RM Rudolf Müller
An dieser Wiener Altbaufassade wurden mehrere Begrünungsvarianten umgesetzt.  Foto: Bundesverband Gebäude-Grün

An dieser Wiener Altbaufassade wurden mehrere Begrünungsvarianten umgesetzt.  Foto: Bundesverband Gebäude-Grün

Fassade und Massivbau
10. August 2022 | Artikel teilen Artikel teilen

Wie funktionieren Fassadenbegrünungen?

Gründächer sind seit Jahren auf dem Vormarsch, aber auch die Fassade als potenzielle Fläche für „vertikale Gärten“ rückt mittlerweile verstärkt in den Fokus. Kein Wunder: Auch diese Variante kann helfen, das Mikroklima in Ballungsräumen zu verbessern und zugleich Klimatisierungskosten von Gebäuden zu senken. Technisch betrachtet unterscheidet man bodengebundene und wandgebundene Fassadenbegrünungen.

Grünfassaden haben neben allen bauphysikalisch-ökologischen Vorteilen eine Eigenschaft, auf die sich wohl die meisten Menschen einigen können: Sie sehen einfach gut aus und machen die Fassade zum echten Hingucker! Darüber hinaus tragen sie zur Verschattung der Gebäudehülle bei, wodurch sich Innenräume weniger stark aufheizen, und sie haben zugleich eine wärme- und schalldämmende Wirkung. In der Regel steigern sie auch den Immobilienwert.

Vertikales Gebäudegrün hat aber nicht nur Vorteile für Gebäudebesitzer und -nutzer, sondern ist auch gut für die Umwelt. Die Pflanzen bieten Lebensraum für Insekten und Vögel, ihre Blätter filtern Staub sowie Schadstoffe aus der Außenluft und wirken durch ihre Verdunstungskälte der Aufheizung in Städten entgegen. Natürlich speichern Fassadenbegrünungen weniger Niederschlagswasser als Gründächer, vor allem viel weniger als Intensiv-Gründächer, doch auch sie sorgen für Abkühlungseffekte.

Boden- und wandgebundene Systeme

Dach- und Fassadenbegrünung aus einem Guss. Foto: BuGG G. Mann

Dach- und Fassadenbegrünung aus einem Guss. Foto: BuGG G. Mann

Die traditionelle Form der Fassadenbegrünung funktioniert mit Kletterpflanzen, die am Gebäudefuß im Erdreich wurzeln und sich von dort die Fassade hinaufschlängeln. Spezielle Gitter, Netze, Stäbe oder auch Seile, die zuvor an der Hauswand befestigt wurden, dienen als Kletterhilfen. Die Bewässerung der Pflanzen erfolgt über das Erdreich, eine künstliche Wasserzufuhr ist meist nicht notwendig. Die Kletterpflanzen können an fertigen Fassaden auch im Nachhinein angebracht werden.

Wandgebundene Begrünungssysteme werden dagegen nicht auf fertigen Fassaden aufgebracht, sondern ersetzen diese – oder anders ausgedrückt: Sie sind die Fassade. Es handelt sich zudem um Pflanzsysteme ohne Boden- und Bodenwasseranschluss. Die Wasserversorgung erfolgt in der Regel über eine automatische Anlage. Die Pflanzen und das zugehörige Bodensubstrat finden in – je nach System unterschiedlichen – Behältern beziehungsweise „Taschen“ Platz. Diese werden mithilfe einer Unterkonstruktion an der Außenwand befestigt.

Nähere Information zu den unterschiedlichen boden- und wandgebundenen Systemen bietet die Broschüre „Grüne Innovation Fassadenbegrünung“ des Bundesverbandes Gebäude-Grün (BuGG), die hier kostenlos zum Download bereitsteht. Dort wird auch genauer beschrieben, welches Begrünungssystem für welchen Fassadentyp zu empfehlen ist, welche Pflanzenarten jeweils infrage kommen und was so alles bei der Planung zu beachten ist.

Die Kosten für bodengebundene Fassadenbegrünungen mit Kletterhilfe veranschlagt der BuGG je nach Aufbau auf etwa 100 bis 300 Euro/m2. Wandgebundene Begrünungen sind deutlich teurer. Die systemabhängigen Kosten beginnen hier laut BuGG bei 400 Euro/m2 und können bis über 1.000 Euro/m2 gehen. Dafür ersetzen diese Systeme aber auch komplette Fassadenkonstruktionen, die zumindest im Neubau auch sonst notwendig wären.

Ausgezeichnete Wiener Fassade

Die ganze Vielfalt heutiger Fassadenbegrünungen zeigt unser Beitragsfoto ganz oben. Es handelt sich um einen Altbau in der Wiener Hannovergasse, der 2019 von der Firma 90DEGREEN GmbH im Nachhinein begrünt wurde. Das Objekt wurde von den BuGG-Mitgliedern zur „Fassadenbegrünung des Jahres 2020“ gewählt. Das Besondere: An einem Objekt findet man hier gleich mehrere Formen der Fassadenbegrünung umgesetzt.

Vorm Erdgeschoss des Wiener Hauses stehen vorkultivierte Pflanzhecken (auf dem Foto nicht zu sehen), während im ersten Obergeschoss die Kletterpflanzen beginnen, die bereits in das darüber gelegene Geschoss hineinragen, das zudem unter den Fenstern auch mit Blumenkästen ausgestattet ist. „Im dritten Geschoss haben wir ein vorgehängtes und hinterlüftetes Fassadenbegrünungssystem in Schichtbauweise umgesetzt“, erläutert Geschäftsführer Andreas Lichtblau von 90DEGREEN. „Ganz oben im vierten Obergeschoss ragen dann zwei Graviplants, das sind rotierende Bäume, horizontal aus der Fassade heraus. Den Abschluss auf dem Dach bildet eine Dachbegrünung.“

Büroneubau von Drees & Sommer

Stuttgarter Büroneubau: Die (noch nicht voll erblühte) Grünfassade bei Drees & Sommer erstreckt sich über drei Etagen. Foto: Drees & Sommer SE

Stuttgarter Büroneubau: Die (noch nicht voll erblühte) Grünfassade bei Drees & Sommer erstreckt sich über drei Etagen. Foto: Drees & Sommer SE

Eine moderne Form der wandgebundenen Grünfassade wollen wir im Folgenden am Beispiel eines Büroneubaus in Stuttgart-Vaihingen illustrieren. Das Beratungs-, Planungs- und Projektmanagement-Unternehmen Drees & Sommer hat dort auf einer Fläche von mehr als 100 m2 eine Begrünung realisiert, die mit 12 m Höhe insgesamt drei Gebäudestockwerke umfasst. „In vielen Städten, und so auch in Stuttgart, wird die Fassadenbegrünung künftig in Bebauungsplänen festgeschrieben“, sagt Projektleiter Thomas Berner von Drees & Sommer. „Wir wollen mit unserem Neubau nicht nur mit gutem Beispiel vorangehen, sondern auch mitwirken, die notwendigen Umsetzungsgrundlagen zu entwickeln.“

In Sachen Optik entschied man sich nicht für eine einheitlich grüne Fläche, sondern für elf verschiedene Pflanzen mit sechs verschiedenen Farben. Nach der Anwachsphase wird sich die Ansicht im Jahresverlauf immer wieder verändern. „Rein sommergrüne Pflanzen, immergrüne Pflanzen und die Blühphänologie sorgen für ein abwechslungsreiches Erscheinungsbild“, erläutert Kilian Lingen, Diplom-Biologe der Firma Vertiko, von der die Komplettlösung zur Fassadenbegrünung stammt.

Übrigens wurde die Grünfassade auf der Nordseite des Gebäudes installiert. Aber bekommen die Pflanzen dort denn genug Sonne? „Notwendig ist eine bestimmte Menge an photosynthetisch aktiver Strahlung“, sagt Lingen. „Diese variiert je nach Pflanzenart und liegt bei der richtigen Pflanzwahl auch im Norden ausreichend vor.“ Die Bewässerung erfolgt mit Regenwasser, das in drei Zisternen auf dem Gebäudedach gesammelt wird. „Für außerordentliche Heißperioden ist ein Nachspeisesystem aus dem Frischwassersystem berücksichtigt, das automatisch gesteuert wird“, ergänzt Projektleiter Thomas Berner.

„Living Wall“ von Vertiko

 Bei der „Living Wall“ von Vertiko wachsen die Pflanzen in substratgefüllten Vliestaschen. Foto: Drees & Sommer SE


Bei der „Living Wall“ von Vertiko wachsen die Pflanzen in substratgefüllten Vliestaschen. Foto: Drees & Sommer SE

Beim Neubau von Drees & Sommer kam die so genannte Living Wall von Vertiko zum Einsatz. Dabei handelt es sich um ein wandgebundenes Vlies-Substrat-System. Rein baulich betrachtet ist es wie eine vorgehängte hinterlüftete Fassade (VHF) aufgebaut – mit Metallunterkonstruktion und einer Fassadenbekleidung aus Alu-Verbundplatten. Das sind witterungs- und UV-beständige Sandwichplatten, die im Kern aus Kunststoff bestehen – meist Polyethylen (PE) – und beidseitig mit einer dünnen Aluminiumschicht laminiert sind.

Auf diese leichten Alu-Verbundplatten wird bei der Living Wall der Vegetationsträger aufgebracht. Der besteht aus speziellen Vliesen, die man mehrlagig auf dem Plattenuntergrund befestigt, sodass sie taschenartige Behälter bilden. Diese Taschen nehmen später das zum System gehörende Bodensubstrat auf und werden zudem mit den Tropfrohren durchzogen, die man an die vollautomatische Bewässerungsanlage anschließt.

„Vlies als Material ist wichtig, um im Hochhausbau den strengen Brandschutzanforderungen zu genügen“, erklärt Projektleiter Thomas Berner. „Wir haben daher ein Spezialvlies aus einem Basalt-Glas-Gemisch eingesetzt, das die Eigenschaft nicht brennbar aufweist.“ Kilian Lingen von Vertiko ergänzt: „Bis auf die Pflanzen und das Tropfrohr besteht das bei Drees & Sommer eingesetzte System aus nicht brennbaren Baustoffen“. Durch die Konstruktion des Gesamtsystems als VHF haben Pflanzen und Bewässerungssystem keinerlei Kontakt zum eigentlichen Baukörper. Feuchtigkeitsschäden an der Außenwand oder Mauerwerkschäden durch die Pflanzenwurzeln sind somit ausgeschlossen.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

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