RM Rudolf Müller
Der Raumlüfter könnte zum Beispiel in Schulen und Universitäten vor Viren schützen.  Foto: Pixabay

Der Raumlüfter könnte zum Beispiel in Schulen und Universitäten vor Viren schützen.  Foto: Pixabay

Forschung, Technik und Trends
19. Mai 2021 | Artikel teilen Artikel teilen

Fraunhofer: Raumlüfter gegen Corona

Aerosole spielen eine entscheidende Rolle bei der Übertragung von Sars-CoV-2. In geschlossenen Räumen ist die Corona-Gefahr deshalb besonders hoch. Um das Ansteckungsrisiko deutlich zu reduzieren, bräuchte man Lüftungssysteme, die Viren vollständig zerstören. Genau daran arbeiten derzeit zwei Fraunhofer-Institute. Bei ihrer Lösung werden Viren nicht nur aus der Raumluft gefiltert, sondern zusätzlich „kalt verbrannt“. Übrig bleiben nur geringe Mengen Kohlendioxid und Wasserstoff.

Zwar gibt es bereits Filter, die Raumluft reinigen – allerdings werden die Viren dabei meist nur zurückgehalten. Versäumt man den Filterwechsel, kann es zu einem Durchbruch kommen, bei dem eine geballte Virenmenge in die Luft gepustet wird – warnen die Institute Fraunhofer IKTS (Institut für Keramische Technologien und Systeme) und Fraunhofer ITEM (Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin).

Doch selbst wenn der Filter regelmäßig und rechtzeitig gewechselt wird, bleiben große Unsicherheiten – gerade in Corona-Zeiten: Wie gelingt ein sicherer Austausch und wie lassen sich die möglicherweise virenbelasteten Filter sicher entsorgen? Eine Alternative sind UV-Filter: Diese zerstören die Viren zwar größtenteils, allerdings entstehen dabei oftmals andere gesundheitsschädliche Substanzen – so die beiden Fraunhofer-Institute.

Viren oxidieren zu CO2

Virenabbau per Elektrolyse: Im Labor wurden die biologischen Testsubstanzen direkt in die Salzlösung gegeben.  Foto: Fraunhofer IKTS

Virenabbau per Elektrolyse: Im Labor wurden die biologischen Testsubstanzen direkt in die Salzlösung gegeben.  Foto: Fraunhofer IKTS

In ihrem gemeinsamen Projekt „CoClean-up“ arbeiten das Fraunhofer IKTS aus Dresden und das Fraunhofer ITEM aus Hannover daher an einer ganz neuen Lüftungslösung. Nach Angaben der Forschenden filtert ihr System Keime effizient aus der Raumluft und eliminiert diese umfassend. „Unser Raumlüfter zerstört Viren und anderes organisches Material vollständig – übrig bleiben nur kleine Mengen CO2 und Wasserstoff“, sagt Hans-Jürgen Friedrich, Gruppenleiter am Fraunhofer IKTS. Zum chemischen Hintergrund: Viren bestehen üblicherweise aus Proteinen, die wiederum aus Aminosäuren aufgebaut sind. Diese enthalten neben Stickstoff (N) auch Kohlenstoff (C), Sauerstoff (O) und Wasserstoff (H).

Bei dem innovativen Lüftungssystem werden die Viren per Elektrolyse in ihre Bestandteile zerlegt. Dort, wo bei traditionellen Anlagen nur ein Filter steckt, werden die Viren in der neuen Anlage kalt verbrannt. Bei ihren erfolgreichen Testläufen leiten die Forschenden die Raumluft nämlich in eine Salzlösung, in der Viren und andere organische Bestandteile hängen bleiben. Die gereinigte Luft wird wieder in den Raum entlassen. In der Salzlösung befinden sich zwei Elektroden, zwischen denen eine elektrische Spannung anliegt. An einer davon werden die organischen Substanzen, aus denen die Viren bestehen, vollständig zu Kohlendioxid (CO2) oxidiert – also kalt verbrannt –, an der anderen entstehen geringe Mengen Wasserstoff.

Die Forschenden betonen, dass von den Reststoffen keine Gefahr ausgeht. Bei einer üblichen Raumgröße und etlichen Personen im Raum würden selbst nach mehreren Stunden nur einige 100 ml CO2 und Wasserstoff zusammenkommen, die sich auf die gesamte Raumluft verteilen. Zum Vergleich: Die Luft, die ein Mensch ausatmet, enthält etwa 40 ml CO2, und das bei jedem Atemstoß.

Demonstrator im April

Nach Angaben der Fraunhofer-Institute ist der beschriebene Prozess des Virenabbaus vollständig neu. Rein äußerlich soll sich der neue Raumlüfter gleichwohl nicht wesentlich von klassischen Modellen unterscheiden. Als Ergebnis ihrer Arbeit entwickelten die Forschenden zum Ende des Projekts CoClean-up einen Demonstrator, von dem jedoch bis zum Redaktionsschluss dieses Beitrags aus patentrechtlichen Gründen keine Bilder veröffentlicht wurden.

Bis man das Gerät kaufen kann, wird es ohnehin noch dauern. Die Institute schätzen, dass noch etwa eineinhalb Jahre verstreichen werden, bis das System soweit ist, dass eine Markteinführung unter Beachtung der regulatorischen Anforderungen möglich ist. Die aktuelle Bedrohung durch Sars-CoV-2 wird bis dahin hoffentlich weitgehend überwunden sein, doch die Technik würde dadurch natürlich nicht überflüssig. Sie könnte in geschlossenen Räumen – zum Beispiel in Krankenhäusern, Schulen, Restaurants oder Fitnessstudios – auch vor künftigen Krankheitserregern schützen. Die Fraunhofer-Institute nennen zudem ansteckende Viren in der Tierhaltung als mögliches Einsatzfeld.

Tests mit ungefährlichen Substanzen

Bei ihren Testläufen arbeiten die Forscherteams übrigens mit ungefährlichen Substanzen. „Für die Tests nutzen wir aus Sicherheitsgründen keine Corona-Viren, sondern repräsentative Surrogate, die sehr ähnliche Eigenschaften haben“, erläutert Dr. Katharina Schwarz, Abteilungsleiterin am Fraunhofer ITEM. Am Fraunhofer IKTS wurden die biologischen Testsubstanzen direkt in die Salzlösung gegeben und dann sowohl die Zersetzung der Testsubstanz an den Elektroden analysiert als auch die Konzentration an Testsubstanz in der ausgeleiteten sauberen Luft gemessen. Das Ergebnis: Die Vorgänge bei der Elektrolyse – also im Herzstück des Systems – funktionierten wie gewünscht.

In einem weiteren Schritt wollen die Forschenden Aerosole mit Viren beladen und diese über Pumpen in die Salzlösung einleiten. Auch hier greifen die Forscherteams zu ungefährlicheren Surrogat-Viren. Katharina Schwarz: „Meines Wissens gibt es in ganz Europa derzeit keine standardisierte Möglichkeit, gefährliche Viren luftgetragen – also als Aerosol – für Untersuchungen der Wirksamkeit von Luftreinigungs- und -Luftdesinfektionssystemen zu nutzen“.

Für ein anderes von der Fraunhofer-Gesellschaft gefördertes Projekt untersucht die Wissenschaftlerin an gesunden Probanden, wie sich die Zusammensetzung des ausgeatmeten Aerosols ändert, je nachdem ob die Testperson ruhig atmet, spricht, hustet oder singt. Anhand dieses Wissens plant Schwarz, unterschiedliche Aerosolsorten herzustellen, die dann mit Testviren beladen und in die Elektrolysezelle eingeleitet werden.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

Dunstabzug in der Küche

Dunstabzugshauben sollen beim Kochen entstehende Gerüche, Fette und Feuchtigkeit so weit wie möglich absaugen. Wie gut das gelingt, hängt nicht...

mehr »
 

Fensterlüfter: Wärmetauscher oder Wärmeregenerator?

In wärmegedämmten Gebäuden ohne zentrales Lüftungssystem kommen heute immer häufiger dezentrale Fensterlüfter mit Wärmerückgewinnung zum Einsatz. Um die thermische Energie...

mehr »
 

Fensterlüfter für wärmegedämmte Wohnhäuser

Bei Wohnhäusern mit Fassadendämmung ist die Gebäudehülle oft so dicht, dass man eigentlich eine automatische Lüftungsanlage installieren müsste, damit ein...

mehr »
Nach oben
nach oben