
Komplexe chemische Reaktion: Mit Titandioxid (TiO2 imprägnierte Faserzementdachplatten sind in der Lage, schädliche Stickoxide (NOx in unschädliche Nitrate (NO3 umzuwandeln. Grafik: Eternit
Nanotechnologie immer häufiger auch in Baustoffen
Das Wort „Nano“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Zwerg. Heute liest man die Vorsilbe immer häufiger auf den Verpackungen unterschiedlichster Konsumartikel. Besonders oft befasst sich die Nanotechnologie mit Oberflächenbeschichtungen, die Schmutz, Wasser oder Strahlen abweisen: vom Imprägnierspray für Schuhe über Sonnencreme mit Nanopartikeln bis hin zur Antihaftversiegelung für Bratpfannen oder dem Nanolack fürs Auto. Aber auch vor der Baustoffindustrie macht das Phänomen keinen Halt.
Tatsächlich gibt es bereits heute eine große Anzahl von Anwendungen, bei denen Eigenschaften von Baustoffen mithilfe so genannter Nanopartikel verbessert werden. Unter einem solchen Partikel versteht man eine extrem kleine Menge eines Stoffs: einen Verbund von mitunter nur wenigen Atomen oder Molekülen, der unvorstellbar winzig ist. Dabei ist die Größe variabel definiert. Ein Nanopartikel kann von einem bis zu 100 Nanometern messen, wobei ein Nanometer (nm) dem millionsten Teil eines Millimeters entspricht.
Nanopartikel sind also Teilchenverbindungen, die maximal 100 Nanometer groß sind. Im Baustoffbereich handelt es häufig um Silizium- oder Titanverbindungen. Diese kommen dann innerhalb von “Nanomaterialien“ vor. Darunter versteht man nach einer Definition der Europäischen Kommission “ein natürliches, zufällig entstandenes oder bewusst hergestelltes Material, das Partikel in ungebundenem Zustand, als Aggregat oder als Agglomerat enthält, und bei dem mindestens 50% der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere Außenmaße im Bereich von 1 nm bis 100 nm haben.“ Zur Erläuterung: Als Aggregat bezeichnet man in der Chemie einen lockeren, nicht stark gebundenen Zusammenhang von Molekülen oder anderen Teilchen. Ein Agglomerat ist eine technisch hergestellte Zusammenballung einzeln vorliegender Körner oder Materialstücke.
Der Klassiker: Selbstreinigende Oberflächen

Blick durchs Mikroskop: Ein herkömmlicher Silikonharzputz. Foto: Baumit
Was hat es nun mit diesen Nanomaterialien auf sich? Warum spielen sie auch bei der Verbesserung von Baustoffen eine so wichtige Rolle? Mit einigen typischen Anwendungen aus dem Baustoffbereich wollen wir das im Folgenden erläutern. Zu den Klassikern nanotechnologischer Anwendungen gehört hier die selbstreinigende Oberfläche. Nanomaterial zur Versiegelung etwa von Dachziegeln, Fassadenputzen oder den Fugen von Fliesenbelägen können wirkungsvoll verhindern, dass Schmutz, aber auch Mikroorganismen wie Pilze und Algen auf den Baustoffen haften bleiben.
Betrachten wir zum Beispiel einen ganz normalen Tondachziegel. Der hat für das menschliche Auge eigentlich eine sehr glatte Oberfläche. Unter einem Mikroskop betrachtet, wirkt diese aber plötzlich wie ein kleines Gebirge. Es gibt ein ständiges auf und ab, mit Ausbuchtungen und Erhebungen. Wer durch das Vergrößerungsglas schaut, versteht plötzlich, warum normale Dachbedeckungen mit der Zeit immer unansehnlicher werden. Kleine Schmutzpartikel oder winzige Spuren von organischem Material aus der Umwelt nisten sich sozusagen in den “Tälern“ unserer Tonoberfläche ein. Und was passiert nun, wenn man den Ziegel mit Nanopartikeln versiegelt? Ganz einfach: Die Miniteilchen verstopfen ihrerseits die Niederungen der Tonoberfläche und sorgen dadurch für eine Oberfläche, die selbst unterm Mikroskop glatt aussieht. Die Folge ist, dass Schmutz auf dem Ziegel kaum noch haften kann, spätestens mit dem nächsten Regen wird er einfach abgespült.
Doch Nanomaterial macht Oberflächen nicht nur abweisend gegenüber Schmutz,

Blick durchs Mikroskop: Ein Schmutz abweisender Putz mit extrem glatter Oberfläche aus Nanomaterial. Foto: Baumit
sondern auch gegenüber Wasser. Daher gibt es zum Beispiel imprägnierten Fassadenputz, auf dem Regenwasser einfach abperlt, weil die Tropfen zu groß sind, um durch die engmaschige Schutzschicht gelangen zu können. Auch Holzoberflächen können bereits mit Silizium- oder Titanverbindungen imprägniert werden. Dadurch nimmt das Holz weniger Feuchtigkeit auf und ist somit resistenter gegen Pilzbefall. Die Schutzschicht sorgt zudem für eine bessere Beständigkeit gegenüber Feuer.
Hochreaktives Titandioxid
Die Baustoffindustrie hat sich auch bereits zunutze gemacht, dass Nanopartikel in der Regel eine erhöhte chemische Reaktionsfähigkeit aufweisen. Der Grund dafür ist, dass sich bei den winzigen Teilchenverbänden automatisch relativ viele reaktive Atome in der Nähe der Materialoberfläche befinden. Auch bei Titandioxid (TiO2) ist das der Fall. Dieses Nanomaterial findet man häufig auf Pflastersteinen, Dachbedeckungen oder auch auf Fassadenputz. Bei Lichteinstrahlung reagieren die TiO2-Teilchen zum Beispiel mit gesundheitsschädlichen Stickoxiden aus der Luft und wandeln diese in harmlose Nitrate um. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Photokatalyse, weil die chemische Reaktion durch Licht ausgelöst wird.
Mittlerweile gibt es auch Fliesen mit Titandioxid-Oberfläche, die in der Lage sind, Bakterien abzutöten. Und selbstreinigende Verglasungen, die zugleich photokatalytisch aktiv werden, sind ebenfalls keine Science-Fiction mehr. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch “schaltbare Fenstergläser“ mit integrierter Sonnenschutzfunktion. Diese sind mit Nanomaterial beschichtet und verdunkeln sich automatisch, wenn eine bestimmte Temperatur überschritten wird.
Andere Anwendungen im Baustoffbereich basieren auf einer weiteren Besonderheit von Nanopartikeln. Diese haben nämlich oft völlig andere stoffliche Eigenschaften als dieselben Atome und Moleküle, wenn sie in größeren Teilchenverbänden auftauchen. Stoffe, die keine Elektrizität leiten, werden beispielsweise zu Leitern, wenn sie als Nanomaterial vorliegen. Oder sie ändern ihre Farbe.
Letztlich gibt es sehr viele Beispiele für Nanotechnologie im Baustoffbereich. Auch das extrem poröse Kieselsäurepulver, das in Vakuumdämmstoffen zum Einsatz kommt, besteht aus Nanomaterial. Dasselbe gilt für Silica-Aerogele, die in einigen modernen Hochleistungs-Dämmplatten verwendet werden. Die Vielfalt des Themas können wir an dieser Stelle nur anreißen. In den nächsten Jahren werden sicher noch viele spannende Anwendungen hinzukommen.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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