
Autonom fahrende Flurförderzeuge sind schon heute keine Science-Fiction mehr. Grafik: Still GmbH
Autonome Flurförderzeuge
Selbstfahrende Gabelstapler, Hubwagen oder Kommissionierer gehören in der Intralogistik zunehmend zur Realität. Während autonome Fahrzeuge, die sich selbstständig ohne Fahrpersonal bewegen, im öffentlichen Straßenverkehr wohl noch eine Weile Zukunftsmusik bleiben werden, ist der Einsatz auf privaten Betriebsgeländen naturgemäß weitaus unproblematischer. Hersteller von Flurförderzeugen sind daher längst in die Serienproduktion fahrerloser Transportfahrzeuge eingestiegen.
In der Welt der Intralogistik – also bei Material- und Warenflüssen auf einem begrenzten Betriebsgelände – sind selbst schwere Lkw ohne Fahrer keine Science-Fiction mehr. Das zeigt unser Beitrag über ein Fraunhofer-Projekt zu autonom fahrenden Lkw in Logistikzentren. Vor dem Hintergrund erscheint es dann gar nicht mehr so überraschend, dass Flurförderzeuge in betrieblichen Logistikbereichen – innerhalb abgegrenzter „Automatisierungszonen“ – schon heute immer häufiger fahrerlos unterwegs sind.
Hochregalstapler mit Induktivführung

Der Hochregalstapler EKX 516a bewegt sich fahrerlos zwischen den Regalgassen. Foto: Jungheinrich
So hat zum Beispiel der Flurförderzeug-Experte Jungheinrich bereits vor einigen Jahren sein Sortiment um den Bereich „Fahrerlose Transportfahrzeuge“ (FTF) erweitert. Das Angebot reicht vom automatischen Schlepper (zum Ziehen von Anhängern) über fahrerlose Hubwagen bis hin zu autonomen Staplerfahrzeugen. Dabei basieren alle FTF-Angebote auf erprobten Standardfahrzeugen, die Jungheinrich zusätzlich mit Automatisierungstechnik ausgestattet hat.
2018 präsentierte Jungheinrich erstmals den automatisierten Hochregalstapler EKX 516a. Der Elektro-Kommissionier für schmale Hochregalgänge basiert auf dem bewährten Dreiseitenstapler EKX 516, wurde aber um Automatisierungskomponenten ergänzt. Das Fahrzeug kann sich nicht nur zwischen zwei Regalen bewegen, sondern sogar selbstständig die Gassen wechseln. Bei Bedarf lässt sich der Hochregalstapler zudem auch manuell oder halbautomatisch steuern. Im Automatik-Modus ist er nach Herstellerangaben für Lageraufgaben bis zu 13 m Hubhöhe einsetzbar.
Während herkömmliche Schmalgangstapler über seitlich am Fahrzeug angebrachte Rollen verfügen, mit deren Hilfe sie sich mechanisch zwischen Stahlprofilen führen lassen, die man entlang der Regale im Lagerboden verankert, funktioniert der EKX 516a per Induktivführung. Voraussetzung dafür ist, dass im Boden ein Leitdraht verlegt wurde, der über einen Frequenzgenerator mit hochfrequentem Wechselstrom gespeist wird. Dadurch entsteht ein elektromagnetisches Wechselfeld, das die RFID-Sensoren des Staplers erkennen. Das ist die technische Voraussetzung dafür, dass sich das Flurförderzeug sicher in der Gasse bewegen kann.
Automatischer Schubmaststapler

Der Schubmaststapler R-MATIC transportiert vollautomatisch palettierte Waren. Foto: Linde Material Handling
Auch Linde Material Handling ist längst in den Markt für autonome Flurförderzeuge eingestiegen. Die automatisierten Fahrzeuge der MATIC-Reihe gibt es in unterschiedlichen Varianten. Das Sortiment umfasst Stapler, Hubwagen und Schlepper. Da wäre zum Beispiel der Schubmaststapler R-MATIC. Schubmaststapler sind kompakte Flurförderzeuge mit Hubmast und Gabel, die aber im Vergleich zu klassischen Gegengewichtsstaplern eine kürzere Bauform aufweisen und deshalb besser für enge Regalgassen geeignet sind.
Die aktuelle Modellversion des R-MATIC kann Lasten bis zu 1,6 Tonnen tragen. Paletten lassen sich vollautomatisch auf bis zu 11 m hohe Regalböden abstellen. Um sich fahrerlos im Lager zurechtzufinden, verfügt dieses Fahrzeug über eine Laser-Navigation, die permanent im 360°-Radius die Umgebung auf mögliche Hindernisse abscannt. 3D-Kameras erkennen zudem die Maße der Paletten und ermöglichen ein präzises Aufnehmen und Absetzen – sowohl auf dem Boden als auch im Regal. Eine zusätzliche Leit-Infrastruktur im Boden ist bei diesen autonomen Flurförderzeugen nicht notwendig.
Mit dem Modell K-MATIC bietet Linde auch einen autonomen Hochregalstapler, der über eine intelligente Geonavigation verfügt, die laut Hersteller nicht nur Leiterbahnen im Boden, sondern auch Laserreflektoren überflüssig macht. Der Schmalgangstapler ist für Lasten bis zu 1.500 kg sowie Hubhöhen bis zu 12 m konzipiert. Natürlich lässt sich der K-MATIC jederzeit auch manuell von einem Fahrer bedienen.
Autonomer Kommissionierer

Das Flurförderzeug iGo neo begleitet den Kommissionierer auf Schritt und Tritt. Foto: Still GmbH
Der Hamburger Hersteller Still – genauso wie Linde Material Handling ein Tochterunternehmen der internationalen Kion Group – hat ebenfalls Flurförderzeuge mit Automatikfunktion im Portfolio. Dazu gehört auch ein autonomer Kommissionierer. So bezeichnet man in der Logistikbranche kompakte Flurförderzeuge, die den (menschlichen) Kommissionierer bei dessen Aufgabe unterstützen, die Aufträge von Kunden aus dem Lagersortiment zusammenzustellen.
Bei herkömmlichen Kommissionierern sitzt oder steht der Bediener auf einem Fahrerstand, der sich zusammen mit dem Lastteil anheben lässt. Das ist auch beim „iGo neo“ von Still möglich. Doch das autonome Fahrzeug ist auch in der Lage, Lagermitarbeiter auf Schritt und Tritt selbsttätig zu begleiten, wenn diese lieber zu Fuß zwischen den Regallagern unterwegs sein wollen. Dass der Mensch die Maschine bei dieser Anwendung nicht selbst steuern muss, soll zu einer Zeitersparnis von bis zu 30 % beim Kommissionieren führen. Der Lagermitarbeiter wird zudem von ermüdenden Bewegungsabläufen durch ständiges Auf- und Absteigen vom Flurförderzeug entlastet.
Der iGo neo verfügt auf seiner Rückseite über einen Gabelträger zur Aufnahme von Paletten oder sonstigen Lademitteln. In der Automatik-Funktion passt er seine Geschwindigkeit selbsttätig dem Schritttempo des Bedieners und an stoppt sofort, wenn der menschliche Kommissionierer stehenbleibt. Zugleich hält er automatisch einen sicheren Abstand zu Regalen und allen sonstigen Hindernissen. Der Bediener muss lediglich eine Taste an der Seite des Geräts betätigen, und schon behält das intelligente Fahrzeug ihn und die Umgebung mithilfe eines 360°-Scanners „im Auge“.
Forschungsprojekt IMOCO
In einer Still-Pressemitteilung von Februar 2022 werden aber auch die bisherigen Grenzen des iGo neo eingeräumt. Der Kommissionierer sei zwar bereits autonom im Regalgang unterwegs, er könne aber noch nicht vollautonom den Regalgang verlassen und selbstständig optimale Pfade planen. Nach Angaben von Still gilt das bisher noch für viele autonome Flurförderzeuge. Diese könnten in der Regel Hindernisse erkennen und dann selbstständig bremsen, sie könnten aber oft keine Hindernisse umfahren sowie intelligent nach den effizientesten Fahrtrouten suchen. Dazu sei eine hochsensible Sensorik in Form von Laserscanner, Kameras oder Radar notwendig.
Um die Vision von autonom fahrenden Transportfahrzeugen in Produktionshallen und Lagerhäusern in diesem Sinn weiter voranzubringen, hat die Kion Group kürzlich das europäische Forschungsprojekt IMOCO (Intelligent Motion Control) initiiert. Auf deutscher Seite wird das bis Ende 2024 laufende Projekt von Still geleitet, zu den weiteren Projektpartnern zählt hierzulande auch das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML). Im Laufe des Forschungsvorhabens sollen Flurförderzeuge dazu befähigt werden, ihre räumliche Umgebung durch unterschiedliche Sensorik wahrzunehmen und antrainierte Objekte nicht nur in Echtzeit zu erkennen, sondern auch deren Bewegungen einzuschätzen.
„Für den OPX iGo neo ist das Ziel des Projektes, den Grad des Verständnisses der Umgebung und die Fähigkeiten der Entscheidungsfindung weiter zu erhöhen, um so die autonomen Fähigkeiten, die Intelligenz des Roboters, kontinuierlich zu steigern und ihn über den Regalgang hinaus autonom im Lager agieren zu lassen“, erläutert Ansgar Bergmann, bei Still verantwortlich für das IMOCO-Projekt. „Dabei spielen Maschine-Learning- und Deep-Learning-Ansätze eine sehr wichtige Rolle.“ Etwas allgemeiner fügt er hinzu: „Das Forschungsvorhaben will den herkömmlichen Dreiklang aus Erkennen, Analysieren und Handeln mittels künstlicher Intelligenz weiterentwickeln – zu Wahrnehmen, Verstehen und Lösen.“
Dieser Beitrag ist eine Aktualisierung unseres Beitrags „Autonome Flurförderzeuge“ vom Februar 2019.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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