
Vor allem im Wohnbau sind Ziegel ein unverzichtbarer Baustoff. Foto: Wienerberger/ Dietmar Strauß
Ziegelindustrie: Hohe Gas-Abhängigkeit
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine und die daraus resultierende Gaspreisexplosion stellen auch deutsche Baustoffproduzenten vor große Probleme. Besonders die energieintensive Ziegelindustrie leidet. Eine aktuelle Prognos-Studie bestätigt deren „sehr hohe Abhängigkeit von Gaslieferungen“ und macht zudem deutlich, dass eine verminderte Produktion und/oder weitere Preisanstiege bei Ziegeln das Baugewerbe massiv treffen würden.
Im Spätsommer sorgten die Dachziegelwerke Nelskamp mit der Meldung, ihre Tondachziegel-Produktion zum 1. September kurzfristig einzustellen, für Schlagzeilen in der Fachpresse. Als Grund für diesen Schritt nannte das mittelständische Unternehmen die drastisch gestiegenen Preise für Gas und Strom. Knapp zwei Monate nach dieser Ankündigung wurden die Ziegel-Brennöfen dann doch wieder angefahren. Wirtschaftlich vertretbar war das allerdings nur durch „eine bis Jahresende befristete Preisanpassung, die auf den Rechnungen separat ausgewiesen wird“ – so Nelskamp in einer Firmen-Mitteilung.
Zum Fall Nelskamp muss man wissen, dass der Hersteller bereits vor der aktuellen Energiekrise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war. 2021 stand das Familienunternehmen kurz vor der Insolvenz, es folgte ein finanzieller und operativer Restrukturierungsprozess im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens. Trotzdem steht das Beispiel Nelskamp durchaus stellvertretend für die Herausforderungen, mit denen insbesondere die Hersteller von Tonziegelprodukten derzeit konfrontiert sind. Nelskamp produziert nämlich auch Beton-Dachsteine. Da deren Herstellung weniger energieintensiv ist, stand ein Produktionsstopp hier bisher nicht zur Disposition.
Massiv abhängig von Erdgas

Viele Ziegelbaustoffe sind sogar als klimaneutral zertifiziert – ihre Herstellung erfordert gleichwohl viel Energie.
Die im Oktober 2022 veröffentlichte Prognos-Studie „Lieferunterbrechung von Gas – Fokus Ziegelindustrie“ macht ebenfalls klar, dass weiter steigende Gaspreise oder gar ein akuter Gasmangel nicht nur ein Problem für schwächelnde Hersteller, sondern für die gesamte Ziegelindustrie wären. Diese sei massiv abhängig von Erdgas. Der Anteil dieses Energieträgers an der gesamten Produktion mache satte 80 % aus – heißt es in der vom Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie in Auftrag gegebenen Prognos-Analyse.
Ziegelprodukte – von Dachziegeln über Hintermauer-Ziegel und Vormauer-Ziegel bis hin zu Pflasterklinkern – benötigen vor allem während des Brennprozesses viel Energie. Für das Brennen des Tons bei den dafür zwingend benötigten Temperaturen von 900 bis 1.200 °C ist Erdgas als Brennstoff laut Studie zumindest kurzfristig unverzichtbar. Ansonsten müssten die Hersteller in ganz neue Produktionsanlagen investieren, die mit alternativen Brennstoffen arbeiten. Die bisher üblichen, mit Erdgas befeuerten Tunnelöfen haben üblicherweise eine Lebensdauer von mindestens 30 Jahren, Öfen mit alternativen Brennstoffen gelten in der Branche zudem als noch nicht marktreif.
Könnte die Branche kurzfristig Gas einsparen, indem sie zeitweise einfach weniger Ziegel brennt? Die Prognos-Autoren sind auch hier skeptisch. Ein teilweises Zurückfahren der Produktionsmengen hätte nur einen geringen Einfluss auf den Energie- und Gasbedarf der Branche – schreiben sie. Und weiter: „Grund ist, dass die Öfen aus Energieeffizienzgründen unter Volllast betrieben werden und für das Herunterfahren und Hochfahren der Anlagen mehrere Tage benötigt werden“.
Gasstopp = Produktionsstopp
Wenn Gas in diesem Winter hierzulande so knapp werden sollte, dass die Politik es rationieren müsste, hätte das für die Ziegelindustrie sehr ernsthafte Folgen. Ohne Erdgas müssten wohl alle Hersteller – wie Nelskamp im September – die Produktion einstellen.
Das beträfe eine Branche, die in Deutschland etwa 8.500 Personen in 80 Unternehmen beschäftigt und für eine Bruttowertschöpfung von insgesamt etwa 1,6 Mrd. Euro steht (Stand: 2020). Es handelt sich zwar nicht um eine riesige – und sicher nicht „systemrelevante“ –Branche, aber auch keineswegs um eine unbedeutende. Laut Studie verbraucht die hiesige Ziegelindustrie übrigens rund 2 % des gesamten Erdgasbedarfs der deutschen Industrie.
Ein Produktionsstopp würde zu massiven Wertschöpfungseinbußen nicht nur in der Ziegelindustrie, sondern in der gesamten Bauwirtschaft, und hier insbesondere im Wohnungsbau führen. Ziegelsteine sind in Deutschland die beliebtesten Mauerbildner – vor allem im mehrgeschossigen Wohnungsbau.
Doch nicht nur Produktionsstopps, sondern auch Preissteigerungen für Ziegel als Folge von Energiepreiserhöhungen hätten negative gesellschaftliche Auswirkungen, weil sich dadurch die Baukosten weiter erhöhen würden. Das ohnehin sehr optimistische Ziel der Bundesregierung, dass in Deutschland jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen entstehen, wäre unter solchen Rahmenbedingungen noch weniger erreichbar.
30 % aller Wohngebäude, die 2021 in Deutschland eine Bauerlaubnis erhielten, werden überwiegend aus dem Baustoff Ziegel errichtet. Die Studie verweist zudem darauf, dass die Möglichkeiten einer wirtschaftlichen Substitution des Materials durch alternative Baustoffe begrenzt sind. Die Preise von Stahl und Beton, aber auch von Kalksandstein seien nämlich seit 2021 noch stärker gestiegen als die von Ziegelmauerwerk.
Aktuelle Lage besser als erwartet

Auch Pflasterklinker gehören zu den Ziegelbaustoffen. Foto: Wienerberger
Die Prognosen der Studie basieren auf einem Szenario, wonach die deutschen Gasspeicher bis zum 1. November mindestens zu 90 % gefüllt sind und Russland im zweiten Halbjahr 2022 kein Gas mehr liefert. Zum Szenario gehört ferner die Annahme, dass Deutschland mindestens 28 % von den Flüssiggas-Importen der EU beziehen kann. Dasselbe Szenario hatte Prognos bereits für eine im Juni im Auftrag der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft veröffentlichte Studie durchgespielt, deren Fokus aber nicht auf der Ziegelindustrie lag.
Trotzdem sind Zahlen und Annahmen aus dieser „Basisstudie“ auch in die hier besprochene Oktober-Studie eingeflossen. Die Annahmen des Szenarios stimmen im Übrigen ja auch weitgehend mit der seitdem erfolgten Entwicklung überein. Der anvisierte Füllstand der Gasspeichern wurde sogar früher geschafft als erwartet und auch die erhofften Mengen an Flüssiggasimporten konnten organisiert werden. Seit Ende August fließt zudem tatsächlich gar kein Gas mehr von Russland nach Deutschland. Auch im Monat zuvor war es bereits zu starken Einschränkungen gekommen.
Die im Juni getroffenen Prophezeiungen der Basisstudie wirken dagegen aus heutiger Sicht zu pessimistisch. Für Deutschland hatte Prognos damals eine tiefe Rezession und eine dauerhafte Störung der industriellen Wertschöpfungsnetzwerke vorhergesagt, wenn der Gaslieferstopp eintritt. In der Ziegelindustrie würde ein Lieferausfall von russischem Gas im zweiten Halbjahr 2022 zu einem Wertschöpfungsverlust von 52 % führen – so die Annahme.
Diese Annahme wirkt aus heutiger Sicht (Stand: Mitte November) überzogen. Gewiss: Die Lage ist ernst, die Wirtschaft leidet. Gleichwohl scheint Deutschland den kurzfristigen Ausfall seines wichtigsten Gaslieferanten bisher viel besser kompensiert zu haben als erwartet. Die angekündigten Energiepreisbremsen für Gas und Strom scheinen die Lage zudem entspannt zu haben.
In der Studie „Lieferunterbrechung von Gas – Fokus Ziegelindustrie“ wird bereits eingeräumt, dass die Gasbilanz für das zweite Halbjahr 2022 voraussichtlich günstiger ausfallen wird als in der Basisstudie dargestellt. Zugleich warnen die Autoren aber weiterhin vor einem Gasversorgungsmangel, der speziell die Ziegelindustrie hart treffen würde.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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