RM Rudolf Müller
Die neue Feuerwache erfüllt die Anforderungen des „Cradle to Cradle“-Kreislaufprinzips.  Grafik: wulf architekten

Die neue Feuerwache erfüllt die Anforderungen des „Cradle to Cradle“-Kreislaufprinzips.  Grafik: wulf architekten

Objektberichte
14. Juli 2022 | Artikel teilen Artikel teilen

Kreislauffähiges Feuerwehrhaus

Die kleine schwäbische Gemeinde Straubenhardt hat ein nagelneues Feuerwehrhaus. Aber nicht irgendeins: Bei dem Bauobjekt handelt es sich um eines der bundesweit ersten im öffentlichen Sektor, das nach dem „Cradle to Cradle“-Kreislaufprinzip realisiert wurde.

Das neu gebaute geplant und realisiertin Straubenhardt, rund 60 Kilometer westlich von Stuttgart, wurde am 21. Mai nach drei Jahren Bauzeit feierlich eröffnet. Geplant und realisiert hat es das Stuttgarter Büro Wulf Architekten  – mit Unterstützung des Umweltberatungsinstituts EPEA, eine Tochter des Beratungsunternehmens Drees & Sommer. Ziel war die Realisierung eines Gebäudes, das bei einem späteren Rückbau nicht riesige Mengen an Bauabfällen verursacht, sondern vielmehr als wertvolles Rohstoffdepot und Materiallager dienen kann.

Strenge Materialprüfungen

Deshalb wählten die Verantwortlichen nur Materialien aus, die entweder dauerhaft in gleicher Qualität erhalten bleiben – sich also nach einem späteren Um- oder Rückbau in anderen Gebäuden wiederverwenden lassen – oder die natürlich abbaubar und somit komplett in den biologischen Kreislauf zurückführbar sind. Das Bauwerk erfüllt damit die strengen Kriterien des „Cradle to Cradle“-Kreislaufprinzips (kurz: C2C).

Für das neue Feuerwehrhaus kamen vor allem sortenreine Materialien wie Holz, Metall und Beton zum Einsatz. Insgesamt wählte EPEA gemeinsam mit den Architekten und Fachplanern für die etwa 80 Bauteile des Neubaus fast 250 verschiedene Materialien aus. Jedes einzelne wurde auf Materialgesundheit, Trennbarkeit und Recyclingfähigkeit geprüft. Im Rahmen einer Bauteilanalyse untersuchte man die bauchemische Zusammensetzung der Materialien und überzeugte sich davon, dass keine Schadstoffe an die Innenraumluft abgegeben werden. Auch möglichst geringe CO2-Emissionen bei Herstellung und Transport spielten eine Rolle.

Der Großteil der Innenwände im neuen Feuerwehrhaus besteht aus reinem Stahlbeton oder aus Holz. Zusätzliche Schichten zur Verkleidung von Wand-, Boden- und Deckenoberflächen gibt es dagegen kaum. Dadurch ist ein unkomplizierter Rückbauprozess sichergestellt. Lediglich in der Küche und in den Duschkabinen sorgen geflieste Oberflächen für Spritzschutz. Zudem kommt das Gebäude weitestgehend ohne Klebstoffe und Montageschäume aus: Viele Elemente wurden verschraubt, sodass die Materialien einfach trennbar bleiben.

Das EPEA-Team um Ingenieurin Daniela Schneider erstellte außerdem einen Ressourcenmaterialpass („Building Circularity Passport“). „Dabei handelt sich um eine Art Klimaführerschein fürs Gebäude, der transparent ausweist, wie CO2-intensiv und nachhaltig das verwendete Baumaterial ist“, erklärt die Ingenieurin. „Wenn das Gebäude am Ende seiner Nutzungszeit um- oder rückgebaut wird, liegen wichtige Informationen vor, woraus es besteht und in welchen Mengen verschiedene Baustoffe vorhanden sind.“

Bau in Hanglage

Diese Grafik zeigt die Rückseite des Gebäudes, das in Hanglage errichtet wurde. Grafik: wulf architekten

Diese Grafik zeigt die Rückseite des Gebäudes, das in Hanglage errichtet wurde. Grafik: wulf architekten

Eine weitere Herausforderung beim neuen Feuerwehrhaus bestand darin, die versiegelte Grundfläche so gering wie möglich zu halten. Die Lösung bestand darin, die Hanglage des Grundstücks als Teil der Bauwerksgrundfläche mit einzubeziehen. Auf diese Weise wurden unterschiedliche Funktionsbereiche des Gebäudes am Hang übereinandergeschichtet, während zugleich mehr ebene Grundstücksflächen unversiegelt bleiben konnten.

„Diese Stapelung ist von außen klar erkennbar, so entsteht das charakteristische und identitätsstiftende Erscheinungsbild des Feuerwehrhauses“, erläutert Ingmar Menzer, Architekt und Geschäftsführender Gesellschafter bei Wulf Architekten.

Im massiven Sockel befinden sich alle für den Einsatz notwendigen Räume und die Halle für die Löschfahrzeuge. Das offene Zwischengeschoss wird als Parkplatz sowie für Veranstaltungen genutzt. In dem darüber aufgeständerten Holzbaukörper sind Büro-, Gemeinschafts- und Schulungsräume angeordnet. Die weiße Streckmetallfassade lässt den Baukörper homogen erscheinen. „Straubenhardts Feuerwehrhaus ist ein Beleg dafür, dass eine kreislaufgerechte Ausführung, ein möglichst geringer Materialeinsatz und eine ansprechende, moderne Architektur keinen Widerspruch darstellen“, fasst Menzer zusammen.

C2C-Modellkommune

Straubenhardt strebt die am Feuerwehrhaus erprobte Bauweise übrigens künftig auch für andere Gewerbe- und Hochbauprojekte an. Damit will die Gemeinde etwas gegen den Ressourcenhunger der Baubranche tun, die etwa 40 % der globalen Rohstoffe verschlingt. Bisher werden alte Baustoffe nur in minderwertiger Form – etwa als Füllmaterial – wiederverwertet. Für Neubauten dagegen verwendet man in der Regel auch neue Baustoffe. Als C2C-Modellkommune und zertifizierte Fairtrade- Kommune will Straubenhardt beweisen, dass es auch anders geht.

„Wir gehen mit gutem Beispiel für andere Städte und Gemeinden voran, ressourcenschonend zu bauen“, sagt Bürgermeister Helge Viehweg. „Im neuen Feuerwehrhaus realisieren wir bereits heute die künftig von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen, um die Kreislaufwirtschaft im Baubereich voranzutreiben. So kommt beispielsweise der digitale Gebäuderessourcenpass erstmals in einem öffentlichen Gebäude zum Einsatz.“


 

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