RM Rudolf Müller
Islamische Ornamentkunst im usbekischen Samarkand

Fliesen an der Fassade: Islamische Ornamentkunst im usbekischen Samarkand. Foto: Harald Böttcher / www.pixelio.de

Boden und Wand
04. November 2014 | Artikel teilen Artikel teilen

Fliesen: Vom Luxusgut zum Standardprodukt

Keramikfliesen betrachten wir heute als selbstverständlichen Bestandteil unserer häuslichen Umgebung. Zumindest im Bad findet man sie eigentlich in jeder Wohnung als Beschichtungsmaterial für Boden und Wand. Dabei ist die Fliese als erschwingliches Massengut für Jedermann historisch betrachtet noch ein recht neues Phänomen. Vor Beginn des Industriezeitalters war sie Jahrtausende lang ein Luxusgut, das sich einfache Menschen gar nicht leisten konnten.

Zu den häufigsten Ausstellungsstücken in den historischen Museen der Welt gehören Keramikfliesen, die mitunter mehrere Jahrtausende „auf dem Buckel“ haben und trotzdem einschließlich ihrer Farbglasuren oft hervorragend erhalten geblieben sind. Das zeigt einerseits die uralte Geschichte dieser tönernen Materialien zur Wand- und Bodenbekleidung und andererseits ihre erstaunliche Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit.

Ursprung im Mittelmeerraum

Das Wort Keramik ist vom griechischen Wort „Keramos“ (Ton) abgeleitet, aber der Ursprung der Fliese geht nicht auf das antike Griechenland zurück. Die frühesten historischen Fliesenfunde stammen vielmehr aus nordafrikanischen und arabischen Ländern im südlichen Mittelmeerraum. So finden sich in der um 2.600 vor Christus erbauten Pyramide des ägyptischen Pharaos Djoser bereits glasierte keramische Plättchen als Wandschmuck.

Als eine frühe Fliesen-Hochburg im Altertum gilt auch die historische Stadt Babylon, die sich in etwa 90 km Entfernung vom heutigen Bagdad befand. Man darf sich das aber nicht so vorstellen, dass dort Fliesen in den Häusern einfacher Bürger verbaut wurden. Die Keramikfertigung war damals ein hochwertiges Kunsthandwerk, dessen Produkte Paläste und Tempel schmückten. Das ist bei Industriefliesen natürlich ganz anders, auch wenn selbst heutige Hersteller immer mal wieder Keramikeditionen auf den Markt bringen, deren Design von Künstlern entworfen wurde. Aber das ändert nichts daran, dass handbemalte historische Fliesen einen ungleich höheren künstlerischen Stellenwert genießen.

Einfluss der Griechen

Anders als in Nordafrika und im Nahen Osten waren Fliesen im antiken Griechenland nur gering verbreitet. Historiker gehen sogar davon aus, dass die Ausbreitung der griechisch-antiken Kultur die frühe Blüte der Keramikfliesen im Vorderen Orient gelähmt hat. Denn im Zuge der Eroberungskriege von Alexander dem Großen (356 bis 323 v. Chr.) gerieten weite Teile des heutigen Nahen Ostens unter den Einfluss von Athen. Die Anzahl der historischen Fliesenfunde aus diesen Regionen ist in den Jahrhunderten der griechischen Herrschaft deutlich zurückgegangen. Das spricht dafür, dass die Keramikkunst an Stellenwert verloren hatte und vermutlich vielerorts auch in Vergessenheit geraten war.

Islamische Fliesenkunst

Typische Fayence-Fliesen im Katharinenpalast

Typische Fayence-Fliesen: Ausschnitt aus einem Kachelofen im Katharinenpalast von Sankt Petersburg. Foto: Jürgen Mala / www.pixelio.de

Erst im Zuge der Ausbreitung des Islams nach der Zeit Mohammeds (etwa 570 bis 632 nach Christus) kam es zu einer deutlichen Wiederbelebung der keramischen Fliesenkunst im arabischen Raum. Ab dem Spätmittelalter entstanden immer häufiger prunkvolle Moscheen, die nicht nur innen, sondern auch von außen komplett mit glasierten und kunstvoll bemalten Fliesen bekleidet wurden. Da der Islam keine bildliche Darstellung von Gott oder anderer religiöser Figuren und Inhalte erlaubt, wurden die Fliesen mit filigranen Zeichen und symbolischen Verzierungen (Ornamente) bemalt. Viele grafische Elemente dieses Ornamentdesigns findet man bis heute auch auf etlichen Fliesenkollektionen in westlichen Ländern („orientalischer Touch“).

Die Menschen in Mittel- und Nordeuropa machten mit keramischen Fliesen erstmals Bekanntschaft, als die Römer begannen, sich nördlich der Alpen auszubreiten (ab 200 vor Christus). Doch bei den antiken römischen Keramikböden handelte es sich in der Regel nicht um glasierte und bemalte Fliesen, wie wir sie heute kennen und wie sie damals bereits in Ägypten oder im Orient existierten. Stattdessen nutzten die Römer einfache, unglasierte Ziegelfliesen mit meist rötlichem Farbton („Terrakotta“), die bei relativ geringen Temperaturen nur einmal gebrannt wurden. Doch selbst diese eher grobe Keramikform geriet nach dem Untergang des Römischen Reiches im europäischen Mittelalter wieder weitgehend in Vergessenheit.

Vom Morgenland ins Abendland

Die farbig glasierte Fliese verbreitete sich im alten Europa erst ab dem späten Mittelalter, was eng mit der Verbreitung der islamischen Kultur zusammenhing. Bereits ab 711 nach Christus hatten die Mauren – aus Nordafrika kommend – große Teile von Spanien besetzt. Dorthin brachten sie auch ihre Fliesenkunst. Von Spanien und Portugal ausgehend verbreitete sich die Keramik dann zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert auch verstärkt in andere Teile Europas. Außer in Spanien entwickelten sich insbesondere in Italien und in den Niederlanden Hochburgen der handwerklichen Fliesenherstellung.

Im frühen 17. Jahrhundert wurden die Niederlande immer mehr zur führenden europäischen Fliesen-Nation. Die berühmten „Delfter Fliesen“ lieferte man nach ganz Europa – nicht zuletzt auch nach Deutschland. Dabei handelte es sich meist um so genannte Fayence-Fliesen – abgeleitet von der norditalienischen Keramik-Stadt Faenza. Fayencen sind mit einer weiß deckenden Glasur überzogene Tonscherben, die meist mit blauen Farben bemalt wurden.

Diese Fayence-Fliesen kamen aber auch in der Neuzeit meist nur in Schlössern, Adelshäusern oder bei reichen Bürgern zum Einsatz. Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts, als man in England erste Schritte hin zur industriellen Fliesenproduktion machte, wurde die Oberflächenbeschichtung mit Keramik allmählich auch für kleine Leute erschwinglich.


Mehr zum Thema Fliesen und Platten finden Sie in der Übersicht.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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