
Testklassenzimmer: rechts mit emissionsgeprüften, links mit ungeprüften Baustoffen. Foto: TÜV Rheinland
Wohngesunde Schule: Modellprojekt zeigt neue Wege auf
Schüler könnten in einer viel gesünderen Umgebung lernen, wenn bei Neubau oder Sanierung von Schulen mehr Wert auf den Aspekt der Wohngesundheit gelegt würde. Durch die bewusste Auswahl geprüfter Bauprodukte lässt sich die Innenraumbelastung mit Schadstoffen nämlich deutlich senken. Das hat ein gemeinsames Modellprojekt vom Sentinel-Haus-Institut und TÜV Rheinland gezeigt.
Das Thema Wohngesundheit ist in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus von Bauherren, Planern und Unternehmen der Baustoffbranche gerückt. Das liegt nicht zuletzt an der erfolgreichen Aufklärungsarbeit des Freiburger Sentinel-Haus-Instituts (SHI) zu diesem Thema. Wobei „Aufklärungsarbeit“ viel zu kurz gegriffen ist. Schließlich zeigt das SHI mit seinen Aktivitäten auch ganz praktisch, dass wohngesunde Gebäude keine ökologische Utopie sind, sondern sich bereits heute ohne große Mehrkosten realisieren lassen.
Bessere Innenraumluft ist möglich
In Deutschland sind in den vergangenen zehn Jahren bereits zahlreiche Gebäude nach dem Sentinel-Haus-Konzept entstanden. Dabei kommen geprüfte, wohngesunde Baustoffe für Wand, Decke und Boden zum Einsatz, die nur sehr geringe Mengen gesundheitsbelastender chemischer Substanzen ausgasen. Möglich wurde das, weil das SHI ein Verfahren entwickelt hat, mit dem Bauunternehmen ihren Kunden unabhängig von Bauweise und Typ des Gebäudes unter Verwendung handelsüblicher Baustoffe eine festgelegte Qualität der Innenraumluft vertraglich garantieren können.
Bei den bisherigen Referenzgebäuden handelt es sich überwiegend um Wohnhäuser, doch das SHI will den Gedanken der Wohngesundheit auch in anderen Bereichen voranbringen – zum Beispiel in Schulen. Hintergrund: In neu errichteten oder sanierten Bildungsbauten haben sich in den letzten Jahren die Fälle gehäuft, in denen Schüler zum Beispiel über Kopfschmerzen, Übelkeit oder unangenehme Gerüche klagen. Als Ursache werden Schadstoffe wie Formaldehyd oder flüchtige organische Stoffe (VOC) aus den verwendeten Bauprodukten vermutet. Hinzu kommt ein hoher Luftgehalt an Kohlendioxid durch mangelhafte Lüftung. Um wissenschaftlich nachzuweisen, wie groß der Handlungsbedarf in Deutschlands Klassenzimmern ist, hat das SHI zusammen mit dem TÜV Rheinland das Modellprojekt „Gesunder Lebensraum Schule“ durchgeführt.
Modellprojekt „Gesunder Lebensraum Schule“

Der Raum mit den gezielt ausgewählten Baustoffen ist deutlich weniger schadstoffbelastet. Grafik: Sentinel Haus Institut /TÜV Rheinland
Das Modellprojekt sollte unter anderem zeigen, wie sehr die Auswahl von Bauprodukten die Qualität der Innenraumluft beeinflusst. Dafür wurden auf dem Kölner Firmengelände des TÜV Rheinland zwei gleich große Modellklassenzimmer aufgebaut und mit Messtechnik ausgestattet. Eines der Zimmer wurde komplett mit sorgfältig ausgewählten, emissionsgeprüften Bauprodukten – vom Wandbaustoff über den Fußbodenaufbau bis hin zur Deckenverkleidung – ausgestattet. Das zweite Zimmer wurde dagegen aus Baustoffen errichtet, die nicht explizit auf Schadstoffemissionen untersucht waren. Anschließend wurde über mehrere Monate die Schadstoffkonzentration in der Innenraumluft gemessen. Im April 2015 fand schließlich die Präsentation der Ergebnisse des Modellprojekts statt.
Eindeutige Ergebnisse
Die Ergebnisse waren eindeutig: In dem Modellklassenzimmer mit den Baustoffen, die nicht auf Schadstoffemissionen geprüft waren, waren die Messwerte für die unter anderem aus Farben, Lacken und Klebern ausgasenden VOC zum Teil sehr hoch. Der Empfehlungswert des Umweltbundesamtes von 300 Mikrogramm VOC pro Kubikmeter wurde direkt nach den Malerarbeiten oder der Erneuerung des Fußbodens bis um das 300-fache überschritten. Bei Formaldehyd wurde mit bis zu 1.300 Mikrogramm je Kubikmeter eine mehr als 20-fache Überschreitung des Empfehlungswertes der Weltgesundheitsorganisation WHO registriert.
In dem Testklassenzimmer, das mit gezielt ausgewählten, wohngesunden Baustoffen eingerichtet wurde, ergab sich dagegen ein komplett anderes Bild. Die Empfehlungswerte für VOC und Formaldehyd wurden dort bereits sieben Tagen nach der Verarbeitung der Baustoffe dauerhaft unterschritten. „Dabei ist das schadstoffarme Bauen im Vergleich nur unwesentlich teurer“, betont Peter Bachmann, Geschäftsführer des Sentinel-Haus-Instituts. Dennoch würden die Empfehlungen des Umweltbundesamts in der Praxis bisher selten berücksichtigt, auch weil das fachliche Know-how bei den Ausführenden leider oft fehle – so der Experte.