auch im Bauhandwerk ein Thema.

Die Studie legt nahe, dass nachhaltige Bauprodukte kein kurzfristiger Trend, sondern dauerhaft der neue Standard im Bauwesen sind. Als Treiber wirkt dabei der Endkundenwunsch nach weniger Emissionen und reduziertem Energieverbrauch. Beschleunigt wird das Ganze durch höhere Anforderungen in Gesetzen und Verordnungen auf nationaler und EU-Ebene.

Stabile Nachfrage trotz Inflation

Das Handwerk kauft grüne Baustoffe vor allem aus diesen Gründen. Grafik: Simon Kucher & Partners

Das Handwerk kauft grüne Baustoffe vor allem aus diesen Gründen. Grafik: Simon Kucher & Partners

Wie sehr der Nachhaltigkeitsaspekt die Wertigkeit der eingesetzten Baustoffe bereits heute beeinflusst, zeigt sich auch darin, dass 38 % der befragten Verarbeiter das Kriterium „gesundheitliche Unbedenklichkeit“ als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ für ihre Kunden erachten. Der Aspekt „Umweltfreundlichkeit“ kommt auf 31 %, den Punkt „lange Lebensdauer“ nennen sogar 39 % der Befragten.

Nachhaltigkeit wird auch beim Bauen immer wichtiger, man muss sie sich allerdings auch leisten können – wäre ein naheliegender Einwand. Doch auch hier zeigt die Studie, dass die Skepsis unter Bauhandwerkern weitaus geringer ist als vorab vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Zwar rechnen 53 % der Befragten angesichts der aktuellen Inflation mit einer sinkenden Nachfrage bei nachhaltigen Bauprodukten. Aber auf der anderen Seite erwarten 19 % der Befragten eine stabilen und 28 % sogar eine steigende Nachfrage – trotz des Preisanstiegs.

Jan Haemer: „Unsere Studie zeigt: Trotz Inflation erwartet fast die Hälfte der Verarbeiter eine stabile oder sogar steigende Nachfrage nach nachhaltigen Bauprodukten. Und gesetzliche Rahmenbedingungen wie die EU-Offenlegungsverordnung für den Bausektor, die beispielsweise erfordert, dass dokumentiert werden muss, wie nachhaltig oder energieeffizient ein Gebäude entwickelt wird oder welche Materialien verwendet werden, verstärken diesen Trend zusätzlich.“

Mit der EU-Offenlegungsverordnung ist die im März 2021 in Kraft getretene EU-Verordnung 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor gemeint. Diese verpflichtet Finanzmarktteilnehmer zur Veröffentlichung von Informationen zur Nachhaltigkeit ihrer Investitionsentscheidungen. Das betrifft natürlich auch Investitionen in der Bau- und Immobilienbranche.

In der Panel-Umfrage erwarten die Handwerker künftig eindeutig eine zunehmende Nachfrage nach nachhaltigen Bauprodukten aufgrund der neuen Offenlegungspflichten. 85 % aller Befragten gaben dies an. In den Gewerken, die direkt mit Baustoffen arbeiten, waren es sogar deutlich mehr. 100 % (!) aller befragten Dachdecker glauben, dass die EU-Offenlegungsverordnung die Nachfrage nach „grünen“ Baustoffen verstärkt. Bei den Maurern stimmten hier 89 % zu, bei den (Stahl)Betonbauern 88 %.

Grünes Produktportfolio wettbewerbsentscheidend

Zu den erstaunlichsten Ergebnissen der Umfrage gehört die Einschätzung der Handwerker, dass bereits in fünf Jahren etwa 66 % aller Bauprodukte nachhaltig sein werden. Das ist zumindest der Durchschnittswert, der aus den Erwartungen aller 204 befragten Personen errechnet wurde. Die (Stahl)Betonbauer erwarten durchschnittlich sogar einem Anteil von 76 % nachhaltiger Baustoffe in fünf Jahren, die Maurer dagegen nur 46 %. Derartige Erwartungen mögen überraschen, sind aber auch nicht überzubewerten. Es sind ja nur Erwartungen, keine Fakten.

Die Ergebnisse der Umfrage betrachtet Simon-Kucher & Partners gleichwohl als Indiz dafür, dass nachhaltiges Bauen künftig wettbewerbsentscheidend sein wird. „Für Hersteller heißt das ganz klar, dass sie jetzt die richtigen nachhaltigen Angebote entwickeln und erfolgreich vermarkten müssen, um nicht hinter den Wettbewerb zurückzufallen“, erklärt Sebastian Strasmann, der zweite Autor der Studie, der ebenfalls Partner in der Construction Practice bei Simon-Kucher ist. „Sie müssen ein grünes Produktportfolio anbieten und Vertrauen in Umweltsiegel stärken, um Kaufbarrieren abzubauen. Und nicht zuletzt kann die Bauwirtschaft, mit ihrem Einfluss auf Rohstoff- und Energiekonsum im Gebäudelebenszyklus, damit auch ihrer sozialen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung gerecht werden.“


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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