
Krisenstimmung: Im Wohnungsbau werden aktuell zunehmend Aufträge storniert. Foto: Pixabay
Studie: Krisenfestigkeit des Bausektors
Die deutsche Bauwirtschaft ist relativ gut durch die Corona-Pandemie gekommen, steht aktuell aber möglicherweise vor der größten Krise seit Mitte der 1990er-Jahre. Wie resilient ist die Branche grundsätzlich? Eine neue Studie analysiert die historischen Branchenerfahrungen mit Krisen und benennt zentrale Faktoren, die die Krisenfestigkeit der Unternehmen beeinflussen könnten.
Die Ende 2022 veröffentlichte Studie „Krisenfestigkeit des Bausektors – Erste Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Bauwirtschaft“ wurde gemeinsam von Oxford Economics GmbH (Berlin/Frankfurt) und dem Institut für Mittelstandsforschung (IfM Bonn) erarbeitet. Auftraggeber war das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), auf dessen Internetseite der Abschlussbericht als kostenloser PDF-Download angeboten wird (siehe Direktlink hier).
Corona-Auswirkungen

Bruttowertschöpfung von Bauwirtschaft, Industrie und Gesamtwirtschaft im Zeitverlauf (WZ=Wirtschaftszweige). Quelle: Haver Analytics/ Oxford Economics
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Corona-Zeit für die meisten deutschen Bauunternehmen keine klassische Krise war – erst recht keine existenzbedrohende Krise. Trotz Lockdowns und Materialknappheit infolge international gestörter Handelsprozesse hat die Pandemie das Baugewerbe hierzulande nicht wirklich hart getroffen.
Im Gegenteil: Während das Bruttoinlandsprodukt der deutschen Volkswirtschaft im zweiten Quartal 2020 – also zu Beginn der Corona-Pandemie – um 11,3 % gegenüber dem Vorjahresquartal einbrach, wuchs die reale Bruttowertschöpfung des Baugewerbes im selben Quartal um fast 1,6 % gegenüber dem Vorjahr. Das erinnert an die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2009. Auch damals ist der Anteil der Bruttowertschöpfung der Bauwirtschaft am gesamten deutschen Bruttoinlandsprodukt gestiegen. Zwar brach 2009 auch die Wertschöpfung der Bauwirtschaft kurzeitig ein, doch schon im Folgejahr kam es zu einer schnellen Erholung.
Während der Corona-Zeit war die Pandemie in gewisser Weise sogar ein Treiber für die Umsätze der Bauwirtschaft. Die durch Kontakt- und Freizeiteinschränkungen erzwungene neue „Häuslichkeit“ der Deutschen hielt die Nachfrage nach Baudienstleistungen hoch – trotz schnell wachsender Preise für viele Materialien. Da die Baustellen die ganze Zeit offengehalten wurden, und auch der Baustoffhandel von Zwangsschließungen verschont blieb, konnte diese Nachfrage auch bedient werden.
Überhaupt blickt die deutsche Baubranche auf einen langen Zeitraum ohne schwerere Krisen zurück. Der letzte richtig große baukonjunkturelle Einbruch fällt mit dem Ende des Baubooms Mitte der 1990er-Jahre zusammen. Der Nichtwohnungsbau mag gelegentlich einbrechen, wenn die Gesamtwirtschaft schwächelt, doch dann bleiben normalerweise immer noch die Sub-Sektoren Wohnneubau und Renovierung, die weniger von den Konjunkturzyklen der Gesamtwirtschaft abhängen. Normalerweise. Doch nichts ist mehr normal, seit Russland die Ukraine überfallen hat.
Ernsthafte Krisenherausforderung
Die durch den Krieg auch hierzulande ausgelöste Energiepreiskrise stellt mittlerweile auch die deutsche Bauwirtschaft vor große Herausforderungen. Sie hat zu weiteren Preissteigerungen bei Baumaterialien geführt. Wie es im Vorwort der Studie heißt, hat diese jüngste Entwicklung den hierzulande eigentlich dringend benötigten Wohnneubau „nahezu unkalkulierbar“ gemacht. Seit 2022 werden daher zunehmend Aufträge storniert, es droht erstmals seit langem eine echte Baukrise.
Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Bausektor mit dieser aktuellen Entwicklung fertig wird. Die Studie betont in diesem Zusammenhang, dass die heutigen deutschen Bauunternehmer nur selten Erfahrungen mit Krisen – im existenzbedrohenden Sinne – gemacht haben. „Krisenzeiten sind Anpassungszeiten“, sagt dazu BBSR-Leiter Dr. Markus Eltges. Bei dieser Anpassung könnte sich die geringe Krisenerfahrung durchaus nachteilig auswirken. Viele Unternehmen im Baugewerbe seien ungeübt in der Abwehr von Krisen beziehungsweise in der strategischen Vorbereitung gegen diese – heißt es in der Studie.
Andererseits weist die Studie darauf hin, dass hiesige Bauunternehmer auch ohne größere Krisen in den letzten Jahrzehnten durchaus Erfahrungen mit krisenartigen Ereignissen oder unternehmerischen Herausforderungen wie etwa Insolvenzen, fehlende Zahlungsmoral oder Auftragseinbrüchen gemacht haben. Diese Erfahrungen – heißt es in der Studie – hätten dazu beigetragen, dass sie ihre Krisenfestigkeit (Resilienz) erhöht haben.
Maßnahmen für mehr Krisenfestigkeit

Die rund 100-seitige Studie ist als kostenloser PDF-Download erhältlich.
Wer schon Erfahrungen mit Krisen hat, meistert diese in Gegenwart und Zukunft oft besser. Die Forschenden von Oxford Economics und IfM Bonn haben darüber hinaus aber noch weitere Faktoren herauskristallisiert, die die Krisenfestigkeit von Unternehmen der Baubranche beeinflussen können. Als wesentliches Element einer vorbereitenden Krisenabwehr wird das strategische Liquiditätsmanagement der Betriebe hervorgehoben – beispielsweise über das Controlling der Außenstände und des Auftragsbestandes.
Auch die Reduktion struktureller Abhängigkeiten von Kunden und Lieferanten sowie die Diversifikation der eigenen Geschäftsfelder ist ein in der deutschen Baubranche bereits verankertes Mittel zur besseren Krisen-Resilienz. Als weitere Faktoren für eine verbesserte Krisenfestigkeit nennen die Autorinnen und Autoren der Studie die Steuerung und Kontrolle zentraler Betriebskennzahlen, das strategische Beziehungs- und Reputationsmanagement sowie eine generelle Offenheit gegenüber externer Beratung.
Weniger positiv fällt das Ergebnis der Studie aus, wenn es um die vorausschauende Anpassung an künftige Trends geht. Die Autorinnen und Autoren der Studie warnen das Baugewerbe davor, Trends wie Digitalisierung sowie den Klimawandel und die daraus resultierenden Risiken zu vernachlässigen. Hier habe die Branche noch Nachholbedarf. Nur wenige Unternehmerinnen und Unternehmer sind sich laut den Studienergebnissen dieser Herausforderungen bewusst und passten ihr Handeln entsprechend an.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
Nachhaltigkeit ist auch in der Baustoffindustrie schon lange ein Megatrend. Zumindest gilt das für die Unternehmenskommunikation in Produktbroschüren und Pressemitteilungen....
mehr »
Der Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden hat eine Studie zur Nachfrage nach mineralischen Rohstoffen in Deutschland bis zum Jahr...
mehr »
Welche Wandbaustoffe bevorzugen die Deutschen? Um dies genauer zu ermitteln, hat Bau-Info-Consult die 2019 fertiggestellten Wohnneubauten bezüglich der dabei überwiegend...
mehr »