RM Rudolf Müller
Bauten aus Kalksandstein, Leichtbeton und Porenbeton speichern viel Kohlendioxid.  Grafik: DGfM

Bauten aus Kalksandstein, Leichtbeton und Porenbeton speichern viel Kohlendioxid.  Grafik: DGfM

Forschung, Technik und Trends
15. Dezember 2022 | Artikel teilen Artikel teilen

Studie: Mauerwerk speichert Kohlendioxid

Das politische Ziel, Gebäude bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu errichten, ist auch mit mineralischen Baustoffen zu erreichen – zumindest, wenn es um zement- oder kalkgebundene Mauersteine geht. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau wird diese These durch eine aktuelle Studie belegt, die das Fraunhofer Institut für Bauphysik gemeinsam mit der TU München erstellt hat.

Ein wesentliches Bewertungssystem für die Klimabilanz von Gebäuden sind Ökobilanzen, die Bauwerke über deren gesamten Lebenszyklus betrachten. Dabei sind Aspekte der Senkung von Treibhausgasemissionen und der CO2-Speicherung im Gebäude mit zu berücksichtigen. Bei biobasierten Baustoffen wie etwa Holz beziehungsweise bei Gebäuden in Holzbauweise wird das seit Jahren umgesetzt, indem die temporäre Speicherwirkung für biogen gebundenes CO2 in der Ökobilanz abgebildet wird. Das Speicherpotenzial von Mauerwerk findet dagegen bislang keine Beachtung.

Rund 1.000-seitige Studie

Darstellung des Kohlendioxid-Kreislaufs bindemittelgebundener Bauprodukte. Grafik: LCEE GmbH

Darstellung des Kohlendioxid-Kreislaufs bindemittelgebundener Bauprodukte. Grafik: LCEE GmbH

„Dass auch Baustoffe wie Mauerwerk eine CO2-Speicherwirkung haben, stand – im Gegensatz zur CO2-Speicherwirkung von Holz – beim öffentlichen Nachhaltigkeitsdiskurs bisher nicht im Fokus, obwohl die materialtechnologischen Hintergründe der Recarbonatisierung seit Jahren bekannt und unstrittig sind“, sagt Dr. Sebastian Pohl von der Life Cycle Engineering Experts GmbH (LCEE).

Recarbonatisierung ist die Fähigkeit, Kohlendioxid zu binden. Diese natürliche chemische Reaktion findet auch in zement- und kalkgebundenen Baustoffen statt. Bei der Herstellung von Zement und Branntkalk wird zwar zunächst viel Kohlendioxid freigesetzt, die Baustoffe nehmen aber im Verlaufe ihres Produktlebenszyklus dieselbe Menge des Klimagases wieder auf. In den aus den mineralischen Baustoffen errichteten Gebäuden bleibt es dauerhaft gespeichert.

Wie die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) im November in einer Pressinfo mitteilte, wird dieses Speicherpotenzial im Rahmen der umfangreichen neuen Studie „Potenziale im Mauerwerksbau“ nun erstmals wissenschaftlich belegt. Die Arbeit wurde vom Fraunhofer Institut für Bauphysik und der TU München im Auftrag der DGfM erstellt und besteht aus drei Teilen. Schon der erste Teil („Literaturanalyse“) ist 160 Seiten lang und steht hier zum kostenlosen Download bereit. Teil 2a befasst sich auf 467 Seiten mit dem „Status Quo“ (Download-Link). In Teil 2b schließlich geht es auf weiteren 429 Seiten um die „Zukunftsszenarien“. Auch er ist als kostenloses Download-PDF erhältlich.

Mehr- und Einfamilienhäuser untersucht

Der Nachweis der Recarbonatisierung in Kalksandstein erfolgt mithilfe von Phenolphthalein. Grafik: DGfM

Der Nachweis der Recarbonatisierung in Kalksandstein erfolgt mithilfe von Phenolphthalein. Grafik: DGfM

In der Studie werden unter anderem lebenszyklusorientierte Ökobilanzen für verschiedene Typengebäude (Mehrfamilien- und Einfamilienhaus) durchgeführt. Über Betrachtungszeiträume von 50 und 80 Jahren wurden dabei Gebäude aus verschiedenen Wandbaustoffen untersucht: Kalksandstein, Ziegel, Leichtbeton und Porenbeton sowie Stahlbeton, Holzmassivbau und Stahlbeton mit vorgehängten Holzrahmentafeln.

Ein Ergebnis der Berechnungen ist, dass Wandbildner aus Kalksandstein, Leichtbeton und Porenbeton in der Lage sind, pro Tonne Mauerwerk bis zu 150 kg CO2-Äquivalente dauerhaft zu speichern. „Bereits heute sind in den seit 1970 errichteten Bauten aus Kalksandstein, Leichtbeton und Porenbeton rund 31 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente durch die Recarbonatisierung gebunden“, erläutert Matthias Günter vom Pestel Institut und fügt hinzu: „Wenn künftig, wie im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre weiter gebaut wird, steigt die gebundene Menge an CO2– Äquivalenten bis 2050 auf gut 52 Mio. Tonnen. Und diese CO2-Bindung bleibt im Unterschied zur thermischen Entsorgung von Holz auch beim Abbruch der Gebäude erhalten“.

Fokus auf erneuerbare Energien gefordert

Über 40 % aller Wohnungsbauten werden seit Jahrzenten in Deutschland aus zement- und kalkgebundenen Mauersteinen errichtet. Bei diesen Gebäuden entfallen nach Angaben der DGfM anteilig nur 10 % aller Treibhausgasemissionen auf die Konstruktionen aus Mauerwerk, und durch Recarbonatisierung werden diese Emissionen über den Lebenszyklus auch noch halbiert. Nahezu zwei Drittel der Treibhausgas-Emissionen seien dagegen – beim heutigen Energiemix – durch die Gebäudenutzung verursacht.

Die DGfM fordert vor diesem Hintergrund, bei der Klimaneutralität im Gebäudebereich den Fokus auf das Energiesparen im Gebäudebetrieb beziehungsweise auf die Nutzung erneuerbarer Energien zu legen. Eine wesentliche Stellschraube zum Erreichen der Netto-Null-Emissionen läge zudem in der Umstellung der Produktionsprozesse der Mauerwerksindustrie auf grünen Wasserstoff oder grünen Strom.

Recarbonatisierung in Kombination mit dem Einsatz erneuerbarer Energien ermögliche klimaneutrales Bauen mit Mauerwerk – schlussfolgert die DGfM. Von der Politik fordert sie, das CO2-Speicherpotenzial von mineralischen Baustoffen in der Lebenszyklusbewertung gleichwertig zu anderen Baustoffen, insbesondere Holz, zu betrachten.


 

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