
Wandergesellen haben eine lange Tradition, die bis ins späte Mittelalter zurück reicht. Man erkennt sie an ihrer auffälligen Kleidung. Unverwechselbare Kennzeichen sind unter anderem Schlapphut, Schlaghose und Jackett.
Gesellen auf Wanderschaft
Manche Lehrlinge gehen nach ihrer Ausbildung erstmal ein paar Jahre wandern
Von Claudia Marion. Vielleicht habt ihr sie schon mal gesehen. „Stattliche“ Burschen mit dunklem Anzug, Schlapphut oder Zylinder und einem Knüppel mit Bündel auf dem Rücken. Es handelt sich um Wandergesellen auf der so genannten „Walz“. Selten, aber auch immer wieder, sieht man Wandergesellinnen. Doch was soll das eigentlich mit dem Wandern?
Einen Wandergesellen erkennt man an seiner Kluft. Die Farbe der Kleidung ist abhängig vom jeweiligen Beruf. Schwarz tragen die Holzberufe, hell, das heißt weiß oder braun, die Steinberufe. Sie besteht aus einem Hut, entweder einem Schlapphut mit breiter Krempe oder einem Zylinder, dieser wird nur zum Essen, Schlafen oder in der Kirche abgenommen; der Staude, einem kragenlosen weißen Hemd; einer Hose aus Breitcord mit Schlag, damit die Sägespäne nicht in die Schuhe fallen; einer Weste mit acht Knöpfen, die für das achtstündige Tagwerk stehen; einem Jackett mit sechs Knöpfen, für die sechs Arbeitstage der Woche; der so genannten „Ehrbarkeit“ (ähnlich einer Krawatte) an deren Farbe man die Zugehörigkeit zum Schacht erkennt, in ihr steckt eine goldene Nadel mit dem Handwerkswappen des jeweiligen Berufsstandes; und einem goldenem Ohrring am linken Ohr. Dieser dient im Notfall als eiserne Reserve und kann verpfändet werden. Einem unehrenhaften Gesellen wird der Ohrring rausgerissen, er wird „geschlitzohrt“ (hier hat der Ausdruck „Schlitzohr“ seinen Ursprung). Seine Habe transportiert der Wandergeselle in einem Tuch, dem so genannten „Charlottenburger“, oder auch „Charlie“.
Lange Tradition
Den Ursprung der Walz kann man bis ins späte Mittelalter zurückverfolgen. Damals war das Wandern durch die Welt nach der Lehre und bestandener Gesellenprüfung noch Voraussetzung um den Meistertitel zu erhalten.
Denn durch die Wanderschaft bot sich den Gesellen die Möglichkeit, andere Arbeitspraktiken, Länder und Sitten kennenzulernen. Zu jener Zeit wurde alles noch handgefertigt. Es gab keine industriellen Produkte und fürs Bauen brauchte man noch erheblich länger als heute. Da konnte der Bau einer Kirche schnell mal zum Lebenswerk werden. Außerdem gab es nur wenige Bücher. Diese wurden in den Bibliotheken der Klöster Wort für Wort abgeschrieben und befassten sich nicht unbedingt mit dem Handwerk. Und wenn einmal doch, dann hatte ein einfacher Handwerksgeselle nicht unbedingt Zugang zu diesen Büchern – und Latein konnten wohl auch nur die Wenigsten. Also: um was Neues zu lernen blieb einem Gesellen nichts anderes übrig als auf Wanderschaft zu gehen. Nebenbei war das auch eine effektive Form der Jobsuche. Wenn der Wandergeselle in eine Region kam, in der der ansässige Handwerksmeister alt, krank oder verstorben war, hatte er die Möglichkeit, sich dort niederzulassen, wenn der Rat des Ortes es erlaubte. Im frühen Todesfall des Alt-Meisters bekam er nicht nur seine Stellung, sondern auch Frau und Kinder gleich mit dazu.
Mal hier, mal dort arbeiten

Einige Gesellen treibt weniger die Tradition als vielmehr die Situation auf dem Arbeitsmarkt in die Welt. Statt nach ihrer Ausbildung links in die Arbeitslosigkeit abzubiegen, gehen sie geradeaus und suchen ihr Glück in anderen Regionen.
Diese Tradition ist im Laufe der Jahrhunderte aber immer rückläufiger geworden. Mit Beginn des zweiten Weltkrieges und in den Zeiten der DDR waren die Schächte offiziell verboten. Wenige agierten zu dieser Zeit im Schutze des Untergrundes. Erst zu Beginn der 80er Jahre besann man sich wieder auf diesen Brauch. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Zum einen sicher die Abenteuerlust, Neugierde und der Wunsch anderes kennenzulernen, ohne die eine Walz unmöglich wäre. Zum anderen die Besinnung auf Traditionen, die uns heute immer mehr verloren gehen.
Aber auch die Arbeitsmarkt-Situation mag manchen dazu bewegen in die Welt zu ziehen. Denn in vielen Regionen werden Gesellen nach dem Bestehen der Abschlussprüfung nicht übernommen, da für eine Festanstellung oft nicht ausreichend Aufträge vorhanden sind. Die Zeitbeschäftigung eines Wandergesellen ist für viele Betriebe eine gute Lösung, um Personalengpässe zu überbrücken, jedoch ohne die Verpflichtung der Beschäftigung über zwölf Monate. Für den Gesellen ist es außerdem ein guter Karriere-Grundstein. Und wenn man dann vielleicht gerade von der großen Liebe verlassen wurde, fällt einem eine solche Entscheidung, durch die Welt zu ziehen, leicht. Falls man jedoch den Gerichtsvollzieher vor der Tür stehen hatte, weil man Schulden hat, oder man sich in der Beziehung mit Frau und Kind überfordert fühlt und die Walz als Fluchtmöglichkeit sieht, bleibt einem diese verwährt, denn es zählt zu den Voraussetzungen um in einem Schacht als Wandergeselle aufgenommen zu werden, dass man schuldenfrei, ledig kinderlos und nicht vorbestraft ist.
Zurück in die Heimat ist verboten

Eine strenge Regel: Wandergesellen dürfen kein eigenes Auto besitzen und auch öffentliche Verkehrsmittel sind für sie tabu. Trampen ist aber erlaubt.
Foto: DDP
Gesellen sind mindestens zwei bzw. drei Jahre und einen Tag auf Wanderschaft. Ihre Heimatstadt liegt dann in einem Bannkreis von 50 oder 60 km, den sie nicht betreten dürfen. Die einzige Ausnahme ist der Todesfall eines Verwandten ersten Grades, also Eltern oder Geschwister. Und dann auch nur für einen Tag. Er darf auf seiner Wanderschaft maximal drei Monate am Stück ohne Beschäftigung sein. Und höchstens sechs Monate an einem Ort.
Viele Bräuche und Traditionen der Wandergesellen sind nirgendwo niedergeschrieben. Sie werden nur wörtlich überliefert und das nur an Mitglieder der Bruderschaft. Als Außenstehender erfährt man nur ein Grundwissen, welches schon beeindruckt.
Ein wichtiger Brauch ist es, dass der Wandergeselle kein eigenes Auto hat und öffentliche Verkehrsmittel verpönt sind. So muss er wandern oder per Anhalter fahren. Das verschafft dem Mitnehmenden die Gelegenheit ein bisschen Abenteuerluft zu schnuppern und vielleicht dem Gesellen ein kleines Geheimnis zu entlocken. Jedenfalls verkürzen die Erzählungen manch lange Autofahrt.
Quelle: Claudia Marion, DAS SCHULUNGSBÜRO für Baustoffkunde
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Die wenigsten Gesellen dürfte ihre Wanderschaft bis in den Süden Spaniens führen (Das Bild zeigt einen Ausschnitt der Kathedrale von Sevilla, der drittgrößten Kirche der Welt) – doch vor allem früher wurden viele in der Fremde sesshaft. Kein Wunder, der Bau einer Kirche war damals noch eine Lebensaufgabe. Foto: Bildpixel, Pixelio