
Bauteile von Abrissgebäuden lassen sich häufig für Neubauten wiederverwenden. Alle Fotos: Drees & Sommer
Neubau mit Altbaustoffen
In Deutschlands Gebäudebestand schlummern riesige Mengen an Baustoffen und Bauelementen, die im Fall eines Abrisses viel zu schade für den Müll sind, da sie für Neubauten wiederverwendet oder zumindest höherwertig recycelt werden könnten. Die Münchner Wohnungsbaugesellschaft GWG hat die Kreislaufwirtschaft fest eingeplant und will sie bei ihren nicht mehr sanierungsfähigen Wohnaltbauten im Stadtteil Ramersdorf umsetzen. Um möglichst viele Rohstoffe aus dem Bestand zu retten, ließ sie für die dortigen Gebäude eine umfassende Stoffstromanalyse durchführen.
Weggeworfene Dinge wie Glas, Papier und Kunststoff wiederzuverwerten, das ist in deutschen Privathaushalten seit Jahrzehnten etabliert. Ganz anders in der Baubranche: Wird ein Gebäude abgerissen, landen die einzelnen Bestandteile größtenteils auf der Deponie oder als minderwertiges Füllmaterial im Straßenbau – eine riesengroße Verschwendung.
Die GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH will das anders machen. Für ihr Entwicklungsgebiet im Münchner Stadtteil Ramersdorf hat sie das Umweltberatungsinstitut EPEA ins Boot geholt, eine Tochter der in Stuttgart ansässigen Bauberatung Drees & Sommer SE. Die Kreislaufspezialisten katalogisieren aktuell sämtliche Materialien und Baustoffe der Altbausubstanz und prüfen deren Wiederverwertbarkeit.
Stoffstromanalysen im Bestand

Die Bestandsgebäude in München-Ramersdorf wurden einer Stoffstromanalyse unterzogen.
„Aufgrund der Gebäudesubstanz ist eine Sanierung der Immobilien nicht möglich“, erklärt Rositsa Doneva, Teamleiterin Klimaschutz der GWG, die Situation des Ramersdorfer Wohnbaubestandes. „Zudem wollen wir mehr Wohnfläche schaffen und in den nächsten Jahren insgesamt 900 Wohnungen bauen. Die alten Häuser müssen daher modernen und energetisch optimierten Gebäuden weichen.“
Um möglichst viele Rohstoffe aus dem Bestand zu retten, ließ die GWG für alle Altbaubestandteile so genannte Stoffstromanalysen erstellen. Dabei geht es darum, die verbauten Materialien umfassend zu analysieren – von ihrer Gewinnung über die Verarbeitung bis hin zu einer möglichen Wiederverwertung oder Entsorgung.
„Die Baubranche verschlingt hierzulande etwa 90 % der geförderten mineralischen Rohstoffe und verursacht gleichzeitig mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens“, erläutert EPEA-Mitarbeiter Matthias Heinrich. „Wertvolle Materialien landen bei Umbau oder Abriss auf dem Müll, während bei Neubauvorhaben teilweise dieselben Materialien teuer bezahlt werden.“
Das will die GWG nun ändern. Dafür bedarf es zunächst der angesprochenen Stoffstromanalysen. Rositsa Doneva: „Durch die Stoffstromanalyse können wir überhaupt erst abschätzen, welche Bauteile wir in unseren eigenen Neubauvorhaben wieder einsetzen können, welche Materialien sich für eine Baustoffbörse eignen oder ob sogar eine Hersteller-Rücknahme sinnvoll ist“.
Stoffstromanalysen sind bereits heute auch häufig Bestandteil der Ökobilanzen von Baustoffen. Anders als Letztere sind sie aber nicht international genormt. In der Praxis gibt es unterschiedliche Verfahren zur Erstellung von Stoffstromanalysen. Die Variante, die in Ramersdorf zum Einsatz kommt, wurde von Andrea Heil und Matthias Heinrich entwickelt. Die Beiden sind beim Umweltberatungsinstitut EPEA für die Themen kreislauffähiges Bauen und Urban Mining zuständig.
Bei der noch relativ jungen Begriffsschöpfung Urban Mining („Bergbau in der Stadt“) geht es genau um das, was derzeit in Ramersdorf geschieht: den Wert der Sekundärrohstoffe, die in riesigen Mengen in urbanen Abbruchgebäuden stecken, zu erkennen und diese – aufbereitet als Recyclingbaustoffe – verstärkt für den Neubau zu nutzen. Das Umweltbundesamt spricht in diesem Zusammenhang von einer „strategischen Bewirtschaftung“ der in unseren Städten lagernden Sekundärrohstoffe. Weitere Infos zu diesem Thema bietet der BaustoffWissen-Beitrag „Was ist Urban Mining?“.
Wiederverwendung spart Kosten

Trotz hübscher Fassadenmalereien ist Abriss und Neubau die einzige Lösung in Ramersdorf.
Beim Altbaubestand in Ramersdorf lieferten die Stoffstromanalysen positive Ergebnisse bezüglich des Recycling-Potenzials der vorhandenen Bausubstanz. „Sofern sie keine Schadstoffe enthalten, lassen sich beinahe alle Baustoffe wiederverwenden oder zumindest höherwertig recyceln“, fasst EPEA-Mitarbeiterin Andrea Heil zusammen. „Zudem zeigt die Analyse mögliche Verwertungswege für die vorhandenen Bauteile auf.“
Das betrifft zum Beispiel die Fenster, von denen es in der alten Wohnanlage insgesamt 147 gibt. Bauelemente, die bereits den aktuellen energetischen Anforderungen entsprechen, lassen sich problemlos in anderen Gebäuden wiederverwenden. „Falls nicht, können sie immer noch ein zweites Leben bekommen – etwa als Trennwände im Innenbereich oder bei Gewächshäusern“, sagt Rositsa Doneva.
Auch noch ausgefallenere Kreislauf-Lösungen sind nach Ansicht der GWG-Mitarbeiterin denkbar. Sie nennt in diesem Zusammenhang das Beispiel der ehemaligen Kellerfenstergitter der Stadtbücherei Augsburg. Diese dienen heute als Startrampen einer Mountainbike-Strecke am Bodensee. Neben Fenstern seien auch Türen, Dachziegel oder Treppengeländer oftmals viel zu schade für den Bauschuttcontainer und besser auf Baustoffbörsen aufgehoben, wo sie oft neue Besitzer finden.
Die Wiederverwendung von Altbaustoffen hilft gleich mehrfach, Baukosten abzusenken. Man spart entweder, weil weniger neue Baustoffe gekauft werden müssen oder weil sich ein Teil der Kosten durch den Verkauf von Altbaustoffen deckeln lässt. Man spart aber auch, weil Entsorgungskosten entfallen. Die Entsorgung eines 5 m3 großen Containers mit gemischtem Bauschutt kostet aktuell beispielsweise bis zu 400 Euro. Ein Weiterverkauf bringt dagegen Geld ein. Im Durchschnitt erzielen Dachziegel 50 Cent pro Stück. Aufbereiteter Betonbruch schlägt mit 8,50 Euro pro Kubikmeter zu Buche. Ein Kilogramm Stahlschrott ist etwa 20 bis 30 Cent wert.
Materialausweise für Neubauten
Das Verfahren der Stoffstromanalysen bei Altbauten ist natürlich oft mühselig. Die Bestandsgebäude offenbaren meist nicht auf den ersten Blick, was so alles Wertvolles in ihnen steckt. „Es gibt Fälle, in denen muss auch stichprobenartig ein Loch in die Wand gebohrt werden, um zu prüfen, was wirklich dahinter ist“, so EPEA-Experte Matthias Heinrich.
Bei künftigen Neubauten wäre es daher sinnvoll, von Anfang an genau zu dokumentieren, welche Materialien in ihnen an welchen Stellen verbaut sind. Ob man solche (digitalen) Dokumentationen dann Materialausweise, Gebäude-Materialkataster oder zum Beispiel Gebäuderessourcenpässe nennt, ist zweitrangig. Hauptsache es existieren künftig Nachweise, die genau dokumentieren, welche Produkte und Materialien in Neubauten eingesetzt wurden, wie groß ihr ökologischer Fußabdruck ist und welchen Wert sie haben.
Noch sind derartige Materialausweise nicht verpflichtend, aber beim Umweltberatungsinstitut EPEA hofft man auf eine politische Regulierung in diese Richtung. Die Kreislaufwirtschaftsexperten haben jedenfalls bereits einige Ausweise für Neubauten erstellt: Das Bürogebäude „The Cradle“ in Düsseldorf, das Wohnhochhaus Moringa in Hamburg und die neue Drees & Sommer-Firmenzentrale sind – wenn es irgendwann zum Umbau oder Abriss kommt – bereits ausgewiesen wiederverwertbar.
Auch für die geplanten GWG-Neubauten soll dies künftig gelten. „Unser Anspruch ist, dass der Gebäuderessourcenpass nicht eine Formalie gegenüber Behörden und Banken wird, sondern einer lebenszyklusorientierten und ressourcenschonenden Bewirtschaftung dienen kann“, betont Rositsa Doneva.
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