
Hochhaus in Wien – Hütte bei Rennes: Diese beiden Gebäude repräsentierten 2014 das weltweit größte beziehungsweise kleinste Passivhaus der Welt.
Passivhäuser: Eigenschaften und Umsetzung
Ein Haus ohne Heizung? Für die meisten Mitteleuropäer war das vor 25 Jahren – als die Idee des Passivhauses geboren wurde – noch eine erschreckende Vorstellung. Kein Wunder, dass sich anfangs viele Vorurteile um die neue Bauweise rankten, etwa die (falsche) Behauptung, dass man in Passivhäusern die Fenster nicht öffnen dürfe. Heute scheinen die diffusen Ängste der Anfangszeit weitgehend überwunden. Das Passivhaus hat sich etabliert. Nicht zuletzt wegen der Aufklärungsarbeit des Passivhausinstituts. Mittlerweile wird der neue Gebäudetypus überall in der Welt gebaut, und immer mehr Menschen schätzen die Vorteile dieser extrem energiesparenden Häuser.
Die Idee zum Passivhaus entstand durch eine deutsch-schwedische Forscherkooperation. Der deutsche Bauphysiker Wolfgang Feist entwickelte sie 1988 – während eines Forschungsaufenthalts an der schwedischen Universität Lund – gemeinsam mit seinem schwedischen Kollegen Bo Adamson.
Von der Idee zur Umsetzung
Den beiden schwebte von Anfang an ein Haus vor, in dem durch eine perfekte Dämmung der Gebäudehülle praktisch überhaupt keine aktiv erzeugte Heizungswärme mehr notwendig ist, um behagliche Raumtemperaturen zu gewährleisten. So sollte der Heizenergieverbrauch drastisch gesenkt werden – gegenüber damaligen Neubauten um etwa 90%. Statt durch Heizen sollte der Wärmebedarf der Hausbewohner weitgehend aus passiven Quellen gedeckt werden – daher der Name Passivhaus. Gemeint sind Wärmequellen, die ohnehin stets vorhanden sind: vor allem die Sonneneinstrahlung durch die Fenster, daneben aber auch die Abwärme, die der Mensch selbst durch seinen Körper beziehungsweise durch technische Geräte im Haushalt erzeugt („Die Wohnung mit einer Glühbirne heizen“).
Bereits 1990 entstand in Darmstadt – wo Wolfgang Feist damals am Institut Wohnen und Umwelt arbeitete – der erste Prototyp eines Passivhauses zu Forschungszwecken. Als Feist 1996 das Passivhausinstitut in Darmstadt gründete, war nach den mehrjährigen Untersuchungen am Pilothaus bereits erwiesen, dass das Baukonzept auch in der Praxis funktioniert. Nun ging es vor allem darum, den neuen Gebäudetypus bekannt zu machen, Industriepartner zu finden sowie einheitliche Konzepte, Komponenten und Planungswerkzeuge zu entwickeln.
Keine festgeschriebene Geometrie

Neu zur BAU 2015: Das „Velux Integra Solarfenster GGU“ ist das erste Dachfenster, das als zertifizierte Passivhaus-Komponente für kaltes Klima eingestuft wurde.
Viele Menschen haben wahrscheinlich ein Gebäude mit einem Pultdach vor Augen, wenn sie an ein Passivhaus denken. Tatsächlich findet man diese Dachform bei Passivhäusern besonders häufig. Das hängt damit zusammen, dass bei der Planung von Passivhäusern Wert darauf gelegt wird, zum Süden hin eine Fassade mit großen Fensterverglasungen zu realisieren, um möglichst viel passive Wärme durch Sonneneinstrahlung gewinnen zu können. Das funktioniert mit Pultdächern besonders gut, weil es bei dieser Dachform nur auf einer Gebäudeseite eine geneigte Dachfläche gibt, während auf der anderen Seite die (verglaste) Fassade bis hinauf zum Dachfirst reicht.
Doch auch wenn das Pultdach beim Passivhaus häufig vorkommt, ist das Gebäudekonzept keineswegs auf diese spezielle Geometrie festgelegt. Das verdeutlichen nicht nur die Fotobeispiele zu diesem Beitrag. Sucht man im Internet nach Bildern von Passivhäusern, dann findet man mittlerweile eine große Vielfalt an Gebäudeformen. Und bei diesen Objekten handelt es sich längst nicht mehr nur um Wohnhäuser. Auch größere Objekte werden heute immer häufiger als Passivhaus gebaut – vom Bürohochhaus über Einkaufzentren bis hin zu Sporthallen. Und auch ganz normale Altbauten mit Satteldach lassen sich erfolgreich zu Passivhäusern modernisieren, ohne dass man dafür ihre ursprüngliche Form verändern muss.
Was ist ein Passivhaus?
Ähnlich wie beim Drei-Liter-Haus sind es auch beim Passivhaus die Maximalwerte zum Heizenergieverbrauch, durch die der Gebäudetypus im Wesentlichen definiert wird. So darf ein vom Passivhausinstitut zertifiziertes Gebäude maximal einen Heizwärmebedarf von 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr haben – das entspricht etwa dem Heizwert von 1,5 Litern Heizöl. Mit welcher Gebäudeform und welchen Bauteilmaterialien dieses Ziel erreicht wird, schreibt das Konzept nicht vor. Das Passivhausinstitut fordert lediglich allgemein, dass der Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert) der Außenwände unterhalb von 0,15 W/m²K liegen muss – und der U-Wert der Fenster unterhalb von 0,8 W/(m²K).
In unserem mitteleuropäischen Klima sind die genannten Zielvorgaben in der Regel nur zu erreichen, wenn das Haus über eine hoch gedämmte, luftdichte Gebäudehülle ohne größere Wärmebrücken sowie über Fenster mit Dreifachverglasung und Edelgasfüllung verfügt. Die Baustoffindustrie liefert dafür bereits seit Jahren passende Komponenten. Und die Entwicklung geht immer weiter. So präsentierte Velux auf der Messe BAU 2015 in München das erste Dachfenster, das die Kriterien des Passivhausinstituts an eine zertifizierte Passivhaus-Komponente für kaltes Klima erfüllt. Das Fenster (siehe Foto) verfügt über eine Fünffach-Verglasung – drei Scheiben außen und zwei innen – und erreicht einen U-Wert von nur 0,51 W/m²K.
Lüften
Zur Standardausrüstung von Passivhäusern gehört auch eine automatische Lüftungsanlage mit Technik zur Wärmerückgewinnung. So können die Fenster während der kalten Jahreszeit dauerhaft geschlossen bleiben, ohne dass „dicke Luft“ entsteht. Im Gegenteil: Die Luft in Passivhäusern mit permanenter automatischer Lüftung ist in der Regel deutlich besser als in herkömmlichen Häusern, in denen Frischluft nur nachströmt, wenn die Bewohner eigenhändig die Fenster öffnen. Dazu tragen auch Lüftungsfilter bei, die (anders als bei Fensterlüftung) Staub und Pollen zurückhalten.
Das bedeutet allerdings nicht, dass man in Passivhäusern überhaupt nicht über die Fenster lüften sollte. Tatsächlich ist auch für diese Gebäudeart sogar vorgeschrieben, dass es in jedem Wohnraum mindestens eine Außenluftöffnung geben muss. Und außerhalb der Heizperiode schalten viele Passivhausbewohner die automatische Lüftung auch komplett ab und lüften dann ganz herkömmlich über die Fenster. Das ist prinzipiell immer möglich, sogar im Winter, aber es wäre schlichtweg unsinnig, so etwas während der kalten Jahreszeit zu tun.
Übrigens verbrauchen Passivhäuser zwar wenig bis gar keine aktiv erzeugte Heizenergie, aber beim Stromverbrauch schneiden sie in der Regel schlechter ab als „normale“ Häuser. Das hängt nicht zuletzt mit der automatischen Lüftung zusammen, die viel Strom frisst. Damit dieser Effekt die Gesamtenergiebilanz nicht zu stark trübt, hat das Passivhausinstitut einen weiteren Grenzwert formuliert: Der Jahres-Primärenergiebedarf für alle Haushaltsanwendungen (Heizung, Warmwasserbereitung und eben auch Haushaltsstrom) darf in einem zertifizierten Passivhaus zusammen nicht mehr als 120 Kilowattstunden pro Quadratmeter betragen.
Zuheizen
Bleiben die Fenster während der kalten Jahreszeit weitgehend geschlossen, dann benötigt ein Passivhaus dank der guten Dämmung und der Lüftung mit Wärmerückgewinnung praktisch keine Gebäudeheizung. Trotzdem verfügen Passivhäuser in der Regel über eine „Restheizung“ – zum Nachheizen, wenn es draußen extrem kalt ist. Bis zu einem maximalen Wärmebedarf von zehn Watt pro Quadratmeter Wohnfläche lässt sich dieses Zuheizen ganz einfach in die vorhandene Technik des Passivhauses integrieren. Die aktive Wärmeerzeugung kann dann über eine Nacherwärmung der Zuluft aus der Lüftungsanlage erfolgen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Dabei geht es dann um eine zusätzliche, aktive Erwärmung der Zuluft. Sie erfolgt zusätzlich zu der passiven Erwärmung mithilfe des Wärmetauschers, bei der die Zuluft Wärmeenergie aus der vorbeiströmenden Abluft aufnimmt.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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