RM Rudolf Müller
Drohne und Bodenroboter sind per Kabel miteinander verbunden.  Foto: doks. innovation

Drohne und Bodenroboter sind per Kabel miteinander verbunden.  Foto: doks. innovation

Arbeitsalltag
08. Dezember 2020 | Artikel teilen Artikel teilen

Palettenregale: Inventur per Drohne

Digitalisierung und Automatisierung haben längst auch die Lagerwirtschaft erreicht. Autonom fahrende Flurförderzeuge oder automatische Hochregallager sind zum Beispiel technisch schon ziemlich ausgereift – auch wenn sie in der Baustoffbranche noch nicht so verbreitet sein mögen. Und die Innovationsspirale dreht sich immer weiter. Lagerinventur per Drohne? Auch das ist nun keine Science-Fiction mehr.

Das erst 2017 gegründete Start-up-Unternehmen doks. innovation hat dieses Jahr bereits die dritte Version seiner autonomen Inventurdrohne zur vollautomatischen Bestandserfassung im Palettenregal-Lager auf den Markt gebracht. Die im Umfeld des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) gegründete Firma mit Sitz in Kassel ist auf neue Lösungen für die Intralogistik spezialisiert.

Fünf Stunden Dauerbetrieb

Das neue System Invent-Airy XL geht genau in diese Richtung. Denn damit lässt sich die Lagerinventur vollautomatisch digitalisieren. Die notwendigen Daten werden „im Flug“ gesammelt. „Grundsätzlich kann die Lösung in jedem Palettenregal-Lager eingesetzt werden, ohne dass dort tiefgreifende infrastrukturelle Veränderungen notwendig sind“, erläutert Julian Wyszynski, Produktmanager bei doks. innovation.

„Wichtig ist, dass die Labels in der Frontansicht lesbar sind“, fügt Wyszynski hinzu. Denn nur dann kann die Drohne die Wareninformationen korrekt einscannen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, lässt sich mit der Inventurdrohne viel Arbeitszeit einsparen. Bei der klassischen Inventur müssen zwei bis drei Mitarbeiter jedes einzelne Regallabel manuell einscannen. Für die höher gelegenen Regalfächer erfordert dies den Einsatz eines Gabelstaplers oder Hubwagens. Die Drohne arbeitet dagegen völlig autonom.

Als Komplettlösung für Bestandsaufnahme und -verwaltung im Palettenregal-Lager nutzt Invent-Airy XL eine Flugdrohne zur Datenaufnahme, einen mobilen Bodenroboter für Navigation und Datenverarbeitung sowie darauf abgestimmte Sensorik und Software. Bereits das Vorgängermodell Invent-Airy X verfügte über diese Features, hatte aber einen entscheidenden Nachteil: Die Drohne konnte nur etwa 20 Minuten fliegen, danach musste der Akku gewechselt werden. Die neue XL-Variante verspricht hier einen Quantensprung: Bis zu fünf Stunden Dauerbetrieb sind nun möglich – außerdem gibt es eine automatisierte Wiederaufladungsfunktion.

Bestandserfassung ohne Manpower

Die Drohne verfügt über ein eigenes Beleuchtungssystem. Foto: doks. innovation

Die Drohne verfügt über ein eigenes Beleuchtungssystem. Foto: doks. innovation

Anders als beim Vorgängermodell ist überhaupt kein menschlicher Operator mehr notwendig. Das System ist in der Lage, sich ohne menschliche Hilfe im Lager zurechtzufinden, Gang für Gang abzuarbeiten und selbstständig Daten von jedem einzelnen Paletten-Stellplatz einzusammeln. Mithilfe der Technik lassen sich eingelagerte Produkte jederzeit lokalisieren und zählen. Auch freie Stellplätze werden identifiziert. Zudem nimmt die Drohne hochauflösende Bilder der Waren auf.

Nicht nur die traditionelle Jahresinventur wird dadurch effektiver und kostensparender. Da die smarte Technik keine Manpower bindet, kann der Anwender von Invent-Airy X praktisch jederzeit einen aktuellen „digitalen Zwilling“ seines Lagers erstellen. Das ermöglicht zeitnahe Reaktionen bei Nachfrageschwankungen. Zugleich werden Lagermitarbeiter vom zeitintensiven Soll-Ist-Abgleich entlastet. Bei Bedarf arbeitet die Inventurdrohne sogar über Nacht und bei völliger Umgebungsdunkelheit. Sie verfügt nämlich über ein eigenes Beleuchtungssystem.

Mithilfe der vollautomatischen Bestandserfassung lassen sich nach Angaben von doks. innovation bis zu 90 % Zeit und bis zu 70 % Kosten einsparen. Im Übrigen ist Invent-Airy XL nicht nur in der Lage, die klassischen Bestandsdaten zu erfassen, sondern auch weitere Daten wie zum Beispiel die Verpackungs- und Paletten-Qualität, eventuelle Beschädigungen und die Temperatur am jeweiligen Stellplatz. Zudem wertet das System die Daten aus und gibt sie an das Lagerverwaltungssystem beziehungsweise an ein übergeordnetes ERP-System (Enterprise-Resource-Planning) weiter.

Neue Kabellösung

Der Leistungssprung bei der Nutzungsdauer von Invent-Airy XL verdankt sich übrigens keiner verbesserten Akku-Technik, sondern der Tatsache, dass Bodenroboter und Drohne nun über ein Kabel verbunden sind. Das Bodenfahrzeug versorgt die Flugeinheit also mit Strom. Der Bodenroboter befindet sich zu jedem Zeitpunkt unter der Drohne, steuert diese und ermöglicht die autonome Navigation im Lager. Trotz Kabel kann die Drohne rund zwölf Meter hoch fliegen.

Nach etwa fünf Stunden muss der Roboter-Akku aufgeladen werden. Ladezeit: vier Stunden. Aufgrund der verbesserten Navigationsfähigkeiten des neuen Systems kann auch dieser Vorgang autonom geschehen. Dafür hat doks. innovation das System um eine Docking-Station erweitert, die sich an eine übliche Steckdose anschließen lässt.

Die offizielle Vorstellung des neuen Produkts zelebrierte der Hersteller Ende Oktober 2020 im Rahmen eines knapp zweistündigen Online-Events. Interessierte können sich die komplette Präsentation auf dem YouTube-Kanal des Unternehmens anschauen.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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