RM Rudolf Müller
TABSOLAR-Elemente könnten die Solarthermie an der Fassade voranbringen.  Bild: Priedemann Fassadenberatung GmbH

TABSOLAR-Elemente könnten die Solarthermie an der Fassade voranbringen.  Bild: Priedemann Fassadenberatung GmbH

Energetisches Bauen
19. Juni 2023 | Artikel teilen Artikel teilen

Fassadenelemente als Wärmequelle

Im Rahmen des Projekts „TABSOLAR“ erforscht das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme solarthermisch wirkende Fassadenelemente. Dabei handelt es sich um architektonisch gestaltbare Betonbauteile, die zugleich Sonnenenergie und Umweltwärme aufnehmen. Diese lässt sich dann an eine Wärmepumpe weitergeben. Der aktuelle Entwicklungsstand des Projekts wurde im April auf der Messe BAU 2023 in München vorgestellt.

TABSOLAR-Elemente sind neuartige solarthermische Komponenten, die das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (Fraunhofer ISE) als verglaste oder nicht verglaste Fassadenbekleidungen entwickelt hat. Die Abkürzung „TAB“ steht für „thermoaktive Bauteilsysteme“. Das ist der technische Oberbegriff für Bauteile, die von einer wärmespeichernden Flüssigkeit durchströmt werden. Das Grundprinzip ist schon seit Längerem von der klassischen Bauteilaktivierung bekannt.

Thermoaktives Bauteilsystem

Das Fassadenelement-System im Detail. Bild: Priedemann Fassadenberatung GmbH

Das Fassadenelement-System im Detail. Bild: Priedemann Fassadenberatung GmbH

Die Fassadenelemente, um die es bei TABSOLAR geht, enthalten als eigentliches Wärmeabsorber-Element eine dünne Platte aus Ultrahochleistungsbeton (UHPC), die von einem filigranen Kanalnetz durchzogen wird. In den Kanälen fließt ein Solarfluid, das Wärme durch Sonneneinstrahlung oder aus der Umgebung aufnimmt. Über einen Wärmetauscher lässt sich die im Betonfertigteil zwischengespeicherte Umweltwärme an einen Wärmepumpenkreislauf weitergeben.

Bei der herkömmlichen Bauteilaktivierung werden Rohre in Wände, Decken oder Böden integriert und mit warmem – oder bei Bedarf auch kaltem – Wasser gefüllt. So entsteht eine Flächenheizung beziehungsweise -kühlung für Innenräume. Auch diese klassische Bauteilaktivierung basiert häufig auf dem Baustoff Beton. Es gibt aber zum Beispiel auch Kalksandstein-Plansteine oder spezielle Ziegelschalen mit entsprechenden Rohrsystemen.

Neu an TABSOLAR ist, dass es sich um Bauteile für die Fassade handelt und dass diese Elemente nicht mit einer bereits warmen Flüssigkeit gefüllt werden, sondern die Wärme solarthermisch selbst erzeugen. Neu ist zudem, dass die Fassadenelemente aus dem extrem festen und dichten Betonmaterial UHPC bestehen (Ultra High Performance Concrete). Und neu ist schließlich auch, dass man in die TABSOLAR-Elemente gar keine Rohre einführen muss. Das Solarfluid fließt vielmehr direkt durch das im Betonkörper integrierte Kanalsystem. Mit Normalbeton wäre das nicht möglich, wohl aber mit dem besonders dichten UHPC.

Als Niedertemperatur-Wärmequellen für Wärmepumpen sollen die durchströmbaren Fassadenelemente eine geräuschlose, optisch ansprechende Alternative zu Außenlufteinheiten von Luft-Wasser-Wärmepumpen darstellen. „Unseren Simulationen zufolge können die verfügbaren Fassadenflächen bei Neubauten oder sanierten Bestandsgebäuden für diesen Zweck ausreichen“, erklärt Dr.-Ing. Michael Hermann, Projektleiter am Fraunhofer ISE.

Bionisches Kanalsystem

Rückseite eines Ultrahochleistungsbeton-Elements mit bionischer Kanalstruktur. Bild: G.tecz Engineering GmbH

Rückseite eines Ultrahochleistungsbeton-Elements mit bionischer Kanalstruktur. Bild: G.tecz Engineering GmbH

Beim Design des Kanalsystems hat sich das Fraunhofer ISE von der Natur inspirieren lassen. Nach Angaben der Forschenden handelt es sich um mehrfach verzweigte Strukturen, wie sie auch bei Blutbahnen oder in Blättern vorkommen. Dieses Design ermöglicht eine gleichmäßige Durchströmung der Fassadenelemente, die zugleich nahezu beliebige Formen annehmen können. Es erfordert zudem einen vergleichsweise geringen Energieaufwand für die ans System angeschlossene Wärmepumpe.

Wie aber kommt ein solches, von natürlichen Organismen abgeschautes „bionisches“ Kanalnetzwerk in den ultrahochfesten Beton? Dafür hat das Fraunhofer ISE zusammen mit seinen Industrie- und Forschungspartnern das so genannte Membran-Vakuumtiefziehverfahren entwickelt. Diese Verfahren soll im aktuell laufenden Forschungsprojekt TABSOLAR III weiter verbessert werden. Zudem wollen die Forschungspartner sowohl Planung und Fertigung als auch Montage und Betrieb der neuen Fassadenelemente unter Einbeziehung aller beteiligten Gewerke in der realen Praxis testen. Die geplante Demonstrationsfassade soll dann einem Monitoring unterzogen werden.

Das aktuell laufende dritte Teilprojekt ist die Fortsetzung der Vorgängerprojekte TABSOLAR (2012–2014) und TABSOLAR II (2015–2019). Das Gesamtprojekt wird vom Bundeswirtschaftsministerium finanziell gefördert. Die Abschlussberichte der bereits beendeten Projekte stehen hier als kostenlose PDF zum Download bereit.

Zwei Elementvarianten

In der nicht verglasten Design-Variante werden die Betonoberflächen strukturiert oder farblich gestaltet. Bild: Fraunhofer ISE

In der nicht verglasten Design-Variante werden die Betonoberflächen strukturiert oder farblich gestaltet. Bild: Fraunhofer ISE

Auf der diesjährigen BAU 2023 hat das Fraunhofer die solarthermischen Fassadenelemente in zwei Varianten präsentiert. Die unverglaste Variante („TABSOLAR Design“) hat den Vorteil, dass man sie individuell mit verschiedensten Strukturen und Farben versehen kann. Wie der Name schon sagt, steht das Design hier stärker im Vordergrund. Die Elemente eignen sich als Wärmepumpen-Quelle, aber nicht unbedingt zur Trinkwarmwasserbereitung – allenfalls zur Trinkwarmwasser-Vorerwärmung.

Die verglaste Variante „TABSOLAR Premium“ dagegen erreicht höhere Temperaturen und eignet sich daher – wie klassische Solarthermie-Kollektoren – grundsätzlich auch für die Trinkwassererwärmung und Heizungsunterstützung. Das Premiummodell ist mit einer spektralselektiven Beschichtung sowie Antireflexglas ausgestattet, was auch Standard bei herkömmlichen Solarthermie-Flachkollektoren ist, bei denen die Wärme in der Regel über einen dunklen Metallblech-Absorber an das Solarfluid weitergegeben wird. Spektralselektive Beschichtungen tragen dazu bei, dass der Kollektor mehr Solarstrahlung absorbiert und weniger Wärme durch Infrarotstrahlung verliert.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Im TABSOLAR-Projekt liegt der Fokus aktuell auf der Entwicklung von vorgefertigten Elementen für vorgehängte hinterlüftete Fassaden (VHF). Nach Angaben des Fraunhofer ISE ist das Prinzip perspektivisch aber auch auf WDVS-Fassaden übertragbar. Zudem ist der Einsatz im Gebäudeinnern ebenfalls ein Thema. Hier arbeitet das Fraunhofer ISE an der Produktfamilie „TABSOLAR Heat & Cool“, die als Ergänzung zur klassischen Betonkernaktivierung zum Heizen oder Kühlen in Innenräumen gedacht ist.

In erster Linie aber wollen die Forschenden mit TABSOLAR-Elementen die Einsatzmöglichkeiten von Solarthermie an der Gebäudefassade vergrößern. Herkömmliche solarthermische Module befestigt man meist auf der Dacheindeckung. Viele Menschen empfinden sie dort als Fremdkörper, die das Erscheinungsbild der Gebäude verschandeln. Wenn es nun gelänge, Solarthermie optisch ansprechend in die Hausfassade zu integrieren, wäre das aus ästhetischer Sicht ein Vorteil.

Dieser Text ist eine Aktualisierung des BaustoffWissen-Beitrags „Aus der Forschung: Solarkollektoren aus Beton“ von März 2017.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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