RM Rudolf Müller
Die Stahlindustrie will Roheisen mithilfe von grünem Wasserstoff herstellen.  Foto: Salzgitter AG

Die Stahlindustrie will Roheisen mithilfe von grünem Wasserstoff herstellen.  Foto: Salzgitter AG

Forschung, Technik und Trends
21. Dezember 2020 | Artikel teilen Artikel teilen

CO2-freie Stahlproduktion?

Stahl ist für das moderne Bauwesen ein wichtiger Rohstoff. Allerdings verursacht die Herstellung des Metalls auch etwa 7 % des weltweiten CO2-Ausstoßes. Sollte man künftig also weitgehend auf Stahl verzichten? Die Industrie plant lieber ein alternatives Szenario: die drastische Reduktion von CO2-Emissionen um bis zu 95 % durch eine wasserstoffbasierte Stahlproduktion. Eine Machbarkeitsstudie des Fraunhofer-Instituts zeigt, dass dies durchaus möglich wäre.

Bei der Gebäudeerrichtung kommt Stahl in unterschiedlichsten Bereichen zum Einsatz – etwa als Bewehrung im Stahlbetonbau, als Trockenbauprofil im Innenausbau oder auch als Eindeckungsmaterial für Metalldächer. Vor allem im Industrie- und Hallenbau findet man zudem häufig vollflächige Fassadenverkleidungen aus Stahl-Trapezprofilen sowie tragende Außenwandelemente in Stahl-Leichtbauweise. Bei der zuletzt genannten Bauweise bestehen die Wände aus einem Stahlskelett-Gerüst, das von beiden Seiten mit Trockenbauplatten beplankt und im Hohlraum mit Dämmstoffen gefüllt ist.

Von Eisenerz zu Stahl

Stahl wird aus Eisenerz gewonnen. Während Eisen ein Metall ist, das als natürliches Element in der Natur vorkommt – wenn auch in der Regel nur in oxidierter Form und eingeschlossen in Gesteinsblöcken (Eisenerzen) –, ist Stahl ein vom Menschen hergestelltes Produkt. Dieses Kunstprodukt hat unter anderem den Vorteil, dass es härter ist als reines Eisen und sich zudem nach der Aushärtung noch verformen lässt. Laut DIN EN 10020:2000-07 („Begriffsbestimmung für die Einteilung der Stähle“) handelt es sich bei Stahl um Eisen mit einem Kohlenstoffgehalt von weniger als 2,06 %.

Der Produktionsprozess von Eisenerz zu Stahl erfolgt in zwei Schritten: Zunächst verarbeitet man im Hochofen das Eisenerz zu Roheisen, anschließend wird daraus im Stahlwerk Stahl hergestellt. Beim ersten Schritt wird das Eisenerz abwechselnd mit Lagen aus Koks aufgeschichtet und dann bei hohen Temperaturen geschmolzen. Dadurch schmelzen die Gesteinsanteile im Eisenerz, und ein Großteil des Sauerstoffs entweicht aus den Eisenoxid-Verbindungen. Man sagt auch: Das Eisenerz wird „reduziert“.

Als Ergebnis erhält man Roheisen, das allerdings Kohlenstoff aus dem Brennstoff Koks aufgenommen hat. Das ist gewollt, denn dadurch wird das Metall härter. Allerdings darf der Kohlenstoffanteil nicht zu hoch sein, weil das Material dann spröder wird. Bei den meisten Stahlsorten wird der Kohlenstoffgehalt daher in weiteren Produktionsschritte wieder gesenkt. Für Baustähle strebt man beispielsweise eine Absenkung auf 0,1 bis 0,5 % an.

Wasserstoff statt Koks

Als negative Begleiterscheinung der dargestellten Prozesse entstehen allerdings große Mengen an CO2-Abgasen. Im Hochofen verbindet sich der Kohlenstoff aus dem Brennstoff Koks mit dem Sauerstoff aus der heißen Umgebungsluft zunächst zu Kohlenmonoxid (CO). Dieses toxische Gas reagiert anschließend mit dem Sauerstoff aus dem schmelzenden Eisenerz zum „Klimakiller“ Kohlendioxid (CO2).

Die Menschheit steht bekanntlich vor der großen Herausforderung, ihre CO2-Emissionen in kurzer Zeit drastisch reduzieren zu müssen. Das kann nur funktionieren, wenn in allen Sektoren eingespart wird – von den Privathaushalten über den motorisierten Verkehr bis hin zur Industrieproduktion. In der Stahlproduktion lautet die entscheidende Frage daher: Lässt sich das Material auch mit deutlich weniger Kohlendioxid-Abgasen herstellen?

Die Antwort lautet: Ja, man könnte die CO2-Emissionen bei der Herstellung von Stahl sogar um bis zu 95 % reduzieren, wenn man im Hochofen den Sauerstoffgehalt des Eisens nicht mehr durch Verwendung des Reduktionsmittels Koks, sondern mithilfe von Wasserstoff senken würde. Statt Kohlendioxid würde dann als „Abgas“ nur harmloser Wasserdampf anfallen. Eine Abfolge von chemischen Reaktionen im Hochofen würde dazu führen, dass aus Eisenoxid (Fe2O3) reines Eisen (Fe) und Wasser wird (H2O).

Machbarkeitsstudie MACOR

Auf dem Hüttenwerk-Gelände der Salzgitter Flachstahl GmbH liefern eigene Windräder den Ökostrom für die Elektrolyseanlage. Foto: Salzgitter AG

Auf dem Hüttenwerk-Gelände der Salzgitter Flachstahl GmbH liefern eigene Windräder den Ökostrom für die Elektrolyseanlage. Foto: Salzgitter AG

Antworten auf die Frage, wie sich bei der Produktion von Rohstahl CO2-Emissionen möglichst effizient reduzieren lassen, liefert die „Machbarkeitsstudie zur Reduzierung der CO2-Emissionen im Hüttenwerk unter Nutzung Regenerativer Energien“ – kurz MACOR. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte und im Mai 2020 abgeschlossene Projekt basiert auf Untersuchungen im Hüttenwerk der Salzgitter Flachstahl GmbH. Das dortige SALCOS-Vorhaben (Salzgitter Low CO2 Steelmaking) wurde von den drei Fraunhofer-Instituten IKTS, ISI und UMSICHT drei Jahre lang unter die Lupe genommen.

Im Rahmen des SALCOS-Vorhabens will die Salzgitter AG bis 2050 eine Umstellung hin zur nahezu CO2-freien Rohstahlproduktion schaffen. Bis zu 95 % an Emissionen sollen eingespart werden. Erreichen will man das mit dem Verfahren der so genannten Direktreduktion. Dabei wird Eisenerz mithilfe von Wasserstoff reduziert.

Wobei die Einsparung von bis zu 95 % nur gelingen kann, wenn „grüner“ Wasserstoff zum Einsatz kommt, dessen Herstellung CO2-frei erfolgt. Der Elektrolyse-Prozess zur Erzeugung des Gases muss also mit Ökostrom stattfinden. Die Salzgitter Flachstahl GmbH baut zu diesem Zweck sieben Windkraftanlagen direkt auf dem eigenen Firmengelände. Auch eine Elektrolyseanlage und ein Wasserstoffspeicher werden dort errichtet.

Umstellung bis 2050

Die MACOR-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die wasserstoffbasierte Stahlherstellung „das größte CO2-Einsparpotenzial von fast 100 %“ ermöglicht – heißt es in einer Pressemitteilung des Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS). Zudem sei es viermal effizienter, CO2 bei der Rohstahlherstellung zu vermeiden, als das Klimagas während des Herstellungsprozesses aufzufangen und anderen Nutzungen zuzuführen – etwa zur Herstellung von Chemikalien.

Die Umstellung auf Wasserstoff gelingt nach Angaben der Fraunhofer-Forscher aber „nicht von jetzt auf gleich“. Sie sei mit hohen Investitionskosten verbunden und technisch anspruchsvoll. Das betrifft nicht nur den Einsatz des Wasserstoffs am Hochofenstandort, sondern auch dessen Herstellung. „Derzeit liegen die Herstellungskosten von grünem Wasserstoff noch sehr hoch, bei etwa 4,50 Euro pro Kilogramm“, sagt Dr. Matthias Jahn, Leiter der Abteilung Chemische Verfahrenstechnik am Fraunhofer IKTS. „Unter Berücksichtigung der steigenden CO2-Zertifikatskosten kann bis 2050 die Herstellung von Rohstahl mit dem Verfahren der Direktreduktion unter Einsatz von Wasserstoff konkurrenzfähig zur konventionellen Herstellung im Hochofen sein.“


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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