RM Rudolf Müller
Packstücke und Flurförderzeuge sind mit Datamatrix-Codes gekennzeichnet.  Alle Fotos: Sebastian Grenzing/ Dachser

Packstücke und Flurförderzeuge sind mit Datamatrix-Codes gekennzeichnet.  Alle Fotos: Sebastian Grenzing/ Dachser

Arbeitsalltag
03. Januar 2023 | Artikel teilen Artikel teilen

Digitaler Zwilling fürs Lager

Digitalisierung und Automatisierung der Lagerwirtschaft schreiten voran – auch in der Baustoffbranche. Am Warenein- und -ausgang sind dabei aber in der Regel noch manuelle Barcode-Scanvorgänge notwendig. Dachser geht nun einen Schritt weiter. An zunächst zwei Standorten arbeitet der Logistikdienstleister mit der „@ILO-Software“. Diese ermöglicht einen permanent aktualisierten digitalen Zwilling aller Lagerprozesse und erlaubt so eine vollautomatische Echtzeit-Inventur der Warenbestände.

Zwei so genannte @ILO-Terminals sind bereits an den Dachser-Standorten in Unterschleißheim bei München und Öhringen bei Stuttgart in Betrieb gegangen. Die Pilotanlagen durchlaufen in den dortigen Lägern derzeit einer Testphase. Entwickelt wurden sie im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts von Dachser und dem Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (Fraunhofer IML).

Herzstück der innovativen Anlagen ist die @ILO-Software. Sie steuert zahlreiche optische Scaneinheiten, die im Sekundentakt umfangreiche Daten erfassen und somit ein jederzeit aktuelles Abbild des Lagers und seiner Prozesse erstellen. Man spricht auch von einem digitalen Zwilling. Das Kürzel @ILO steht für „Advanced Indoor Localization and Operations“.

Vollautomatische Scanvorgänge

Der digitale Zwilling wird über Scaneinheiten im Deckenbereich der Lagerhalle erfasst.

Der digitale Zwilling wird über Scaneinheiten im Deckenbereich der Lagerhalle erfasst.

Vollautomatisch identifiziert der @ILO-Terminal alle palettierten Waren beim Eintritt, Aufenthalt und Verlassen des Lagers und erfasst sie im Transportmanagementsystem von Dachser. Manuelle Scanvorgänge von Barcodes und das zusätzliche Beschriften der Packstücke entfallen somit. Damit beschleunigen sich die Eingangs- und Ausgangsprozesse.

Das System bietet zudem stets aktuelle Informationen darüber, wo sich welches Packstück in den oftmals Fußballfeld-großen Umschlaglägern von Dachser gerade befindet. Die Stellplätze aller Waren, aber auch die Positionen sämtlicher Flurförderzeuge lassen sich in Echtzeit visualisieren und zum Beispiel auf Websites oder mobilen Displays darstellen. Dachser hofft dadurch Such- und damit letztlich auch Beladungsprozesse noch einmal deutlich zu verkürzen.

Um zu verstehen, wie innovativ das ist, muss man sich vergegenwärtigen, wie die digitale Lagerwirtschaft bisher andernorts funktioniert. Auch im Baustoff-Fachhandel ist es heute vielerorts schon üblich, angelieferte Waren sofort elektronisch zu erfassen, und die Daten in Lagerverwaltungssysteme einzuspeisen, die jedem Produkt anschließend automatisch einen optimalen Stellplatz im Regallager zuweisen. An manuellen Scanvorgängen führt dabei aber kein Weg vorbei.

Die @ILO-Software erledigt das alles vollautomatisch. Technologische Basis des Systems sind mehrere hundert optische Scaneinheiten im Deckenbereich der Lagerhallen, die den gesamten Boden erfassen. Außerdem befindet sich auf der Oberseite jedes Packstücks ein so genannter Datamatrix-Code als Identifikator. Indem die Scanner permanent die Codes einlesen, entsteht ein digitaler Zwilling des kompletten Lagers. Dieser bildet alle Waren und Lager-Vermögenswerte (Regale, Förderanlagen, Flurförderzeuge etc.) sowie sämtliche Logistikprozesse in Echtzeit ab.

Vollautomatische Gütervermessung

Die Positionen von Waren und Flurförderzeugen lassen sich in Echtzeit visualisieren.

Die Positionen von Waren und Flurförderzeugen lassen sich in Echtzeit visualisieren.

„Mit dem @ILO-Terminal erreichen wir eine neue Stufe der Supply Chain Visibility“, sagt Stefan Hohm, CDO von Dachser und Mitglied des Vorstands. „Gemeinsam mit dem Fraunhofer IML haben wir über vier Jahre an dem digitalen Zwilling gearbeitet. Mit viel Wissen, Ideen und vor allem Leidenschaft haben die Teams aus Wissenschaft und Praxis das Internet der Dinge und die Vision von Logistik 4.0 auch in der Stückgutlogistik Wirklichkeit werden lassen.“

In Zukunft soll @ILO die eingehenden Waren übrigens nicht nur identifizieren und für das Transportmanagementsystem erfassen, sondern zusätzlich auch noch die vollautomatische und permanente Vermessung aller Güter leisten. Bereits im derzeitigen Pilotbetrieb kann das System die Dimensionen der Packstücke mit hoher Genauigkeit ermitteln, Dachser und Fraunhofer IML arbeiten derzeit aber noch daran, die Praxistauglichkeit dieses Tools zu verbessern. Künftig jedenfalls sollen die ermittelten Volumendaten dabei helfen, die digitale Tourenplanung weiter zu optimieren. Das könnte zu einer besseren Auslastung der Transportfahrzeuge beitragen und somit helfen, Transportkilometer zu reduzieren.

Eine Neuheit ist auch die so genannte automatische „Verheiratung“ von Flurförderzeugen und Packstücken. Das @ILO-System erkennt die Aufnahme einer Palette durch ein Flurförderzeug automatisch und übermittelt die Informationen in Echtzeit an die Displays der Lagermitarbeiter. Als technische Grundlage dafür dienen die Packstück-Codes einerseits sowie die auf der Oberseite der Fahrzeuge angebrachten Codes andererseits.

Forschungsprojekt endet Mitte 2023

Die beiden Pilotanlagen sollen sich nun in der Praxis bewähren. Für Mitte 2023 ist dann der Abschluss des Forschungsprojekts geplant. Dann entscheidet Dachser, ob es die Technologie in seinem gesamten europäischen Netzwerk einführen wird. Vieles deutet darauf hin, dass es so kommt. „Die vorliegenden Resultate stimmen sehr zuversichtlich“, heißt es dazu in einer Dachser-Pressemitteilung von Ende Oktober 2022.

Entscheidet sich Dachser für die Technologie, beträfe das über 300 Umschlagterminals und Lagerhäuser in ganz Europa. Das wäre ein echter Durchbruch für den digitalen Zwilling in der Lagerwirtschaft. Ausgewählte Ergebnisse dieser neuen Stufe der Supply Chain Visibility beabsichtigt Dachser dann auch Kunden und Partnern zugänglich zu machen – beispielsweise in Form einer Echtzeitdokumentation des Verladevorgangs.


 

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