
Abbiegeassistenten warnen Lkw-Fahrer vor Radfahrern oder Fußgängern im toten Winkel. Grafik: LUIS Technology
Abbiegeassistenten für Lkw
Hätten alle Lkw Abbiegeassistenzsysteme, ließen sich viele Unfälle mit Radfahrern oder Fußgängern vermeiden. Das gilt natürlich auch für Transporte innerhalb der Baustoffbranche. In Deutschland können Unternehmen, die ihren Fuhrpark freiwillig mit der Leben rettenden Technik ausstatten, dafür sogar Förderleistungen beantragen. Für neue Fahrzeuge sind Abbiegeassistenten übrigens ab Mitte 2024 EU-weit Pflicht.
Unter Abbiegeassistenten versteht man technische Lösungen, die Fahrer von Lkw (oder Bussen!) beim Rechtsabbiegen warnen, wenn sich Fußgänger oder Radfahrer im toten Winkel ihres Fahrzeugs befinden. Nach Berechnungen der Unfallforschung der Versicherer (UDV) wären rund 60 % aller schweren Lkw-Fahrrad-Unfälle mithilfe moderner Warnsysteme vermeidbar. Bei neueren Lkw sind sie daher oft schon Standard, für Bestandsfahrzeuge kann man sie aber auch nachrüsten. Der Einbau dauert in der Regel nur wenige Stunden.
Assistenten-Pflicht kommt
Die Europäische Union hat bereits beschlossen, dass ab 7. Juli 2024 neue Lkw ab 3,5 t sowie „Kraftomnibusse“ verpflichtend mit einem Abbiegeassistenten auszustatten sind. Für neue Lang-Lkw gilt die Einbaupflicht EU-weit bereits seit dem 1. Juli dieses Jahres.
Der Beschluss ist ein europäischer Kompromiss. In Deutschland würde man Totwinkel-Erkennungssysteme am liebsten schon viel früher flächendeckend einführen. Schließlich ist die technische Ausschaltung des toten Winkels gleichbedeutend mit weniger Verkehrstoten. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat deshalb bereits Anfang 2019 ein Förderprogramm aufgelegt, das Unternehmen hierzulande motivieren soll, ihre Fuhrparks schon jetzt freiwillig mit Abbiegeassistenten auszustatten.
Förderprogramm des BMVI
Genauere Informationen zum deutschen „Förderprogramm Abbiegeassistenzsysteme“ (AAS) finden Interessenten auf der Website des Bundesamts für Güterverkehr (hier). Die Förderung betrifft „Nutzfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 t und Kraftomnibusse mit mehr als neun Sitzplätzen einschließlich Fahrersitzplatz, die im Inland für die Ausübung gewerblicher, freiberuflicher, gemeinnütziger oder öffentlich-rechtlicher Tätigkeit angeschafft und betrieben werden“.
Das Interesse am AAS-Programm war im ersten Jahr riesig. Schon wenige Tage nach dem Start waren bereits sämtliche für 2019 zur Verfügung stehenden Mittel (5 Mio. Euro) durch die eingegangenen Förderanträge ausgeschöpft. 2020 startete das Programm am 4. Mai, das Fördervolumen beträgt rund 10 Mio. Euro. Anträge können noch bis zum 15. Oktober gestellt werden.
Das BMVI gewährt berechtigten Antragstellern einen Zuschuss zu den Kosten des Abbiegeassistenten in Höhe von bis zu 80 % der zuwendungsfähigen Ausgaben – maximal jedoch 1.500 Euro je Einzelmaßnahme. Der Zuschuss muss nicht zurückgezahlt werden.
Aktion Abbiegeassistent

Sicherheitspartner der Aktion Abbiegeassistent können dieses offizielle Logo nutzen.
Mit der „Aktion Abbiegeassistent“ versucht das BMVI zudem bereits seit 2018, Anreize für eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Verwendung von Abbiegeassistenten zu schaffen. „Unsere Aktion Abbiegeassistent hat nach zwei Jahren schon über 200 Sicherheitspartner“, freute sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer im Juni 2020. Zu den offiziellen Partnern gehören Speditionsunternehmen aus ganz Deutschland sowie alle großen Ketten des Lebensmitteleinzelhandels. Auch lokale Verkehrsbetriebe mit ihren Busflotten sowie einige Kommunen, Landkreise und das Bundesland Hamburg machen mit.
Aus der Baustoffbranche bekennen sich aktuell einige Beton- und Zementhersteller, aber auch die Fachhandelskonzerne Bauking, WeGo Systembaustoffe sowie der hessische Bedachungsfachhandel Erich Carlé GmbH & Co. KG zu der Aktion. „Kleine und große, kommunale und private Unternehmen engagieren sich jetzt gemeinsam“, sagt Andreas Scheuer. „Sie alle sind Vorbilder und Lebensretter. Denn wir haben eine gemeinsame Verantwortung: Jeder Abbiegeassistent zählt!“
Alle offiziellen Partner der Aktion verpflichten sich, ihren Fuhrpark mit Abbiegeassistenten „so schnell wie möglich“ nachzurüsten beziehungsweise nur Neufahrzeuge mit Abbiegeassistenten anzuschaffen. „Wer über keine eigene Flotte verfügt, kann Sicherheitspartner werden, wenn er sich dazu verpflichtet, bei Dritten, zu denen Geschäftsbeziehungen bestehen, auf die Verwendung von Abbiegeassistenten hinzuwirken beziehungsweise zu bestehen“, heißt es auf der Website des BMVI. Im Gegenzug für die freiwillige Selbstverpflichtung erhalten die Partner vom Ministerium eine Urkunde, die bescheinigt, dass sie offizielle Sicherheitspartner sind. Mit dem Aktionslogo können die Unternehmen dann natürlich auch Imagewerbung betreiben.
Wie funktionieren Abbiegeassistenten?
Alle Abbiegeassistenten haben gemeinsam, dass sie Lkw- oder Busfahrer mit optischen und/oder akustischen Signalen sowie zum Teil auch taktilen Reizen warnen, wenn beim Rechtsabbiegen kritische Verkehrssituationen drohen, weil sich Radfahrer oder Fußgänger im toten Winkel befinden. Aktuell hat das Kraftfahrt-Bundesamt für 14 Abbiegeassistenten unterschiedlicher Hersteller eine allgemeine Betriebserlaubnis erteilt (Stand: Juni 2020). Eine tabellarische Übersicht der zugelassenen Systeme gibt es hier.
Technisch funktionieren die am Markt erhältlichen Produkte teilweise sehr unterschiedlich. Allgemein lassen sich drei Varianten unterscheiden: Die Erkennung kann per Radar erfolgen, per Ultraschall oder auch über eine softwarebasierte, „intelligente“ Kamera. Systeme, die mit Ultraschall oder Radar arbeiten, können zugleich ebenfalls mit einer Kamera ausgestattet sein – müssen sie aber nicht. Die erfassten Informationen können dem Fahrer bei allen drei Varianten auch über einen Monitor optisch angezeigt werden. Man spricht dann von Kamera-Monitor-Systemen (KMS).
Tote Winkel sichtbar machen

Kamera-Monitor-Systeme vermitteln ein Bild der Lage neben dem Lkw. Foto: LUIS Technology
Nach Angaben der Hamburger Firma Luis Technology, die selbst Abbiegeassistenten entwickelt, haben Systeme auf Ultraschallbasis den Nachteil, dass sie nicht zwischen statischen und bewegten Objekten unterscheiden können. Bei Radar-Systemen sei dies dagegen möglich. Die Hamburger selbst setzen auf kombinierte Software-Kamerasysteme mit einer Monitoranzeige im Fahrerhaus des Lkw. Da beim System „Luis Turn Detect“ die Kamera sehr hoch am Fahrzeug angebaut wird, ermögliche das Produkt auch die Erkennung von Radfahrern in zweiter Reihe, die etwa durch parkende Fahrzeuge verdeckt werden – so der Hersteller.
Im Februar hat Luis Technology übrigens angekündigt, in den nächsten Monaten auch einen „Anfahrtassistenten“ auf den Markt zu bringen. Hintergrund: Auch der Bereich direkt vor dem Fahrerhaus ist bei vielen Lkw schwer oder gar nicht einsehbar. Wer sich in diesem Raum aufhält – zum Beispiel ein Fußgänger – kann vom Fahrer beim Anfahren also leicht übersehen werden. Der neue Anfahrtassistent soll zusammen mit dem erprobten Abbiegeassistenten dafür sorgen, dass beide toten Winkel zeitgleich beobachtet werden und bei Gefahr eine akustische und visuelle Warnung des Fahrers erfolgt.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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