RM Rudolf Müller
Hochregallager in Silobauweise: Die stählernen Regale tragen die gesamte Gebäudehülle. Foto: Voestalpine

Hochregallager in Silobauweise: Die stählernen Regale tragen die gesamte Gebäudehülle. Foto: Voestalpine

Arbeitsalltag
14. April 2021 | Artikel teilen Artikel teilen

Was sind Hochregallager?

Die Frage ist schwerer zu beantworten, als es im ersten Moment erscheint. Hochregallager (HRL) sind Lager mit hohen Regalen. Soweit klar. Aber ab welcher Höhe ist ein Regal ein Hochregal? Dazu scheint es keine verbindliche Definition oder Norm zu geben. Immerhin lassen sich zwei grundsätzliche HRL-Typen unterscheiden: Lager mit freistehenden Regalen und Hochregallager in Silobauweise.

Wenn man den Begriff Hochregallager googelt, scheint die Definition zunächst sonnenklar: „Ein Hochregallager (HRL) ist ein Lager mit Regalen ab einer Höhe von 12 Metern, derzeit beträgt die Maximalhöhe circa 50 Meter“, heißt es bei Wikipedia. Inhaltlich gleichlautende Definitionen findet man auch auf unzähligen anderen Websites.

Was heißt „hoch“?

Seltsam nur, dass sich auf keiner dieser Websites, die wir für diesen Beitrag inspiziert haben, ein Hinweis dazu findet, woher die 12-m-Regel eigentlich stammt. Auch weitergehende Recherchen zu diesem Thema führten uns nicht weiter.

Möglicherweise haben die 12 m ihren Ursprung in den Landesbauordnungen (LBO) einiger Bundesländer. Anfang der Nullerjahre enthielten nämlich die LBO von Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt noch Bestimmungen, wonach (freistehende) Regale bis 12 Meter Höhe nicht genehmigungspflichtig waren. Erst ab einer Höhe von mehr als 12 m definierten die genannten Länder also damals Regale als genehmigungspflichtige Bauvorhaben.

Allerdings haben sich die LBO in diesem Punkt zwischenzeitlich überall geändert. Mittlerweile zählen Regale in den meisten Bundesländern bereits bei mehr als 7,5 m Höhe als bauliche Anlagen, für die der Errichter einen Bauantrag bei seiner zuständigen Bauaufsichtsbehörde stellen muss. Auch sonst spricht wenig dafür, dass es sich bei der im Internet vielzitierten Mindesthöhe von 12 m um eine „amtliche“ HRL-Definition handelt. Wie ist es sonst zu erklären, dass in der VDI-Richtlinie 3564 („Brandschutz – Empfehlungen für Hochregalanlagen) aus dem Jahr 2017 ein ganz anderer Wert auftaucht? Als Hochregale gelten dort Anlagen ab einer Lagerguthöhe über 9 m.

Apropos Lagerguthöhe: Die in der VDI-Richtlinie 3564 genannten 9 m beziehen sich übrigens auf den Abstand zwischen dem Fußboden, auf dem das Regal steht, und der Oberkante des Lagergutes. Auch in den meisten Landesbauordnungen findet man Formulierungen wie „Regale mit einer Höhe bis zu 7,5 m Oberkante Lagergut“.

Hochregallager im Baustoffhandel

Baustoffhandel Linnenbecker: Dieses Hochregallager in Dortmund wird mit Schmalgangstaplern bedient. Foto: Linnenbecker

Baustoffhandel Linnenbecker: Dieses Hochregallager in Dortmund wird mit Schmalgangstaplern bedient. Foto: Linnenbecker

Halten wir fest: Es scheint keine einheitliche Definition zu geben, ab welcher Höhe ein HRL beginnt. Zumindest gibt es keine einheitliche Untergrenze. Es gibt aber theoretisch auch keine Obergrenze. Die oft genannten 50 m sind einfach das, was bisher schon in der Praxis realisiert wurde. Ob es in Zukunft noch mehr in die Höhe geht? Wer weiß. Wobei statische Gründe und nicht zuletzt auch die Frage der Bedienbarkeit hier sicherlich praktische Grenzen setzen. „Wolkenkratzer“-HRL wird es sicher niemals geben.

Im mittelständischen Baustoff-Fachhandel sind HRL mit 30, 40 oder 50 m Höhe ohnehin nicht zu finden. Ambitioniert sind hier schon Lagerhallen wie beim Baustoff- und Fliesenfachhandel Linnenbecker in Dortmund, wo die Regale etwa 10 m in die Höhe ragen und sich – vom Hallenboden aus gerechnet – sieben Paletten-Stellplätze übereinander stapeln . Bei Linnenbecker spricht man von einem „Hochregallager mit Schmalgangstaplern“ – es handelt sich also nicht um ein vollautomatisches HRL.

Im Baustoff-Fachhandel setzt allein schon das hohe Gewicht vieler Baustoffe (zum Beispiel Mauerwerksteine) natürliche Grenzen für die Stapelbarkeit. Vier bis fünf Paletten-Stellplätze übereinander sind in der Branche Standard.

Hochregallager in Silobauweise

In anderen Branchen gibt heute aber auch schon HRL-Großprojekte mit bis zu 50 m Höhe, die zum Teil hunderttausende Paletten-Stellplätze beherbergen. Bei solchen Objekten handelt es sich in der Regel nicht mehr um einfache Lagerhallen mit freistehenden Regalsystemen, sondern um spezielle Hochregallager in so genannter Silobauweise. Die meist in Stahlskelettbauweise errichteten Regalsysteme grenzen dann direkt an die Seitenwände beziehungsweise an das Dach der Halle an.

Bei HRL in Silobauweise bildet das Regalgerüst also praktisch die Unterkonstruktion für die Gebäudehülle. Die Regale tragen nicht nur die eingelagerten Waren, sondern übernehmen auch grundlegende statische Funktionen für das Gesamtgebäude, das ohne sie einstürzen würde. Diese Bauweise hat natürlich den Vorteil, dass der vorhandene Hallenraum optimal für möglichst viele Paletten-Stellplätze genutzt werden kann. Da die Regalkonstruktion zugleich als Gebäudetragwerk dient, lassen sich Baukosten sparen. Wie ein solches Mega-Hochregallager aussieht und funktioniert, zeigt dieses Video des Regalherstellers Mecalux.

Hochregallager in Silobauweise sind mittlerweile ein boomender Markt. „Der weltweit zunehmende Online-Handel hat in den letzten Jahren den Bedarf für komplexe Lagerlogistik angekurbelt, das globale Marktwachstum für Hochregallager liegt derzeit jährlich bei 7 bis 8 %“, erläuterte Ende 2020 Herbert Eibensteiner, Vorstandsvorsitzender der Voestalpine AG. Der weltweit tätige Stahl- und Technologiekonzern mit Stammsitz in Österreich mischt bei diesem Geschäft kräftig mit. Bei seinen HRL-Projekten übernimmt Voestalpine den gesamten Prozess von der Planung über Engineering und Fertigung bis hin zur Montage.

Automatisiertes Lagerverwaltungssystem

Hochregallager aus Holz: Das 17,5 m hohe Verteilzentrum von Alnatura wurde 2014 im hessischen Lorsch eröffnet. Foto: Alnatura / Dennis Edler

Hochregallager aus Holz: Das 17,5 m hohe Verteilzentrum von Alnatura wurde 2014 im hessischen Lorsch eröffnet. Foto: Alnatura / Dennis Edler

Hochregallager in Silobauweise ermöglichen sogar einen vollautomatischen Lagerbetrieb, bei dem die Waren mithilfe spezieller Regalbediengeräte ein-, um- und auslagert werden. In der Regel steuert ein digitales Lagerverwaltungssystem alle Abläufe. Bei den Regalbediengeräten handelt es sich um schienengeführte Roboter-Fahrzeuge, die sich autonom in den engen Gassen zwischen den Regalen bewegen. Sie bestehen üblicherweise aus einer Fahr- und Hub- sowie einer Lastaufnahmeeinheit. Ihre Funktionsweise wird sehr schön in diesem Youtube-Video der TGW Logistics Group veranschaulicht.

Im Baustoff-Fachhandel kommen zwar normalerweise keine HRL in Silobauweise zum Einsatz, doch auch hier gibt es längst hochmoderne Lagerhallen mit (nicht ganz so hohen) Hochregalen und automatisierten Prozessen. Bei Linnenbecker in Hannover werden zum Beispiel angelieferte Waren sofort elektronisch erfasst und mit einem Barcode gekennzeichnet. Das digitale Lagerverwaltungssystem weist jedem Produkt anschließend automatisch einen Stellplatz im Hochregallager zu. Die Software ist lernfähig und sucht für häufig gekaufte Waren selbsttätig leichter erreichbare Stellplätze. Statt auf automatische Regalbediengeräte setzt man allerdings weiterhin auf Gabelstaplerfahrer. Das ist Standard im Baustoff-Fachhandel.

Stahl oder Holz?

Hochregale – egal ob klein oder groß – bestehen traditionell aus Stahlprofilen. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten haben einzelne Unternehmen auch begonnen, Holzwerkstoffe zum Bau von Hochregallagern zu verwenden. Das aber sind bisher Ausnahmen. Der Bau eines HRL aus Holz ist deutlich teurer als die herkömmliche Variante mit Stahlprofilen. Wer größere Regalsysteme aus Holz baut, tut dies meist nicht aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz, sondern weil die Firmenphilosophie zum nachhaltigen Bauen verpflichtet.

Zwei bekannte Holz-Hochregallager in Deutschland stammen vom Bio-Lebensmittelhersteller Alnatura sowie vom Tiernahrungsproduzenten Josera. Alnatura eröffnete 2014 ein neues Verteilzentrum im hessischen Lorsch. Dabei handelt es sich um ein 17,5 m hohes HRL in Silobauweise komplett aus Holz (siehe Foto). Josera hatte sein vollautomatisches HRL im unterfränkischen Kleinheubach sogar bereits 2011 errichtet. Es gilt mit 30 m Höhe als höchstes Holz-Hochregallager Europas.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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