RM Rudolf Müller
Das Pilotprojekt auf der A9 ging über 35.000 km.  Foto: Deutsche Bahn AG / MAN / Jan Hölzl

Das Pilotprojekt auf der A9 ging über 35.000 km.  Foto: Deutsche Bahn AG / MAN / Jan Hölzl

Arbeitsalltag
22. Dezember 2020 | Artikel teilen Artikel teilen

Straßentransport: Platooning als Zukunft?

Fahrermangel ist seit Jahren ein großes Problem in der Transportlogistik. Die Zukunftslösung könnte „Platooning“ heißen. Bei diesem Konzept fahren mehrere Lkw in geringen Abständen hintereinander. Der Clou dabei: Ein aktiv steuernder Fahrer sitzt nur im Lkw an der Spitze, alle anderen folgen dem Führungsfahrzeug autonom. Das verspricht Einsparungen bei Personal und Kraftstoff.

Laut einer im August 2020 veröffentlichten Studie des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML könnte Platooning im Fernverkehr der Transportwirtschaft ein erster Schritt des autonomen Fahrens auf Autobahnen sein. Die homogene Autobahninfrastruktur in Deutschland ermögliche die Ausweisung eines Positivnetzes, auf dem Platooning technisch und rechtlich realisierbar wäre – so die Autoren der Studie „PLATON – Volkswirtschaftliche Auswirkungen von Platooning – Deutschland und Fokus Hessen als Transitland“.

Technisch fast ausgereift

Die Technologie sei „in naher Zukunft“ technisch ausgereift – so die Fraunhofer-Forscher. Bei Fahrzeugen mit Platooning-fähiger Ausstattung sei „in naher bis mittlerer Zukunft mit einer Serienreife zu rechnen“. Das Konzept biete einen niedrigschwelligen Einstieg in das autonome Fahren, weshalb zu erwarten sei, dass es als eine der ersten Automatisierungstechnologien eine breite Anwendung finden werde. Bei allem Technik-Optimismus erkennt aber auch das Fraunhofer IML an, dass es für den Regelbetrieb bisher noch an vielen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen mangelt.

Noch ist Platooning – so wie das autonome Fahren insgesamt – in Deutschland nicht erlaubt. Noch fehlen wichtige und möglichst EU-weite Regulierungen, etwa zur Produkthaftung oder zu Fahrzeugabständen, die nicht unterschritten werden dürfen. Noch fehlt auch ein herstellerübergreifendes System, damit sich Platoons künftig auch aus Lastkraftwagen verschiedener Hersteller bilden können. Trotz dieser Hürden halten die Autoren der Studie Platooning jedoch für ein notwendiges Konzept, nicht zuletzt, weil sich der heute schon akute Fahrermangel in Zukunft noch verstärken werde und die gesamte Logistikbranche strukturell gefährde.

Was ist Platooning?

Unter Platooning versteht man eine Sonderform des autonomen Fahrens im Straßenverkehr, bei der mindestens zwei Lkw im Verbund hintereinander fahren – unter Einhaltung eines geringen Abstand von etwa zehn bis 20 Metern. Die Fahrzeuge sind durch eine WLAN-Verbindung miteinander gekoppelt und mit automatischer Fahrassistenz- und Steuertechnik ausgestattet.

Im Idealfall wird nur noch das Führungsfahrzeug von einem menschlichen Fahrer gesteuert, die anderen Lkw übernehmen automatisch dessen Tempo und Richtung. Zusätzlich zum superschnellen WLAN mit Reaktionszeiten von etwa einer Millisekunde (0,001 Sekunde) sind die autonomen Kraftfahrzeuge natürlich auch mit Kamera- und Radar-Sensoren ausgestattet, um ihr Umfeld wahrnehmen und auf Gefahren reagieren zu können.

Das Fraunhofer IML unterscheidet in seiner Studie verschiedene Automatisierungslevel. Beim klassischen Modell sitzt noch in jedem Lkw ein Fahrer, der zwar nicht immer aktiv fährt, bei Problemen aber sofort eingreifen kann. Beim hybriden Modell wird nur noch das Führungsfahrzeug von Menschenhand gelenkt. Technisch machbar wäre zudem auch ein vollautonomer Platoon – ganz ohne Fahrpersonal. Die Legalisierung dieses höchsten Automatisierungslevels ist in näherer Zukunft aber wohl nicht zu erwarten.

Spareffekte bei Kraftstoff und Personal

Die autonomen Fahrzeuge kommunizieren per WLAN miteinander. Grafik: Deutsche Bahn AG / DB Schenker

Die autonomen Fahrzeuge kommunizieren per WLAN miteinander. Grafik: Deutsche Bahn AG / DB Schenker

Moderne, in Bruchteilen von Sekunden erfolgende Car-to-Car-Kommunikation hat es erst möglich gemacht, dass man die Lkw auch in geringen Abständen sicher hintereinander fahren lassen kann. Das ermöglicht weitere Vorteile: Der geringe Abstand sorgt für einen reduzierten Luftwiderstand, was wiederum zu einem geringeren Kraftstoffverbrauch führt. Das Fahren im Windschatten hilft also langfristig Logistikosten sparen.

Demgegenüber stehen höhere Anschaffungskosten für die Automatisierungstechnik. Diese würden sich aber zumindest beim hybriden Platooning schnell amortisieren. Das Fraunhofer IML glaubt, dass sich die Personalkosten künftig um 80 % senken ließen, wenn nur das Führungsfahrzeug mit einem Fahrer besetzt werden müsste.

Je länger ein Platoon, je mehr Fahrzeuge im Verbund fahren, desto größer sind natürlich die möglichen Spareffekte. In der Praxis sehen die Fraunhofer-Forscher die maximale Platoon-Länge aber auf zwei bis drei Fahrzeuge begrenzt. Rein technologisch wären zwar auch längere Konvois möglich, doch das starke Verkehrsaufkommen und die hohe Dichte von Auf- und Abfahrten auf deutschen Autobahnen machen dies zu gefährlich.

Pilotprojekt auf der A9

Den weltweit ersten Praxiseinsatz vernetzter Platooning-Kraftfahrzeuge hat der Logistikanbieter DB Schenker zusammen mit seinen Kooperationspartnern MAN Truck & Bus und der Hochschule Fresenius organisiert. Beim Forschungsprojekt „Elektronische Deichsel – Digitale Innovation“ (EDDI) fuhren zwei elektronisch miteinander gekoppelte Lkw ab Juni 2018 über einen Gesamtzeitraum von sieben Monaten insgesamt 35.000 km auf der A9 zwischen München und Nürnberg. Getestet wurde dabei allerdings nur das klassische Platooning – also mit Fahrern in jedem Lkw. Die Fahrzeuge hielten einen Abstand von 15 bis 20 Metern zueinander (siehe Foto ganz oben).

DB Schenker zufolge hat das in den Lkw von MAN verbaute Platooning-System zu 98 % reibungslos funktioniert. Einmal pro 2.000 Kilometer hätten die Fahrer allerdings aktiv eingreifen müssen. Das sei deutlich seltener gewesen als erwartet. Die beteiligten Fahrer hätten das allgemeine Sicherheitsempfinden gelobt. Als „unangenehm“ – aber nicht kritisch – bewerteten sie allerdings Situationen, in denen andere Verkehrsteilnehmer in die Lücken zwischen den Lkw einscherten. „Aufgrund der schnellen Reaktionszeiten des Systems würden die Fahrer heute daher einen Abstand von nur zehn bis 15 Metern bevorzugen“, so Prof. Dr. Sabine Hammer von der Hochschule Fresenius.

Die Kraftstoffeinsparungen beim Pilotprojekt betrugen für das Folgefahrzeug immerhin 3–4 %, für das Führungsfahrzeug waren es 1,3 %. DB Schenker plant, Platooning künftig großflächig im Logistiknetz einzusetzen. „Wir haben unser europäisches Transportnetzwerk analysiert und können konkret sagen, dass etwa 40 % der gefahrenen Kilometer in Platoons durchgeführt werden könnten“, sagt Alexander Doll, Vorstand Finanzen, Güterverkehr und Logistik der Deutschen Bahn AG. Vorher seien allerdings weitere Tests und entsprechende regulatorische Rahmenbedingungen notwendig.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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