
Die recyclingfähigen Holzfaserplatten sind durchaus biegefest. Foto: Studio Sofia Souidi
Faserholz mit Kasein-Bindemittel
Bei der Möbelherstellung, aber auch im Innenausbau kommen häufig mitteldichte Faserplatten zum Einsatz – als preiswerte Alternative zu Vollholz. Diese Faserholzplatten haben viele Vorteile, enthalten bisher aber meist Kunstharz-Bindemittel, die häufig Formaldehyd ausgasen. Doch es geht auch anders: In einem Forschungsprojekt werden derzeit Holzfaserplatten entwickelt, die als Bindemittel nachhaltiges Kasein (Milchprotein) enthalten.
Mitteldichte Faserplatten (MDF) gehören zu den harten Faserholzplatten und werden aus stark zerkleinertem Holz unter Beimischung von Klebstoffen hergestellt. Nach Spanholzplatten sind sie die am meisten verwendeten Holzwerkstoffe. Ihr Anwendungsspektrum ist riesig und reicht vom Möbel- und Türbau über Trägerplatten für Laminatböden sowie Wand- und Deckenpaneele bis hin zu Schalungsplatten für Unterdächer. Auch bei der Ausstattung von Fertighäusern und „Tiny Houses“ sowie im Messebau spielt MDF eine große Rolle.
Bindemittel aus Milchprotein
MDF-Platten haben viele vorteilhafte Eigenschaften. Bei Schwankungen der Temperatur und Luftfeuchte im Raum verziehen sie sich kaum. Dank ihrer homogenen Struktur und glatten Oberfläche lassen sie sich einfach verleimen sowie problemlos streichen und mit Furnieren oder Folien beschichten. Zur Verklebung der Holzfasern kommen bei herkömmlichen MDF-Platten allerdings meist Kunstharze wie Harnstoff- und Phenolharz zum Einsatz. Diese erschweren nicht nur ein späteres Recycling der Platten, sondern verursachen in vielen Fällen auch die Ausgasung von VOC-Gefahrstoffen wie zum Beispiel Formaldehyd.
Ganz anders sieht das bei den Faserholzplatten aus, welche die Designerin Sofia Souidi derzeit mit Unterstützung des Fraunhofer Instituts für Holzforschung Wilhelm-Klauditz-Institut (Fraunhofer WKI) entwickelt. Das im Juli 2019 gestartete Forschungsprojekt läuft noch bis August dieses Jahres. Die aktuelle zweite Projektphase wird übrigens von der IKEA-Stiftung gefördert. Die im Rahmen der Forschungsarbeit entstehenden Faserholzplatten sollen alle Vorteile herkömmlicher MDF-Platten aufweisen, zugleich aber ein formaldehydfreies Bindemittel enthalten, das keinerlei Giftstoffe absondert.
Um dies zu gewährleisten, setzen die Projektverantwortlichen auf einen Leim auf Basis des natürlichen Milchproteins Kasein. „Kombiniert mit Holzfasern entsteht daraus ein Material, das wie MDF verarbeitet werden kann – wir nennen es Superwood“, berichtet Dr. Steffen Sydow, Projektleiter am Fraunhofer WKI. „Es lässt sich sowohl zu Platten als auch zu Formteilen pressen und kann daher für den Möbelbau und in der Architektur eingesetzt werden.“
Recyclingfähiges Recyclingprodukt
Das neue Faserholzmaterial besteht komplett aus recycelten Komponenten. Zum einen werden nur recycelte Holzfasern aus Altholz verwendet, zum anderen lässt sich auch das Kasein aus einem Abfallprodukt herstellen. Wegen strenger Hygieneauflagen werden in Deutschland nämlich jedes Jahr rund 2 Mio. Liter Milch entsorgt. Daraus lasse sich künftig Kasein extrahieren – argumentiert das Fraunhofer WKI in einer Pressemitteilung. Geschieht es so, würde der Kaseinleim also ohne Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion aus einem vorhandenen Abfallprodukt hergestellt werden.
Superwood soll aber nicht nur aus Recyclingmaterialien hergestellt werden, sondern später auch selbst wieder recyclingfähig sein. Um dies zu gewährleisten, haben Sofia Souidi und Steffen Sydow bereits ein Konzept für die Verwertung des Materials nach Ende der Nutzungszeit erarbeitet. Auch hier punktet das Kasein-Faserholz gegenüber vielen anderen Holzwerkstoffen, die nach der ersten Nutzungsphase nur verbrannt oder deponiert werden können.
Vielfältig gestalt- und einsetzbar

Superwood bietet vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Foto: Studio Sofia Souidi
Aus Sicht von Souidi und Sydow bietet Superwood der Holzwerkstoffindustrie sowie Unternehmen im Bereich Möbelherstellung, Innenarchitektur, Messebau und Veranstaltungsorganisation die Möglichkeit, die zunehmend strengeren Anforderungen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Formaldehyd-Emissionen einzuhalten.
Das Material lässt sich zudem in vielen unterschiedlichen optischen Varianten herstellen. Um auch hier nachhaltige Lösungen anbieten zu können, wurde zum Beispiel die Beimischung andersfarbiger Forst- und Produktionsabfälle erfolgreich erprobt. Natürlich lässt sich das Design auch mit herkömmlichen Farbpigmenten oder Granulaten variieren. Auch Marmoreffekte, grafische Elemente oder an Terrazzo erinnernde Strukturen sind möglich.
Nach Ansicht von Designerin Sofia Souidi könnte Superwood auch als vielseitig gestaltbare Alternative zu Gipskartonplatten im Innenausbau verwendet werden. Das wäre zum Beispiel eine interessante Idee für die Innenarchitektur von Tiny Houses, in denen großflächig Material neu verbaut wird. Auch im Innenausbau von Wohnmobilen und Wohnwagen könnte sich das Material künftig bewähren – zumal es sich auch gut zu 3D-Formteilen pressen lässt.
Kasein in Farben, Putzen und Biokunststoffen
Kasein in Faserholz mag neu sein, als Bindemittel allerdings kann das Milchprotein bereits auf eine lange Geschichte zurückblicken. Bereits die alten Ägypter nutzten es als Klebstoff für den Möbel- und Bootsbau. Aber auch in der Welt moderner Naturbaustoffe hat das Milchprotein seinen festen Nischenplatz – wie unser Beitrag „Kasein in Farben und Putzen“ zeigt. Übrigens lässt sich Kasein als Bindemittel nicht nur aus Milch, sondern auch aus Pflanzen herstellen, vor allem aus eiweißreichen Hülsenfrüchten wie Soja, Erbsen und Lupinen.
Auch bei den ersten Biokunststoffen, die bereits im 19 Jahrhundert entwickelt wurden, spielte Kasein eine wichtige Rolle. Lange Zeit war es üblich, Kleiderknöpfe, Bauklötze oder auch Besteckgriffe aus Galalith („Kunsthorn“) zu fertigen. Dabei handelt es sich um einen Biokunststoff, der im Wesentlichen aus Milch hergestellt wird. Dafür lässt man Kasein mit Formaldehyd reagieren. Mehr Infos zu diesem Thema bietet unser Beitrag „Überblick: Kunststoffe im Bauwesen“.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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