RM Rudolf Müller

Rechte und Pflichten
15. Juni 2015 | Artikel teilen Artikel teilen

Die erste eigene Wohnung: Was kostet die Azubi-Welt?

Stempel Neue AdresseWer nach der Schule eine Ausbildung startet, für den beginnt ein neues Leben. Und wer bis dahin nur ein kleines Taschengeld von den Eltern bekam, der hält die Ausbildungsvergütung anfangs vielleicht für viel Geld. Immerhin ist sie ja auch das erste eigene Einkommen. Aber kann man davon auf eigenen Beinen stehen und sogar eine eigene Wohnung finanzieren?

Durchschnittlich 766 Euro pro Monat gibt es im ersten Ausbildungsjahr als Kaufmann/-frau im Groß- und Außenhandel. Das ergaben die statistischen Erhebungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Die Ausbildung, die auch viele Azubis im Baustoff-Fachhandel absolvieren, liegt damit in Sachen Bezahlung im oberen Drittel. Es gibt zwar einige Berufe, in denen Azubis mehr verdienen (z. B. Bankkaufmann/-frau), aber auch viele, in denen es deutlich weniger gibt (Bäcker/in, Friseur/in).

Vergleich mit „Hartz IV“
Im Friseurhandwerk liegen die Ausbildungsvergütungen nach Angaben des BIBB derzeit bei durchschnittlich 379 Euro in Westdeutschland und sogar nur 214 Euro in Ostdeutschland. Das ist weniger als der Regelsatz für alleinstehende Empfänger von Arbeitslosengeld II („Hartz IV“). Der beträgt momentan 399 Euro pro Monat (Stand: Juni 2015).

Aber auch mit der oben genannten Ausbildungsvergütung von 766 Euro schwimmt man als Azubi nicht gerade im Geld, wenn man finanziell auf eigenen Beinen stehen und sogar eine eigene Wohnung mieten möchte. Schaut man genauer hin, dann ist der Unterschied zum Hartz-IV-Niveau nicht wirklich groß, wenn es denn überhaupt einen gibt. Hartz-IV-Empfänger bekommen schließlich neben den 399 Euro zusätzlich auch die Kosten für Wohnraum und Heizung erstattet. Als Azubi mit eigener Wohnung muss man diese dagegen aus der eigenen Ausbildungsvergütung finanzieren – es sei denn, man erhält Finanzhilfe von den Eltern oder hat Anspruch auf staatliche Unterstützungsleistungen.

Die 399 Euro Regelsatz sind gewissermaßen das amtliche Existenzminimum für ein Leben in Deutschland. Mit diesem Geld muss der Empfänger – bis auf die Kosten für eine warme Wohnung – seinen gesamten monatlichen Lebensbedarf finanzieren. Dazu gehören neben Lebensmitteln, Kleidung, Körperpflegemitteln, Hausrat, Strom sowie Telefon- und Mobilitätskosten natürlich auch sämtliche Ausgaben für die Freizeitgestaltung. Also zum Beispiel der Kino-Abend und Kneipenbesuch mit Freunden oder auch das Monats-Abo im Fitnesscenter. Wer sehr sparsam lebt, wird mit den 399 Euro schon irgendwie auskommen. Aber leicht ist das bestimmt nicht.

Durchschnittliche Mietpreise
Aber kommen wir auf unseren fiktiven Azubi mit 766 Euro Ausbildungsvergütung zurück. Wenn wir davon ausgehen, dass auch er mindestens 399 Euro zum Leben braucht, bleiben rechnerisch noch 367 Euro übrig. Kann man davon eine eigene Wohnung finanzieren? Im Prinzip ja. Aber es kommt natürlich darauf an, wo man wohnt.

Nach dem F+B-Mietspiegelindex 2014 liegen die Kaltmieten in Deutschland derzeit bei durchschnittlich 6,28 Euro pro Quadratmeter. Sucht man als Azubi nach einer Ein- oder Zwei-Zimmer-Wohnung, dann stößt man in der Regel auf Angebote mit einer Wohnungsgröße zwischen 20 und 40 Quadratmeter. Multipliziert man diese Werte mit dem Durchschnittspreis von 6,28 Euro pro Quadratmeter, ergibt sich rein rechnerisch eine Wohnungskaltmiete zwischen etwa 125 und 250 Euro. Wobei diese Werte in der Praxis höher liegen dürften, weil der Quadratmeterpreis von kleinen Wohnungen normalerweise höher ist als der Gesamtdurchschnitt.

Außerdem reden wir hier von Kaltmieten. Nebenkosten wie Strom, Heizung und Warmwasser kommen also noch hinzu. Nach Angaben des Deutschen Mieterbundes lagen 2014 die Nebenkosten für eine 40-Quadratmeter-Wohnung deutschlandweit bei durchschnittlich 88 Euro im Monat. Für eine solche Wohnung müsste man also im Durchschnitt mindestens 338 Euro monatlich bezahlen (250 Euro Miete + Nebenkosten). Unser Azubi mit den 766 Euro Ausbildungsvergütung und dem errechneten „Wohnungs-Budget“ von 367 Euro könnte sich das noch leisten – vorausgesetzt er schafft es, seine sonstigen Ausgaben auf Hartz-IV-Niveau zu begrenzen.

Aber wie gesagt: Viele Azubis haben deutlich geringere Ausbildungsvergütungen, und außerdem ist der angenommene Quadratmeterpreis für die Kaltmiete ja ein bundesweiter Durchschnittswert. Tatsächlich ist die Bandbreite riesig: Nach dem F+B-Mietspiegelindex liegt die durchschnittliche Kaltmiete in Dresden nur bei 5,48 Euro pro Quadratmeter, in München sind es dagegen stolze 10,32.

Fazit
Wer als Azubi eine relativ hohe Ausbildungsvergütung erhält und in einer Region wohnt, in der die Wohnungsmieten einigermaßen moderat sind, dem kann es durchaus gelingen, mit der Ausbildungsvergütung sowohl seinen allgemeinen Lebensbedarf als auch eine kleine Wohnung zu finanzieren. Als günstigere Alternative kann er natürlich auch in ein WG-Zimmer ziehen.

Für viele Azubis dürfte der Traum vom eigenen (Wohn-)Reich allerdings eine Illusion bleiben, wenn nicht die Eltern oder der Staat finanzielle Unterstützung leisten. Azubis, die noch minderjährig sind, dürfen ohne Zustimmung der Eltern nicht von zu Hause ausziehen. Erwachsenen Azubis kann man das dagegen nicht verbieten. Um die Miete für die eigene Wohnung zu bezahlen, können sie unter Umständen Unterhaltsgeld von ihren Eltern einfordern oder sie haben Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe. Nähere Infos zu diesem Thema findet ihr hier.


Bitte beachten Sie: Der Inhalt dieses Beitrages stellt keine Rechtsberatung dar und kann die rechtliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen! Unser Anspruch ist es, immer rechtlich korrekte Artikel zur Verfügung zu stellen. Allerdings ändern sich Gesetze bzw. gesetzliche Regelungen häufig. Wir können daher keine Garantie für die aktuelle oder zukünftige Richtigkeit übernehmen. Im Zweifel wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an eine juristisch fundierte Person (z.B. Rechtsanwälte, Gewerkschaften, IHK etc.).

Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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