
Nach der REACH-Verordnung müssen die chemischen Inhaltsstoffe aller in der Europäischen Union gehandelten Produkte registriert, bewertet und zugelassen werden. Foto: Dieter Schütz / pixelio.de
Ziele der Chemikalienverordnung „REACH“
In der Europäischen Union dürfen künftig nur noch Produkte hergestellt und gehandelt werden, deren chemische Inhaltsstoffe bei einer zentralen Behörde registriert, bewertet und zugelassen sind. Das ist das Ziel von REACH, der 2007 in Kraft getretenen Verordnung, die das Chemikalienrecht innerhalb der EU vereinheitlicht. Die lückenlose Registrierungspflicht soll einerseits den freien Verkehr von Chemikalien auf dem Binnenmarkt erleichtern und andererseits dazu beitragen, dass gefährliche Inhaltstoffe identifiziert und ihre Verbreitung gegebenenfalls unterbunden werden kann.
Die Abkürzung REACH steht für Registrierung, Evaluierung (Bewertung) und Autorisierung (Zulassung) von Chemikalien. Die Verordnung hat das alte europäische Chemikalienrecht abgelöst, das nur die Registrierung und Prüfung solcher Stoffe obligatorisch vorsah, die nach 1981 erstmals vermarktet wurden. Für alle anderen Produktbestandteile mussten die Hersteller nur dann Risikobewertungen vorlegen, wenn die Behörden sie dazu explizit aufforderten. Das konnte etwa passieren, wenn eine Chemikalie in den Verdacht geraten war, Mensch oder Natur zu gefährden. Dieses lückenhafte System hatte nicht zuletzt pragmatische Gründe. Damals war es die Aufgabe der zuständigen Behörden in den EU-Ländern, Chemikalien auf ihre Sicherheit hin zu prüfen, aber eine systematische Registrierung aller bereits bekannten chemischen Stoffe hätte diese wohl überfordert.
Seit REACH ist nun alles anders, weil die Verordnung einfach die Beweislast umgedreht hat. Nun müssen Hersteller innerhalb der EU sowie Importeure, die Produkte aus Ländern beziehen, in denen REACH nicht gilt, von sich aus aktiv werden. Konkret bedeutet das, dass sie alle chemischen Inhaltsstoffe ihrer Waren zu registrieren haben, und zugleich müssen sie das Risikopotenzial der Stoffe selbst bewerten. Dabei ist vor allem nachzuweisen, dass durch die Chemikalien die sichere Verwendung der Waren nicht gefährdet wird. Je nach potenzieller Gefährlichkeit der Stoffe sind zum Beispiel allgemeine technische Dossiers oder auch spezielle Stoffsicherheitsberichte zu erstellen. Das bedeutet viel zusätzliche Arbeit für die Industrie – auch innerhalb der Baustoffbranche.
So funktioniert der Registrierungsprozess
Für den Registrierungsprozess wurde extra eine neue Behörde geschaffen: die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) in Helsinki. Sie nimmt die Unterlagen der Hersteller und Importeure entgegen, prüft deren Vollständigkeit und veröffentlicht Infos über bereits registrierte Stoffe auf ihrer Homepage (http://echa.europa.eu). REACH soll nämlich auch die Rechte der Verbraucher stärken, indem Informationen über Chemikalien in Produkten öffentlich gemacht werden.
Die Registrierung und Bewertung zehntausender chemischer Substanzen ist natürlich zeitaufwändig und nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Die EU hat deshalb einen Zeitplan bis Mitte 2018 aufgestellt. Bis dahin sollen alle Stoffe zumindest registriert sein. Mitte April 2013 konnte man auf der Website der ECHA bereits Infos über knapp 8.500 Stoffe einsehen, die aus rund 33.650 Registrierungsdossiers stammten.
Bei der Bewertung der eingereichten Stoffinformationen arbeitet die ECHA eng mit den zuständigen Behörden der EU-Länder zusammen. Auf Grundlage der Registrierungsdossiers kann die Herstellung, das Inverkehrbringen oder die Verwendung von Chemikalien künftig eingeschränkt oder sogar verboten werden. Man darf sich die Bewertungs- und Zulassungspraxis allerdings nicht so vorstellen, dass nun alle eingereichten Dossiers intensiv geprüft würden. Die Registrierung der Stoffe soll bis 2018 zwar vollständig sein, eine inhaltliche Prüfung erfolgt aber nur stichprobenartig. Die Auswahl erfolgt dabei teilweise nach dem Zufallsprinzip, außerdem werden Unterlagen zu besonders bedenklichen Chemikalien bevorzugt unter die Lupe genommen.
Gefahrstoffkommunikation in der Lieferkette

In der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA in Helsinki laufen alle Fäden des Registrierungsprozesses zusammen. Foto: European Chemicals Agency
Chemische Stoffe fließen in die Herstellung von Produkten ein und durchlaufen in der Regel erst mehrere Verarbeitungs- und Handelsstufen bis sie beim Endverbraucher landen. REACH fordert daher, dass über die gesamte Lieferkette konsequent Informationen zum sicheren Umgang mit den gefährlichen Chemikalien – beziehungsweise mit den Waren, in denen diese verarbeitet sind – weitergegeben werden. Die Informationskette darf vom ursprünglichen Hersteller über einen oder mehrere Weiterverarbeiter und sämtliche Zwischenhändler bis hin zum Endkunden niemals abreißen. Das geschieht in der Regel mithilfe so genannter Sicherheitsdatenblätter, die über das Gefahrenpotenzial aufklären, das von bestimmten Produktbestandteilen ausgeht.
Ob die bisherige Form der Gefahrstoffkommunikation allerdings sinnvoll ist, scheint zweifelhaft. Nicht zuletzt durch die umfangreichen Vorgaben der REACH-Verordnung selbst sind die heutigen Sicherheitsdatenblätter sehr lang und kompliziert. Sie werden zwar auf jeder Stufe der Lieferkette pflichtschuldig weitergereicht und lösen dabei hohe Druck- und Papierkosten aus, nur leider liest sie vermutlich kaum jemand. „Nach unserer Einschätzung ist es nicht zielführend, wenn zu jedem Sack Kalkzementmörtel für 4,50 EUR ein 100-seitiges Sicherheitsdatenblatt geliefert wird“, meint dazu Michael Hölker, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB).
Branchenlösung Bau verabschiedet
Der BDB und andere Verbände von Herstellern, Händlern und Arbeitgebern der Bauwirtschaft kritisieren die bisherige Praxis der Gefahrstoffkommunikation aber nicht nur, sondern sind auch gemeinsam aktiv geworden. Zusammen mit der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt sowie den Berufsgenossenschaften haben sie Anfang März 2013 die „Branchenlösung Gefahrstoff-Kommunikation in der Lieferkette“ verabschiedet. Ziel ist es, dass Hersteller und Lieferanten ihre Informationen über neue oder geänderte Gefahrstoffe und Sicherheitsdatenblätter künftig online an einen zentralen Datenpool senden, auf den alle Partner der Branchenlösung jederzeit zugreifen können.
Für den Verkäufer im Baustoff-Fachhandel bedeutet das zum Beispiel, dass er direkt am Arbeitsplatz in seinem Warenwirtschaftssystem alle aktuellen Sicherheitsdatenblätter aufrufen und sie gegebenenfalls auch per Mail an den Kunden weiterleiten kann. Die Branchenlösung soll aber nicht nur Kosten sparen helfen, sondern den Kunden auch einen inhaltlichen Mehrwert bringen. Denn zusätzlich zu den offiziellen Datenblättern erhalten sie künftig auch automatisch eine kurze, verständlich formulierte Übersicht darüber, wie die jeweiligen Baustoffe sicher zu verarbeiten sind. Dabei greift die Branchenlösung auf die praxiserprobten Inhalte des Gefahrstoff-Informationssystems der BG BAU (GISBAU) zurück.