RM Rudolf Müller
Bei einer Windheizung entsteht aus Wind zunächst Strom und dann Wärme.  Foto: Pixabay

Bei einer Windheizung entsteht aus Wind zunächst Strom und dann Wärme.  Foto: Pixabay

Haustechnik
16. Mai 2023 | Artikel teilen Artikel teilen

Heizen mit überschüssigem Windstrom

Der Ausbau der Windenergie stagnierte in Deutschland zuletzt. Zumindest im Winter liefern die aktuell etwa 30.000 Anlagen gleichwohl mehr Strom als notwendig. Könnte man diese Überkapazitäten nicht auch zum Heizen von Gebäuden verwenden? Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik befasst sich schon seit Längerem mit dieser Idee. Auf der Messe BAU 2023 präsentierten die Forschenden nun ihre „Windheizung 2.0“.

Ende 2022 gab es hierzulande 28.443 Windenergie-Anlagen an Land und 1.539 Offshore-Anlagen auf See. 2021 stammten nach Angaben des Bundesverbandes Windenergie immerhin 23 % der gesamten deutschen Stromproduktion aus diesen Anlagen. Vor ein paar Jahren lag der Wert schon mal deutlich über 30 % – was letztlich zeigt, dass der Strombedarf in Deutschland stetig steigt, während der Windkraft-Ausbau zuletzt stagnierte.

Trotzdem liefern die hiesigen Windräder deutlich mehr Strom als alle anderen erneuerbaren Energiequellen. In den winterlichen Starkwind-Monaten kommt es deshalb regelmäßig zu einem Überangebot. Zur Sicherung der Netzstabilität müssen dann häufig Anlagen in ihrer Leistung reduziert oder zeitweise sogar komplett abgeschaltet werden.

Langjährige Forschung

Speichervarianten: Warmwasserspeicher (A), Bauteilaktivierung (B) und Hochtemperatur-Steinspeicher (C). Grafik: Bayerisches Landesamt für Umwelt

Speichervarianten: Warmwasserspeicher (A), Bauteilaktivierung (B) und Hochtemperatur-Steinspeicher (C). Grafik: Bayerisches Landesamt für Umwelt

An Lösungen für diese Problematik arbeitet das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (Fraunhofer IBP) bereits seit Ende 2018 im Forschungsprojekt „Windheizung 2.0“. Ziel ist die Entwicklung anlagentechnischer Konzepte, die es erlauben, Strom-Überkapazitäten für die Gebäudebeheizung nutzbar zu machen und damit nicht zuletzt auch das Stromnetz zu entlasten.

Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Erstprojekt wurde Mitte 2022 abgeschlossen. Das ebenfalls vom BMWK geförderte Folgeprojekt läuft seit November vergangenen Jahres. Im Rahmen dieses Projekts soll die Windheizung 2.0 nun zwei Winter lang in vier real bewohnten Gebäuden getestet werden.

Da Strom aus Windkraft überwiegend im Winter überschüssig vorhanden ist, fallen die Verfügbarkeit von Überschussstrom und ein erhöhter Heizwärmebedarf im Gebäudebereich zeitlich sehr eng zusammen. Die Fraunhofer-Forschenden haben sich in den letzten Jahren intensive Gedanken dazu gemacht, wie man den Überschuss-Strom in Heizwärme umwandeln kann beziehungsweise welche gebäudetechnischen Speichermedien dafür sinnvollerweise zu nutzen sind.

Ihre bisherigen Ergebnisse präsentierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom 17. bis 22. April auf der Messe BAU 2023 in München einem internationalen Fachpublikum. Vorgestellt wurden nicht nur die vielversprechendsten Speicherlösungen sowie die Regelungstechnik, sondern auch ein Planungstool.

Drei Speicherformen

Als eine wirtschaftliche Lösung für die Windheizung betrachten die Fraunhofer-Forschenden große Warmwasserspeicher, wie sie im Gebäudebereich auch heute schon zum Einsatz kommen – vor allem im Zusammenhang mit Solarthermie-Anlagen oder Wärmepumpen. Das Wasser im Speicher ließe sich mithilfe des überschüssigen Windstroms aufheizen. In einem typischen Warmwasserspeicher würde die Temperatur anschließend ein bis zwei Wochen lang hoch genug bleiben, um eine an das System angeschlossene Niedertemperatur-Flächenheizung mit Wärme zu versorgen.

Neben dieser eher klassischen Speichermethode hat das Fraunhofer IBP für die Windheizung 2.0 aber auch zwei neue Speichertypen entwickelt: einerseits eine „überdämmte Bauteilaktivierung“ und andererseits einen Hochtemperatur-Steinspeicher, dessen Funktionsweise an eine Nachtspeicherheizung erinnert.

Soll ein Haus allein durch die Windheizung warm bleiben, ist bei allen drei Speichervarianten allerdings ein hoher Dämmstandard des Gebäudes Voraussetzung. Es muss sich nicht um einen Neubau handeln, auch sanierte Bestandsgebäude kommen für Windheizungen grundsätzlich infrage. Sie müssen aber gut gedämmt sein.

Bei ausreichend gedämmten Häusern allerdings scheinen Windheizungen durchaus zu funktionieren. Das zeigen die Speichertests, die das Fraunhofer IBP in drei verschiedenen Versuchsgebäuden durchgeführt hat. „In den betrachteten Gebäuden ließen sich 80 bis 90 % des Strombedarfs durch Überschussstrom decken“, freut sich Fraunhofer-Wissenschaftler Dr. Matthias Kersken. Bereits mit den ersten Windheizungs-Prototypen habe man zudem sieben bis zehn windfreie Tage überbrücken können.

Künftig sollen die Anlagen die Wärmeversorgung von Gebäuden etwa zehn bis 14 Tage sicherstellen können, ohne dass weiterer Windstrom dazukommen muss. Hintergrund für diese Planung sind die deutschen Klimaverhältnisse: Alle ein bis zwei Wochen kommt es hierzulande zu einem Starkwindereignis, das etwa fünf bis neun Stunden andauert.

Überdämmte Bauteilaktivierung

Im Winter liefern Windräder schon heute mehr Strom als notwendig. Foto: Pixabay

Im Winter liefern Windräder schon heute mehr Strom als notwendig. Foto: Pixabay

Typisch deutsche Massivhäuser aus Mauerwerksteinen oder Beton bieten dank großer thermischer Speichermassen naturgemäß ein großes Potenzial für die Wärmespeicherung. Insofern überrascht es nicht, dass das Prinzip der thermischen Bauteilaktivierungen eine große Rolle in den Überlegungen der Fraunhofer-Forschenden spielte. Bei dieser dient die Gebäudemasse – meist Innendecken und die Bodenplatte – als Wärmespeicher und „Heizkörper“ zugleich. Dafür verlegt man Heizrohre durch die Bauteile und lässt anschließend das Wasser aus dem Warmwasserspeicher durch sie hindurchfließen.

Für die Windheizung 2.0 hat das Fraunhofer IBP die Idee einer überdämmten Bauteilaktivierung entwickelt. Dafür wird ein Kunststoff- oder Aluminium-Verbundrohr in eine Betondecke eingegossen und im Winter mit relativ heißem Wasser gefüllt. Damit die Räume unter diesem Speicher nicht zu warm werden, dämmt man die Decke unterseitig, auf der Oberseite reicht eine bereits vorhandene Trittschalldämmung. Bei einem vollen Speicherrohr entspricht der passive Wärmeverlust dem Bedarf des Hauses. Kühlt das Wasser im Laufe der Zeit ab, genügt dies nicht mehr: Dann wird die Dämmung gezielt umgangen, indem man das warme Wasser in eine zusätzliche Flächenheizung pumpt.

„Die Speicherverluste auf den Bedarf abzustimmen, ist ein ganz wichtiger Punkt“, betont Dr. Matthias Kersken. „Im Frühjahr darf der Speicher nicht mehr auf 100 % geladen werden, sonst wird es zu warm im Haus. Hier setzt eine Wärmebedarfsprognose an, die in die Regelung der Windheizung 2.0 integriert ist: Sie arbeitet mit der Wettervorhersage und lernt die Charakteristik des Gebäudes und der Nutzung.“

Steinspeicher im Keller

Die zweite Speichervariante, die am Fraunhofer IBP neu entwickelt wurde, ist ein Hochtemperatur-Steinspeicher. Der 5 t schwere, gut gedämmte Steinspeicher wird im Gebäudekeller untergebracht und über Heizwendeln mit überschüssiger Windenergie aufgeheizt. Er ist so konstruiert, dass man ihn langsam mit Luft durchströmen lassen kann. Die auf diese Weise entnommene Wärme ist über einen geschlossenen Kreislauf zum Heizen und zur Warmwasseraufbereitung nutzbar.

Windheizungen ermöglichen nicht nur die nachhaltige Nutzung von Windstrom, der sonst ungenutzt bliebe, sie können zugleich auch das Stromnetz stabilisieren. Das Fraunhofer IBP hat eine spezielle Regelungskomponente entwickelt, die dafür sorgt, dass die Speicher nur bei freien Kapazitäten im Stromnetz geladen werden. Bei Engpässen zieht die Windheizung dagegen keinen Strom aus dem Netz.

Auch wirtschaftlich soll die Windheizung 2.0 interessant sein. Nach Prognosen des Fraunhofer IBP lassen sich mit der Heizungstechnik auf 25 Jahre gerechnet 200 bis 400 Euro pro Quadratmeter einsparen (bezogen auf ein Referenzgebäude gemäß GEG), trotz der anfänglichen Investitionskosten für die Anlagen und der unter Umständen notwendigen Dämmmaßnahmen am Haus.

Dieser Text ist eine Aktualisierung des Beitrags „Was sind Windheizungen?“ von August 2019.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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