RM Rudolf Müller
Dieses Bauteil enthält ein alkalisch aktiviertes Geopolymer-Bindemittel.  Alle Fotos: Fraunhofer IBP

Dieses Bauteil enthält ein alkalisch aktiviertes Geopolymer-Bindemittel.  Alle Fotos: Fraunhofer IBP

Forschung, Technik und Trends
22. November 2022 | Artikel teilen Artikel teilen

Geopolymere statt Zement

In den letzten Jahren melden immer mehr Hersteller und Forschungsinstitute Erfolge bei der Entwicklung von zementfreiem Beton. Die zum Einsatz kommenden Ersatz-Bindemittel werden in vielen Fällen als „Geopolymere“ bezeichnet. Was das ist, erläutert der folgende Beitrag.

Erst kürzlich haben wir bei BaustoffWissen PLUS darüber berichtet, dass die Betonwarenhersteller Röser, Berding Beton und Finger Beton noch in diesem Jahr unter dem Markennamen „Next Beton“ ein klimafreundliches Abwasserkanalsystem mit zementfreien Betonrohren auf den Markt bringen wollen. Anstatt Zement setzen die drei deutschen Hersteller auf ein so genanntes Geopolymer-Bindemittel, das sich aus industriellen Nebenprodukten wie Hochofenschlacke und Flugasche gewinnen lässt.

Bereits im letzten Jahr hat BaustoffWissen auch über das kanadische Startup Carbicrete informiert, das sich auf „karbon-negative“ Beton-Hohlblocksteine spezialisiert hat. Auch hier besteht das Bindemittel aus gemahlener Schlacke, die bei der Stahlproduktion anfällt, und auch hier handelt es sich um ein Geopolymer. Man kann gleichwohl von einem mineralischen Bindemittel sprechen, weil die in der Eisen- und Stahlindustrie als Nebenprodukt anfallenden Schlacken im Wesentlichen aus geschmolzenem Eisenerz-Gestein bestehen.

Alkalisch aktivierte Bindemittel

Als Festrohstoffe kommen zum Beispiel Flugasche, Metakaolin oder Hüttensand infrage.

Als Festrohstoffe kommen zum Beispiel Flugasche, Metakaolin oder Hüttensand infrage.

Die beiden genannten Beispiele ließen sich durch viele weitere ergänzen. Gerade in letzter Zeit berichten Industrie und Forschungseinrichtungen verstärkt über Erfolge bei der Entwicklung von zementfreien Betonmischungen mithilfe von Geopolymeren.

Auch das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (Fraunhofer IBP) beschäftigt sich schon seit Längerem mit dieser Technologie. Die Forschenden bezeichnen Geopolymere auch als alkalisch aktivierte Bindemittel, denn zu ihrer Herstellung versetzt man die Ausgangsmaterialien in der Regel mit einer stark alkalisch reagierenden Lösung – meist Wasserglas.

Wie schon erwähnt eignen sich als Ausgangsmaterialien etliche mineralische Abfallstoffe (Aschen, Schlacken, Sande, Stäube), die bei industriellen Prozessen wie der Kohleverstromung und der Stahlerzeugung oder auch bei der Müllverbrennung anfallen. Man kann Geopolymere aber auch komplett im Labor herstellen. Dabei wird ein gemahlener, mineralischer Feststoff, der in der Regel aluminiumhaltige Silikate enthält, mit einer aktivierenden alkalischen Lösung versetzt. Das Ergebnis ist ein anorganisches Bindemittel, das zur Herstellung von Betonprodukten einsetzbar ist und nach der Erhärtung ähnliche Eigenschaften aufweist wie die sonst übliche Zementmatrix.

Positive Materialeigenschaften

Geschäumter Geopolymer-Beton – hergestellt aus industriellen Aschen.

Geschäumter Geopolymer-Beton – hergestellt aus industriellen Aschen.

Tatsächlich scheinen ausgehärtete Geopolymere sogar bessere Materialeigenschaften als Zement zu haben. Am Fraunhofer IBP wurden besonders gute Werte in Sachen Festigkeit sowie Säure- und Tausalzresistenz nachgewiesen. Der erhöhte Säurewiderstand war zum Beispiel bei den oben erwähnten „Next Beton“-Abwasserrohren ein wichtiges Argument für die Hersteller, künftig auf Geopolymere zu setzen.

Geopolymere sind resistenter gegen Säuren, weil sie keinen Kalk enthalten, der sich unter Einfluss aggressiver Chemikalien schnell zersetzt. Forschende der TU Darmstadt fanden zudem bereits vor einigen Jahren heraus, dass sie auch hitzestabiler als Zement sind und daraus hergestellter Beton bereits nach einem Tag ähnliche Druckfestigkeiten aufweisen kann wie hochfester Beton. Weitere Infos zu diesem Thema bietet ein bereits 2017 veröffentlichter Beitrag auf der Website der Technischen Universität (Direktlink hier).

Ausgehärtete Geopolymere sind steinartige Materialien, die aber aus relativ langkettigen Molekülen bestehen. Insofern erinnert ihr chemischer Aufbau an Kunststoffe (Polymere). Deshalb hat sich der Begriff Geopolymer eingebürgert, wobei die Vorsilbe „Geo“ für den mineralischen Feststoff steht. Streng genommen haben Geopolymere mit Kunststoffen aber nichts zu tun. Im Gegenteil: Es handelt sich ja nicht um ein organisches, sondern um ein anorganisches Bindemittel, und dieses besteht aus Mineralmolekülen, nicht aus Kohlenstoffverbindungen.

Pionier der Geopolymere

Als moderner Pionier der Geopolymere gilt übrigens der Chemiker Joseph Davidovits, der schon in den 1970er-Jahren zu diesem Thema forschte. Der Franzose verwendete als Feststoff einen hitzebehandelten Ton – das so genannte Metakaolin. Sein Verfahren war aber aufgrund der notwendigen Hitzebehandlung sehr energieintensiv, und die daraus resultierenden Geopolymere ließen sich schlechter verarbeiten als klassischer Zementleim.

Nicht zuletzt deshalb haben sich die von Davidovits entwickelten Geopolymer-Bindemittel damals nicht durchgesetzt. Mit der neuen Generation von Polymeren scheint das aber anders zu sein. Davidovits selbst sah sich übrigens nicht als Erfinder der Geopolymere, auch wenn er deren Namen geprägt hat. Vielmehr stellte er die – wissenschaftlich umstrittene – These auf, dass bereits die antiken Ägypter beim Bau ihrer Pyramiden künstlich hergestellte Baustoffe mit Geopolymer-Bindemitteln verwendet haben sollen.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

Emissionsarmer Zement: Bauxit statt Kalk

Eine klimafreundliche Alternative zu herkömmlichem Zement haben Forschende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der brasilianischen Universität Pará entwickelt. Bei ihrem...

mehr »
 

Zementfreies Betonkanalsystem

Die Betonwarenhersteller Röser, Berding Beton und Finger Beton wollen noch in diesem Jahr ein komplett zementfreies Betonkanalsystem auf den Markt...

mehr »
 

Betonstein mit 90 % weniger Zement

Rinn hat einen Betonstein entwickelt, der mit 90 % weniger Zement auskommt. Das ermögliche im Vergleich zur klassischen Betonsteinherstellung bis...

mehr »
Nach oben
nach oben