
Über große Zentralläger – hier der Hagebau-Standort in Neumünster – könnte man die Warenströme in der Baustoffbranche effektiver bündeln als bisher. Foto: hagebau
Warenströme im Fachhandel: Was ist Cross-Docking?
Die Ausgaben für Lagerhaltung und Warentransport gelten nach den Personalkosten als der größte Kostenblock im Baustoff-Fachhandel. Durch eine Warenverteilung nach dem Prinzip des so genannten Cross-Dockings können Handelsstandorte Logistikkosten sparen, indem sie auf eine eigene Lagerhaltung verzichten.
Im Zeitalter des Internet-Handels haben sich die Konsumenten schnell daran gewöhnt, dass bestellte Waren in kürzester Zeit nach Hause geliefert werden – oft schon am Folgetag der Bestellung. Dabei erwarten sie nicht nur, dass die Zustellung schnell und zuverlässig erfolgt, sondern zugleich, dass sie auch noch preisgünstig ist. Eine Quadratur des Kreises? Offenbar nicht: Zumindest bei „normalen“ Konsumartikeln wie Bücher und CDs schaffen es die Internet-Versandhändler ja, derartige Logistikleistungen zuverlässig zu organisieren.
Gestiegene Kundenanforderungen
Nun kann man das Geschäft von Amazon & Co. natürlich nicht so einfach auf den Baustoff-Fachhandel übertragen. Letzterer liefert häufig schwere und sperrige Waren, die nicht per Paketpost zu versenden, sondern mit Lkw auf örtliche Baustellen anzuliefern sind. Trotzdem kann sich der Fachhandel dem Zeitgeist nicht völlig verschließen. Auch von ihm erwarten die Kunden heute schnelle Lieferungen zum kleinen Preis. Aber ist dieser Anspruch denn realistisch? Kann der Baustoff-Fachhandel schnell und preisgünstig zugleich liefern?
Theoretisch kann auch der Baustoffhandel umgehend einen Lkw beladen und losfahren, sobald ein Kunde anruft und schnellstmöglich eine Palette Dachziegel oder Zement geliefert haben möchte. Vorausgesetzt natürlich, er hat die gewünschten Produkte überhaupt auf Lager und geraden einen freien Lkw auf dem Hof. In manchen Fällen wird er die Ware erst einmal bei der Industrie bestellen müssen. Dann wird es schon mal nichts mit der superschnellen Zustellung, denn in der Regel produziert der Lieferant ja nicht vor der Haustür der Kunden. Für die Warenverfügbarkeit vor Ort ist schließlich der Fachhandel zuständig.
Handel in der Zwickmühle
Der Baustoffhandel hat es nicht einfach, die gestiegenen logistischen Anforderungen der Kunden zu erfüllen. Sorgt er dafür, dass stets alle Waren in seinem Lager vorrätig sind, dann kann er zwar jederzeit schnell liefern, aber er verursacht zugleich hohe Lagerkosten, die er aus Wettbewerbsgründen oft nicht an die Kunden weitergeben kann. Und er läuft Gefahr, auf Teilen seiner Warenbestände dauerhaft sitzenzubleiben. Bestellt er dagegen nur auftragsbezogene Kleinmengen bei der Industrie, dann muss er seitens der Hersteller mit Aufschlägen bei den Lieferkosten rechnen.
Doch selbst wenn ein Baustoffhändler in seinem Lager stets „aus dem Vollen schöpfen kann“ ist für ihn eine jederzeitige, schnelle und flexible Zustellung auf die Baustelle nicht ohne Tücken. Denn es besteht stets die Gefahr, dass er unrentable Auslieferungstouren mit nicht ausgelasteten Fahrzeugen durchführen muss. Fährt ein Lkw mit nur wenigen Paletten Ladung durch die Gegend, dann verursacht das hohe Logistikkosten pro Wareneinheit. Angesichts der geringen Gewinnmargen bei vielen Warengruppen im Baustoffhandel sind derartige Transporte möglichst zu vermeiden. Auf der anderen Seite sind sie aufgrund der Kundenwünsche oft aber nicht vermeidbar.
Bündelung von Warenströmen

Beim Cross-Docking werden Warenlieferungen der Industrie (links) gar nicht mehr eingelagert, sondern sofort auf die Warenausgänge der Empfänger verteilt. Grafik: hagebau
Die logistische Grundfrage für den Baustoffhandel lautet also: Wie lässt sich erreichen, dass jeder einzelne Kunde möglichst schnell seine bestellte Ware erhält und zugleich eine maximale Auslastung der Transportfahrzeuge sichergestellt ist? Für diese lagerwirtschaftliche Herausforderung ist das so genannte Cross-Docking eine interessante Lösung. Diese setzt allerdings voraus, dass der einzelne Baustoffhändler zumindest weniger eigene Lagerhaltung betreibt. Stattdessen müssten die branchenweiten Warenströme zwischen Industrie und Handel einerseits sowie Handel und Profi-/Endkunden andererseits gebündelt werden, um für alle Marktteilnehmer stets gut ausgelastete Lkw-Touren zu gewährleisten.
Um das zu verstehen, werfen wir noch einmal einen Blick auf die großen Internet-Versandhäuser im Konsumgüterbereich. Anbieter wie Amazon verfügen über riesige regionale Warenlager („Logistikzentren“), in denen täglich eine enorme Anzahl an Bestellvorgängen abgewickelt wird. Unter solchen Umständen fällt es nicht schwer, selbst für entlegene, ländliche Zustellregionen Touren mit gut ausgelasteten Transportfahrzeugen zusammenzustellen. Zumal Amazon die Waren über externe Paketdienstleister ausliefern lässt. Diese Dienstleister führen ihrerseits Warenbündelungen durch, denn DHL und andere Paketunternehmen fahren ja nicht nur für Amazon, sondern noch für viele andere Kunden.
Nun sind die Warenströme im mittelständischen Baustoff-Fachhandelsunternehmen leider in der Regel nicht so riesig, dass eine effektive Warenbündelung immer möglich wäre. Aber fast jeder Baustoffhändler ist heute Mitglied einer Kooperation, und die verfügen teilweise über ein Netz an bundesweit verteilten Zentrallägern, die angeschlossene Fachhändler schon heute beliefern. Über solche Läger könnte man die Warenströme der Branche wahrscheinlich wesentlich effektiver bündeln als es bisher der Fall ist.
Cross-Docking über Zentralläger
So könnten die Zentralläger zum Beispiel verstärkt das Prinzip des Cross-Dockings anwenden. Der Begriff bedeutet wörtlich „über kreuz andocken“ oder etwas freier übersetzt: Kreuzverkupplung. Cross-Docking steht für ein so genanntes bestandsloses Lagerkonzept, bei dem das Lager nur noch als Warenumschlagplatz dient, aber keine dauerhafte Wareneinlagerung mehr stattfindet. In der Baustoffbranche könnten die Zentralläger der Kooperationen eine solche Aufgabe übernehmen.
Beim idealtypischen Cross-Docking liefern die unterschiedlichen Lieferanten der Branche stets volle Lkw-Ladungen mit ihren Produkten an ein Zentrallager. Dadurch sparen sie Transportkosten, weil sie nur noch mit vollen Lkw und nur an einer zentralen Stelle anliefern müssen. Im Cross-Docking-Zentrallager werden die Produktanlieferungen der verschiedenen Hersteller dann auf (volle) Lkw-Ladungen für einzelne Empfänger (Baustoffhändler) aufgeteilt und verlassen den Warenumschlagplatz umgehend wieder. Der Baustoffhändler vor Ort erhält auf diese Weise nur noch eine Lieferung mit Produkten von mehreren Lieferanten, anstatt – wie bisher üblich – mehrerer Lieferungen von mehreren Lieferanten.
Auch die Direktlieferung gebündelter Warenladungen direkt auf die Kundenbaustelle wäre per Cross-Docking natürlich möglich. Auf diese Weise könnte der einzelne Baustoffhändler den heute geforderten schnellen Lieferservice theoretisch sogar ganz ohne eigene Lagerhaltung – und damit sehr kostengünstig – gewährleisten. Ob sich das Cross-Docking künftig verstärkt in der Branche durchsetzt, wird die Zukunft zeigen. In den großen Kooperationen arbeitet man bereits an Cross-Docking-Lösungen für die Zentralläger. Eine entscheidende Voraussetzung für deren Erfolg ist allerdings die Frage, ob die Baustoffhändler selbst bereit sind, eine ihrer bisherigen Kernkompetenzen – die eigene Lagerhaltung – nennenswert einzuschränken.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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