RM Rudolf Müller
Das DESERTEC-Konzept

Nach dem Desertec-Konzept soll in den Wüsten Nordafrikas und des Mittleren Ostens Strom gewonnen werden, der zum Teil nach Europa exportiert wird. Grafik: Desertec Foundation

Energetisches Bauen
30. Juli 2013 | Artikel teilen Artikel teilen

DESERTEC: Strom aus der Wüste

Vor vier Jahren war „Desertec“ kurzzeitig in aller Munde. Die Idee, mithilfe großer Sonnenwärme-Kraftwerke in den Wüsten der Erde sauberen Strom zu produzieren, der dann auch nach Europa exportiert wird, machte in den Medien die Runde. Große Industriefirmen erklärten sich zur Mitarbeit bereit, und das Projekt schien richtig durchzustarten – doch dann hörte man lange Zeit nicht viel Neues. Ende Juni 2013 kam es dann überraschend zum Bruch zwischen der Desertec Foundation und der Industrie.

Die 2009 gegründete Desertec Foundation (DF) mit Sitz in Berlin versucht als gemeinnützige Stiftung das Wüstenstrom-Konzept weltweit zu fördern. Als geistiger Wegbereiter der Idee gilt der deutsche Physiker Gerhard Knies, der schon lange Zeit im Alleingang an einem Konzept für erneuerbare Energiequellen in Wüstenregionen gearbeitet hatte, bevor er endlich einflussreiche Unterstützer fand. Zusammen mit dem deutschen Ableger des Club of Rome, dem Hamburger Klimaschutz-Fonds und dem jordanischen Energieforschungszentrum gründete er 2003 das Netzwerk „Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation“ (TREC) – die Vorgänger-Organisation der DF.

Nach Berechnungen der Stiftung genügt rein rechnerisch bereits etwa 1% der Wüstenfläche der Erde, um die ganze Menschheit mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu versorgen. 90% der Weltbevölkerung leben in Entfernung von maximal 3.000 km zu geeigneten Wüstenstandorten. Von der Stiftung in Auftrag gegebene Studien kamen zu dem Ergebnis, dass es technisch möglich wäre, diese Menschen mit Wüstenstrom zu versorgen – und zwar mithilfe so genannter Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungen. Diese können Strom über eine Entfernung bis zu 3.000 km transportieren – bei Verlusten von nur etwa 3% pro 1.000 km.

Fokus auf Sonnenwärme-Kraftwerke

Das Desertec-Konzept baut vor allem auf Solartechnik, aber auch Windkraft und andere erneuerbare Energiequellen sollen eine Rolle spielen. Schließlich geht auch in der Wüste irgendwann die Sonne unter, dafür weht dann nachts oft ein kräftiger Wind. Um ununterbrochen Strom aus der Wüste liefern zu können, ist außerdem die Speicherung von Solarenergie vorgesehen.

Da die heutigen Speicher für Photovoltaik-Anlagen noch ziemlich teuer sind, setzt Desertec insbesondere auf Solarthermie. Gemeint sind damit aber nicht Kollektoren, wie wir sie von deutschen Hausdächern kennen, sondern riesige Sonnenwärme-Kraftwerke. In denen wird das Sonnenlicht mithilfe von Spiegeln umgelenkt, sodass es gebündelt auf die Wärmeabsorber der Anlagen trifft. In den Absorbern wird die Energie auf das Wärmeträgermedium übertragen – meist Wasserdampf oder Heißluft. Damit treibt man dann Dampfturbinen an, sodass aus Wärmeenergie Strom entsteht. Der Vorteil der Solarthermie: Man kann einen Teil der tagsüber gewonnenen Wärme kostengünstig in Wassertanks zwischenspeichern und diese Energie nachts zum Antrieb der Dampfturbinen verwenden.

Mit ihrer Arbeit möchte die DF die Realisierung solcher Solar-Kraftwerke weltweit fördern. Die Stiftung finanziert zum Beispiel wissenschaftliche Studien, betreibt Öffentlichkeitsarbeit für ihre Ideen, versucht Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft zu überzeugen und berät potenzielle Investoren. Sie baut aber keine eigenen Kraftwerke.

Start in der MENA-Region

Sonnenwärmekraftwerk in Ägypten

Bau eines Sonnenwärmekraftwerks in Ägypten: Die gewölbten Spiegel bündeln das Sonnenlicht auf ein in der Mitte verlaufendes Absorberrohr. Foto: Dii GmbH

In einem ersten Schritt soll das Konzept für die Region Nordafrika und Mittlerer Osten umgesetzt werden – von Marokko bis zum Iran (siehe Karte). Man spricht hier auch von der so genannten MENA-Region (Middle East & North Africa). Auf Grundlage ihrer wissenschaftlichen Studien hat die DF das Ziel ausgegeben, dass Wind und Wüstensonne aus der MENA-Region bis 2050 rund 15% des europäischen Strombedarfs decken sollen. Dafür sollen in möglichst vielen Ländern der Region Solar-Kraftwerke und Windkraftanlagen entstehen – auch um zu große Abhängigkeiten von einzelnen Staaten zu vermeiden.

Allerdings ist der Stromexport nach Europa nur ein Teilaspekt des Projekts. Es geht nämlich auch darum, die Entwicklung in den MENA-Ländern selbst zu fördern. Für die betroffenen Staaten wird bis 2050 eine stark steigende Bevölkerung und damit ein wachsender Bedarf an Trinkwasser und Strom prognostiziert. Mit dem sauberen Strom aus neuen Kraftwerken soll also zunächst einmal die Nachfrage vor Ort gedeckt werden. Nicht zuletzt geht es um Energie für künftige Projekte zur Meerwasserentsalzung.

Nach den Plänen der DF soll etwa ab 2020 auch Strom nach Europa fließen. Ob dieser Zeitplan einzuhalten ist, erscheint derzeit aber fraglich. Bis Mitte 2013 war noch kein einziges Solarkraftwerk in der MENA-Region in Betrieb gegangen. Und auch die Verhandlungen mit möglichen Transitländern für die Stromleitungen verliefen bisher offenbar zäh.

Desertec vor ungewisser Zukunft

Wie es mit Desertec weiter geht, ist derzeit (Juli 2013) auch deshalb ungewiss, weil sich das Verhältnis zwischen der Stiftung und ihren Industriepartnern zuletzt massiv abgekühlt hat. Ende Juni 2013 hat die Desertec Foundation sogar ihre Zusammenarbeit mit der Desertec-Initiative der Industrie (Dii) aufgekündigt. Das Industrie-Konsortium hatte die DF erst 2009 zusammen mit Großkonzernen wie Siemens, Bosch, Eon, RWE, Evonik, Münchner Rück und Deutsche Bank ins Leben gerufen. Die Initiative soll Desertec in der MENA-Region praktisch vorantreiben, bis 2050 wurden Investitionen in Höhe von 400 Mrd. Euro angekündigt.

Die DF begründete ihren Austritt unter anderem damit, dass sie „nicht in den Sog der negativen Berichterstattung über die Führungskrise und Orientierungslosigkeit des Industriekonsortiums gezogen“ werden wolle. Tatsächlich gibt es innerhalb der Dii-Geschäftsführung Meinungsverschiedenheiten über die künftige Strategie des Projekts, die teilweise auch öffentlich über die Medien ausgetragen wurden. Im Fokus steht dabei die Frage, ob das Ziel, den Wüstenstrom nach Europa zu transportieren, noch realistisch ist, oder ob man sich nicht ganz auf die Stromproduktion für lokale Märkte konzentrieren sollte.

Wie geht es nun weiter mit Desertec? Einerseits scheint es durchaus möglich, dass der Schock des Bruchs eine Denkpause eingeleitet hat, nach der sich DF und Industrie irgendwann wieder annähern werden. Andererseits kann die Stiftung auch ohne Unterstützung der Dii arbeiten. Schon heute unterstützt sie andere Desertec-Projekte in Südamerika und Südost-Asien, und für die MENA-Region könnte sie ebenfalls nach neuen Partnern Ausschau halten. Aber auch die Industrie-Initiative könnte ihre Aktivitäten in Nordafrika ohne die DF fortführen – wenn auch nur unter neuem Namen, denn für „Desertec“ liegen die Namensrechte bei der Stiftung.

Unabhängig von diesen Spekulationen kann man sagen, dass die Verbreitung der Desertec-Idee schon heute Früchte trägt. Denn viele Staaten Nordafrikas und des Mittleren Ostens warten gar nicht mehr auf Investoren aus Europa, sondern haben in den letzten Jahren bereits eigene Pläne für erneuerbare Energien in den Wüstenregionen vorangetrieben.



Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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