RM Rudolf Müller
Phaeno Science Center

Beim Phaeno Science Center in Wolfsburg wurden unter anderem die trichterförmigen Raumstützen mit selbstverdichtendem Beton realisiert.

Grundstoffe des Bauens
20. Februar 2014 | Artikel teilen Artikel teilen

Selbstverdichtender Beton erspart die Verdichtungsarbeit

Die beste Betonrezeptur nutzt wenig, wenn das Material im Zuge des Einbaus nicht ausreichend verdichtet wird. Durch Rütteln, Stampfen oder Stochern versuchen die Verarbeiter, den Frischbeton so weit wie möglich zu entlüften. Je weniger Luftporen verbleiben, umso höher die Druckfestigkeit. Doch die Verfahren zur Verdichtung sind oft aufwändig, insbesondere bei dichter Stahlbewehrung oder wenn die Bauteile wegen ihrer Form oder Lage schwer zugänglich für die Rüttelmaschinen sind. Doch mittlerweile gibt es eine Alternative: selbstverdichtender Beton.

Es waren die Japaner, die Ende der 1980er-Jahre als erste mit dieser neuen Betonart zu experimentieren begannen. In Deutschland wurde das Material erstmals beim 2005 eröffneten Phaeno Science Center in Wolfsburg im größeren Maßstab eingesetzt (siehe Foto). Selbstverdichtender Beton (SVB) ist im ungehärteten Zustand extrem fließfähig und füllt daher in Betonschalungen oder beim Einbetonieren von Stahlbewehrungen sämtliche Hohlräume praktisch von selbst aus. Dabei entlüftet er auch automatisch, allein durch die Wirkung der Schwerkraft, sodass keine Verdichtung durch Rütteln, Stampfen oder Stochern mehr notwendig ist. So entsteht mit wenig Arbeitsaufwand ein weitgehend porenfreies, dichtes Betongefüge.

Neuartige Rezeptur

Die enorme Fließfähigkeit ist nur möglich, weil sich die Rezeptur von SVB in einigen Punkten grundsätzlich von Normalbeton unterscheidet. Zum einen kommen bauchemische Zusatzmittel zum Einsatz, in der Regel Betonverflüssiger auf Basis von Polycarboxylatether. Außerdem enthält das Material im Vergleich zu Normalbeton weniger grobe Gesteinskörnungen und stattdessen mehr Mehlkorn.
Als Mehlkorn bezeichnet man die kleinsten Bestandteile von Betonmischungen, die zwischen 0 und 0,125 mm groß sind. Das sind die kleinsten Gesteins- und Sandzuschläge, der Zement sowie gegebenenfalls Zusatzstoffe wie Trass oder Flugasche. Der Anteil von Mehlkorn ist in SVB durchschnittlich um ein Drittel höher als bei Normalbeton. Der Anteil des Zements und der Wasserzementwert (Verhältnis zwischen der Masse des Anmachwassers und der Masse des Zements) unterscheiden sich dagegen in der Regel nicht wesentlich von Normalbeton.
SVB hat den großen Vorteil, dass er vor allem bei Bauteilen mit schwer zugänglichen Schalungsgeometrien deutlich einfacher zu verarbeiten ist. Sein höherer Preis wird also dadurch relativiert, dass keine Verdichtungsarbeit mehr anfällt. Das spart Arbeitszeit auf der Baustelle und vermindert die Kosten im Bereich des Maschineneinsatzes (Rüttler). Zugleich zeigen die bisherigen weltweiten Erfahrungen, dass sich mit SVB auch sehr hohe Betonfestigkeiten erzielen lassen. Allerdings sind die Qualität und das richtige Mengenverhältnis der Einzelkomponenten entscheidend, damit sich die genannten positiven Eigenschaften auch wirklich ausbilden können. Während bei Normalbeton eine „suboptimale“ Zutatenmischung in einem gewissen Rahmen durch das Verdichten noch ausgeglichen werden kann, reagiert SVB deutlich empfindlicher auf Abweichungen von der idealen Rezeptur. Das Anmischen des Betons erfordert daher eine akribische, fachgerechte Vorgehensweise.

Einsatzbereiche

Das herkömmliche Verdichten mit Innenrüttlern und Schalungsrüttlern

Das herkömmliche Verdichten mit Innenrüttlern (rechts oder Schalungsrüttlern ist bei selbstverdichtendem Beton nicht mehr notwendig.

Wenn die Qualität stimmt, ist SVB allerdings ein Baustoff mit überzeugenden Vorteilen. Der Wegfall der Verdichtungsarbeit trägt nicht zuletzt auch zur Lärmverminderung bei. Die im Hochbau bisher meist verwendeten Innenrüttler oder Schalungsrüttler (siehe Fotos), müssen nicht angeworfen werden. Mit dem fließfähigen Material sind daher Betonarbeiten selbst bei Nacht ohne größere Ruhestörungen möglich. Und der Stahlbetonbau geht mit SVB deutlich schneller vonstatten. Nicht nur, weil die Verdichtung entfällt, sondern auch, weil das Einbetonieren der Bewehrungen in nur einem Arbeitschritt erfolgen kann, statt wie bisher in mehreren Schichten.
Der Einsatz von SVB bietet sich insbesondere bei hohen Wänden oder großvolumigen Decken an – also in Bereichen, wo mit Normalbeton sehr viel Rüttelarbeit notwendig ist. Hinzu kommen Gebäude mit schwer zu verdichtenden Bauteilgeometrien. Auch in Betonfertigteil-Werken wird das neue Material immer häufiger verarbeitet. Kein Wunder: Die dortige industriemäßige Produktion ergänzt sich besonders gut mit den hohen Anforderungen an das korrekte Anmischen des SVB.
In der bisherigen weltweiten Praxis wurden zudem häufig Wasserbauwerke mit SVB gebaut. In diesem Bereich kann der Baustoff mit seinem besonders (wasser-)dichten Gefüge punkten. Letzteres ist auch der Grund, weshalb das Material häufig für Sichtbetonwände verwendet wird. SVB ermöglicht nämlich eine besonders glatte, porenfreie Oberfläche.
Wir hatten bereits eingangs erwähnt, dass die extreme Fließfähigkeit der wesentliche Grund für die positiven Eigenschaften von SVB ist. Daraus folgt allerdings im Umkehrschluss eine Einschränkung: Für Bauteile mit geneigten Oberflächen eignet sich der Baustoff dann doch nicht so gut.



Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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