RM Rudolf Müller
Der Bedarf an altersgerechten Wohnungen wird künftig stark zunehmen.  Foto: Pixabay

Der Bedarf an altersgerechten Wohnungen wird künftig stark zunehmen.  Foto: Pixabay

Hintergrundwissen
06. Juni 2023 | Artikel teilen Artikel teilen

Studie zur „Grauen Wohnungsnot“

Deutschland wird älter – und die Älteren werden ärmer. Immer mehr Rentner werden sich die Wohnungskosten künftig nicht mehr leisten können, warnt das Pestel-Institut. Schon heute fehlen zudem bundesweit 2,2 Mio. Seniorenwohnungen. Das sind zwei Ergebnisse der neuen Wohnungsbau-Sozial-Studie „Wohnen im Alter“, die im April während der Messe BAU 2023 vorgestellt wurde.

Das Pestel-Institut Hannover hat die rund 30-seitige Kurzstudie „Wohnen im Alter – Prognose zum Wohnungsmarkt und zur Renten-Situation der Baby-Boomer“ im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) erstellt. Die Untersuchung diagnostiziert für Deutschland sowohl einen Mangel an altersgerechten Wohnungen als auch Altersarmut durchs Wohnen. Nach BDB-Angaben rast Deutschland „gerade mit 100 Sachen in die Graue Wohnungsnot“.

Wohnungsmarkt nicht vorbereitet

Bevölkerungsentwicklung bis 2050 nach Altersgruppen. Quelle: Statistisches Bundesamt (bis 2021); ab 2022 Berechnungen Pestel-Institut

Bevölkerungsentwicklung bis 2050 nach Altersgruppen. Quelle: Statistisches Bundesamt (bis 2021); ab 2022 Berechnungen Pestel-Institut

„Die Zahl der benötigten Seniorenwohnungen steigt stetig weiter: Im Jahr 2040 werden rund 3,3 Mio. altersgerechte Wohnungen gebraucht“, sagt Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts, und fügt hinzu: „Dass es die Seniorenwohnungen dann auch tatsächlich geben wird, ist aus heutiger Sicht allerdings reines Wunschdenken.“ Der Bedarf sei riesig und wachse stetig, da bald die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter kommen. „Über 21 Mio. Menschen werden in 20 Jahren zur Altersgruppe 67plus gehören“, prophezeit Günther. Das seien rund 3,6 Mio. mehr als heute, und darauf sei der hiesige Wohnungsmarkt „ganz und gar nicht vorbereitet“.

Zumindest auf dem Land werde es 2050 Regionen mit über 40 % Senioren-Anteil an der Bevölkerung geben. Zwar braucht nicht jeder Mensch, der älter als 67 ist, gleich eine barrierefreie Wohnung. Aber selbstverständlich nimmt der diesbezügliche Bedarf mit zunehmender Alterung der Gesellschaft zu. Und da die Menschen immer älter werden, ist damit zu rechnen, dass die Zahl derer, die irgendwann eine altersgerechte Wohnung benötigen, steigen wird. Die Entwicklung in Deutschland ist tatsächlich dynamisch: Im Jahr 1960 lag die durchschnittliche Rentenbezugsdauer noch knapp unter zehn Jahren, 2021 hatte sie sich schon mehr als verdoppelt (20,5 Jahre).

Eine Bedarfslücke gibt es schon heute. Nach Angaben des Pestel-Instituts benötigen aktuell rund 2,8 Mio. Haushalte, in denen Senioren leben, altersgerechte Wohnungen. „Aber nur etwa 600.000 dieser Haushalte haben überhaupt so eine Wohnung, in der Menschen mit einem Rollator und Rollstuhl klarkommen“, erläutert Matthias Günther. Bisher sei hierzulande nur rund jede siebte Wohnung altersgerecht – sprich barrierefrei oder zumindest barrierearm – ausgebaut.

Die Zahl der Wohnungen mit Barriere-Reduktion hat sich in den vergangenen vier Jahren zwar insgesamt erhöht, nicht selten leben in diesen Wohnungen aber gar keine älteren Menschen. Auch jüngere Familien, die es sich leisten können, nutzen nämlich gerne den Komfort einer Wohnung ohne Schwellen, mit breiten Türen, Fluren und Räumen.

Armutsrisiko Pflegebedürftigkeit

Entwicklung der Zahl der Pflegebedürftigen von 1999 bis 2021. Grafik: Studie

Entwicklung der Zahl der Pflegebedürftigen von 1999 bis 2021. Grafik: Studie

Neben dem zunehmenden Mangel an altersgerechten Wohnungen droht – wie oben schon erwähnt – auch eine wachsende Altersarmut durchs Wohnen. Steigende Wohnkosten könnten künftig zwei Drittel aller Seniorenhaushalte, die in einer Mietwohnung leben, zu Abstrichen beim bisherigen Lebensstandard zwingen. Schon 2018 hatte mehr als die Hälfte der deutschen Seniorenhaushalte weniger als 2.000 Euro netto im Monat zur Verfügung. Matthias Günther: „In Zukunft werden deutlich mehr Menschen als heute auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Und so bitter es ist: Auch ein dramatischer Anstieg der Alters-Obdachlosigkeit ist zu erwarten.“

Doch auch wer nicht in einer Mietwohnung, sondern – wie derzeit immerhin 54 % der Älteren – im selbstgenutzten Wohneigentum lebt, ist vor Altersarmut nicht gefeit. Als „Armutsrisiko Nummer 1“ nennt die Studie allerdings nicht notwendige Reparatur- oder Sanierungskosten am eigenen Haus, sondern die Pflegebedürftigkeit im Alter. Tatsächlich hat sich die Zahl der pflegebedürftigen Leistungsempfänger in der Pflegeversicherung seit 1999 mehr als verdoppelt.

Richtig teuer wird es, wenn eine vollstationäre Pflege notwendig wird. Nach Angaben des Pestel-Instituts müssen Betroffenen dann durchschnittlich einen Eigenanteil von rund 2.410 Euro pro Monat selbst beisteuern. „Mehr als die Hälfte der Seniorenhaushalte hat allerdings weniger als 2.000 Euro netto im Monat zur Verfügung“, sagt Pestel-Studienleiter Günther. „Am Ende ist es also ganz oft der Staat, der einspringen muss. Er sollte schon deshalb ein Interesse daran haben, dass pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich zu Hause leben können. Das wiederum setzt deutlich mehr altersgerechte Wohnungen voraus.“

„Kreditförderung eine Farce“

Wohnungsbau in Deutschland von 1991 bis 2022. Grafik: Studie

Wohnungsbau in Deutschland von 1991 bis 2022. Grafik: Studie

Doch ein „Alterswohnprogramm für die Baby-Boomer“ sei aktuell nicht in Sicht“. Stattdessen bremse die Bundesregierung den altersgerechten Umbau von Wohnungen geradezu aus. So biete die staatliche KfW-Bank dafür – anders als früher – heute keine Zuschüsse mehr, sondern nur noch Kredite mit Zinsen ab 3 %.

Matthias Günther bezeichnet diese Form der Förderung als Farce: „Welcher 70-Jährige bindet sich noch so einen Kredit ans Bein, um sein eigenes Haus oder seine Eigentumswohnung altersgerecht umzubauen?“ Das Pestel-Institut empfiehlt dem Bund ein „Durchforsten der KfW-Förderung“ und die Einführung eines Programms für das altersgerechte Wohnen mit finanziellen Zuschüssen fürs selbstgenutzte Wohneigentum.

Darüber hinaus müsse es auch Förderprogramme für die Aufteilung von Ein- und Zweifamilienhäusern geben: „Überall dort, wo genug Platz ist, neue seniorengerechte Wohnungen zusätzlich zu schaffen, sollte der Staat mit einer Förderung ansetzen“, findet der Leiter des Pestel-Instituts. „Es geht darum, beispielsweise in einem klassischen Einfamilienhaus zwei Wohnungen unterzubringen, mindestens eine davon seniorengerecht.“

Grundsätzlich gelte: Ohne eine zusätzliche staatliche Förderung seien neue seniorengerechte Wohnungen für die Mehrheit der Älteren nicht finanzierbar – weder für die, die im Eigentum wohnen, noch für die, die zur Miete wohnen. Eine Förderung „Wohnen 67plus“ sei dringend notwendig. Dafür müsse der Bund mindestens eine halbe Milliarde Euro pro Jahr für altersgerechten Neu- und Umbau zusätzlich bereitstellen, fordert Günther.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

BW+
 

Notstand bei Sozialwohnungen?

Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ warnt vor einer „neuen und in ihrer Dimension beängstigenden Sozialwohnungsnot“ noch in diesem Jahr. Hintergrund ist...

mehr »
 

Sozialer Wohnungsbau als Ampel-Illusion?

Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ und das Pestel-Institut haben den Staat erneut aufgerufen, beim sozialen Wohnungsbau in den Krisenmodus zu schalten....

mehr »
 

Gutachten zur Wohnungspolitik der Ampel

Das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) setzt sich in einem neuen Gutachten mit der Wohnungspolitik der Bundesregierung auseinander. Die...

mehr »
Nach oben
nach oben