RM Rudolf Müller
Eine Dekarbonisierung des Netzstroms ist laut Studie entscheidend für den Klimaschutz.  Foto: Pixabay

Eine Dekarbonisierung des Netzstroms ist laut Studie entscheidend für den Klimaschutz.  Foto: Pixabay

Hintergrundwissen
03. Mai 2022 | Artikel teilen Artikel teilen

Klimaschutz: Schadet mehr Dämmung?

Noch höhere Dämmanforderungen im Neubau führen zu mehr Treibhausgas-Emissionen: Diese provokante These gehört zu den Ergebnissen eines Gutachtens im Auftrag des Zentralen Immobilien Ausschusses ZIA. Weiter verschärfte Anforderungen an die Gebäudehülle würden nur noch „zu geringen und rein theoretischen Einsparungen des Heizwärmebedarfs“ führen. Zugleich drohten erhöhte Emissionen aufgrund des Ressourcenaufwands für den baulichen Wärmeschutz.

Das im November 2021 veröffentlichte Gutachten „Verantwortung übernehmen – Der Gebäudebereich auf dem Weg zur Klimaneutralität“ wurde gemeinsam vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem Steinbeis-Innovationszentrum SIZ Energieplus (Braunschweig) erstellt. Die knapp 230 Seiten starke Studie entstand im Auftrag des ZIA, der als Spitzenverband der Immobilienwirtschaft rund 37.000 Unternehmen und Branchenverbände repräsentiert.

Neubaupotenziale ausgeschöpft

Die Treibhaus-Emissionen im Gebäudebereich sind in den letzten Jahren nur leicht gesunken.  Grafik: Umweltbundesamt

Die Treibhaus-Emissionen im Gebäudebereich sind in den letzten Jahren nur leicht gesunken.  Grafik: Umweltbundesamt

Das Gutachten vertritt den Standpunkt, dass es für den Neubau mittlerweile sogar kontraproduktiv wäre, wenn die derzeitigen Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) an die Gebäudehülle weiter verschärft würden. Durch höhere Dämmstoffanforderungen ließe sich der Heizwärmebedarf kaum noch senken. Das Potenzial, auf diesem Wege Treibhausgas-Emissionen (THG-Emissionen) zu senken, sei daher gering.

Schlimmer noch: Durch den notwendigen Ressourcenaufwand für mehr baulichen Wärmeschutz würden unterm Strich mehr THG-Emissionen ausgelöst als sich durch eine weitere Verschärfung der Dämmvorschriften einsparen ließen. Diese These bezieht sich freilich nur auf den Neubaubereich. Das Gutachten betont ausdrücklich, dass sich im Gebäudebestand durch ein besseres Dämmniveau große Mengen an THG- Emissionen vermeiden lassen. Eine GEG-Verschärfung für den Neubau sei dagegen sowohl bei Wohn- als auch bei Nichtwohngebäuden „weder energetisch noch wirtschaftlich beziehungsweise ökologisch zielführend“ – heißt es in der Studie.

Die diesbezüglichen Einsparpotenziale habe man in den letzten Jahrzehnten bereits weitgehend ausgeschöpft. Auch wenn künftig – wie von der Bundesregierung geplant – alle Neubauten als Effizienzhaus 55 gebaut werden, hält das Gutachten nur noch ein „rechnerisches Einsparpotenzial“ von jährlich 0,5 Mio. Tonnen Treibhausgase für möglich. Weitere 1 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente könnten eingespart werden, wenn das Effizienzhaus 40 zum Pflichtstandard im Neubau würde. Doch auch diese Einsparungen seien „nahezu unbedeutend“, schließlich habe der Gebäudesektor in Deutschland allein 2020 etwa 118 Mio. Tonnen THG-Emissionen verursacht.

Wärmepumpen – Fernwärme – Photovoltaik

THG-Minderungspotential bis 2030 (Anlagentechnik und Gebäudehülle) – nach Berechnungen des Steinbeis-Innovationszentrum Energieplus. Grafik: siz energieplus

THG-Minderungspotential bis 2030 (Anlagentechnik und Gebäudehülle) – nach Berechnungen des Steinbeis-Innovationszentrum Energieplus. Grafik: siz energieplus

Die skeptische Sichtweise von KIT und SIZ Energieplus bezieht sich aber nur auf das Ziel, Transmissionswärmeverluste über die Gebäudehülle im Neubau noch weiter zu senken. Für eine deutliche Reduktion von THG-Emissionen im Gebäudesektor sieht das Gutachten dagegen grundsätzlich gute Chancen – allerdings mit anderen Maßnahmen. Dazu zählen im Bereich der Wärmeerzeugung insbesondere der Umstieg von Gas- und Ölheizungen auf Wärmepumpen sowie ein Ausbau der Fernwärme.

Für eine erhöhte häusliche Stromproduktion empfiehlt die Studie zudem mehr Photovoltaik auf Dachflächen. Speziell bei Wirtschaftsimmobilien hält sie zudem bis zu 30 % Energieeinsparungen nur durch Betriebsoptimierungen für möglich. Das allein entspräche etwa 10 Mio. Tonnen weniger Treibhausgase pro Jahr.

Die Wärmeerzeugung im deutschen Gebäudebestand erfolgt derzeit in etwa 50 % der Häuser über Gasheizungen, weitere 25 % werden sogar noch mit Ölkesseln versorgt. Durch eine dekarbonisierte Wärmeerzeugung lassen sind daher noch erhebliche Emissionsminderungspotenziale erschließen. Die Studie empfiehlt vor allem einen „konsequenten Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen“ sowie „eine strombasierte Wärmebereitstellung durch elektrische Wärmepumpen“. Am besten natürlich Wärmepumpen, die mit lokal erzeugtem Solarstrom laufen.

Den Einsatz von grünem Wasserstoff als Energiequelle befürwortet das Gutachten zwar in Energiewirtschaft und Industrie sowie im Schwerlastverkehr, nicht aber als Brennstoff zum Heizen in Gebäuden. „Eine Beibehaltung der bisherigen verbrennungsbasierten Wärmeversorgung bei vollständiger Substituierung von fossilen Energieträgern mit Wasserstoff wäre aufgrund der Umwandlungsverluste aus volkswirtschaftlicher Perspektive nicht empfehlenswert“, heißt es dazu in der Studie. Allerdings entstehe bei der elektrolytischen Wasserstofferzeugung Abwärme, die sich über Fernwärmenetze zur Gebäudebeheizung nutzen lasse. KIT und SIZ Energieplus sind diesbezüglich sogar sehr optimistisch: „Im Jahr 2045 könnte aus der Abwärme rund 20 % des Wärmebedarfs des Gebäudesektors gedeckt werden“.

Fokus auf THG-Emissionen

Das Gutachten empfiehlt den Umstieg von Gas- und Ölheizungen auf Wärmepumpen. Foto: Pixabay

Das Gutachten empfiehlt den Umstieg von Gas- und Ölheizungen auf Wärmepumpen. Foto: Pixabay

Neben der Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung wirbt das Gutachten auch für deutlich mehr grünen Strom – etwa durch Photovoltaik auf Dachflächen. Die Dekarbonisierung des Netzstroms sei „der entscheidende Faktor für die Erreichung der Klimaschutzziele (…) und nicht eine Verschärfung der Vorgaben zum baulichen Wärmeschutz“.

Generell kritisieren KIT und SIZ Energieplus, dass die Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden in Deutschland nahezu ausschließlich über den Energiebedarf in der Betriebsphase erfolge. So richte sich auch die Höhe der Fördersätze im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) am Primärenergieverbrauch des Gebäudes und dem Transmissionswärmeverlust der Gebäudehülle. Demgegenüber präferiert das Gutachten die Verknüpfung von Fördermitteln an nachweislich vermiedene THG-Emissionen im Gebäudebetrieb.

Ein solcher Fokus auf THG-Emissionen hätte unter anderem auch den Vorteil, dass sich ein sparsamer Verbrauch von Heizenergie und Strom besser belohnen ließe. Zudem könnte man einen hohen Energieverbrauch nur in dem Maße „bestrafen“, in dem er mit Treibhausgas-Emissionen einhergeht. Schließlich schadet nicht jeder Energieverbrauch dem Klima. Wer sein Haus komplett mit Solarwärme und Solarstrom versorgt, der kann im Prinzip ganz auf Dämmung verzichten und hätte trotzdem ein nachhaltiges Eigenheim.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

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