Naturdämmstoffe bestehen meist aus Pflanzenfasern. In der Baupraxis am weitesten verbreitet sind hier Holzfaser- und Zellulose-Dämmstoffe. Andere pflanzliche Isoliermaterialien – etwa auf Hanf-, Flachs- oder Strohbasis – führen dagegen bisher ein Nischendasein. Noch unbekannter sind allerdings Wiesengras-Dämmstoffe. Doch es gibt sie – sowohl als Einblasdämmstoffe als auch als Plattenware.
Streng genommen müsste man eigentlich alle Dämmstoffe, die aus Pflanzenfasern bestehen, als Zellulose-Dämmstoffe bezeichnen. Denn Zellulose ist nun mal das Material, aus dem die Zellwände aller Pflanzen bestehen – von Baumstämmen über Sträucher und Blätter bis hin zu Grashalmen. Der Begriff Zellulose-Dämmstoffe hat sich in der Praxis allerdings für diejenigen Einblasdämmstoffe eingebürgert, die man aus Recycling-Papier herstellt.
Wiesengras besteht natürlich auch größtenteils aus Zellulose und lässt sich ebenfalls zu einem losen Dämmstoffmaterial verarbeiten, das sich in Hohlräume von Dächern, Decken und Wände einblasen oder manuell als Stopfdämmstoff verarbeiten lässt. Ganz ähnlich wie die Seegras-Dämmstoffe, über die wir auf BaustoffWissen bereits im Beitrag „Dämmen mit Seegras“ informiert haben. Darüber hinaus kann man aus dem Rohstoff Gras auch feste Dämmplatten herstellen. Das funktioniert allerdings nur mit weiteren Zusatzstoffen.
Vom Gras zum Dämmstoff
Zu den großen Vorteilen von Grasdämmungen, vor allem der losen Einblas-/Stopfprodukte, gehört deren Nachhaltigkeit. Wiesengras ist nun mal ein nachwachsender Rohstoff, der auch in unseren Breitengraden überall in Hülle und Fülle vorhanden ist. Für die Dämmstoffherstellung verwendet man meist das so genannte Deutsche Weidelgras, das vor allem als Weidegras in der Tierhaltung weit verbreitet ist. Die Sorte ist unempfindlich sowie ertragreich und wächst praktisch überall.

Gänzlich unverarbeitet wird aus Gras freilich kein Dämmstoff. Die Weiterverarbeitung erfolgt aber ausgesprochen naturnah. Das gemähte Wiesengras wird zunächst dauerhaft haltbar gemacht, indem man es siliert – mit anderen Worten: einsäuert. Dabei handelt es sich um einen Gärprozess, der auch jenseits der Dämmstoffherstellung gängige Praxis in der Landwirtschaft ist. Aus feuchtem Gras stellen Bauern auf diese Weise beispielsweise lange haltbares Grünfutter für Nutztiere her – auch Silage oder Gärfutter genannt.
Für die Herstellung von Grassilage lässt man den gemähten Rohstoff zunächst eine Weile zum „Anwelken“ auf der Erntefläche liegen, bevor man ihn verdichtet und luftdicht mit Silagefolie abdeckt. Beim daraufhin einsetzenden Gärprozess wandeln die im Gras enthaltenen Milchsäurebakterien Zucker in Säure um. Durch die Einsäuerung werden pflanzeneigene Mikroorganismen unterdrückt, was das Material haltbar macht.
Um aus der Silage Dämmstoff herzustellen, muss man sie noch in mehreren Durchgängen mit warmem Wasser waschen. Das Ziel ist hierbei, die Grasfasern von noch verbliebenen verdaulichen Nährstoffbestandteilen zu befreien. Zurück bleiben am Ende reine Zellulosefasern. Diese werden dann noch mit maximal 4 % Borsalzen versetzt, um das Produkt brandsicherer zu machen (Baustoffklasse B2) – fertig ist der Einblas- und Stopfdämmstoff.
Statt zu losen Zelluloseflocken kann man Gras auch zu festen Dämmplatten verarbeiten. Vorreiter ist hier der Hersteller Gramitherm Europe SA. Für die flexiblen Gramitherm-Dämmmatten wird das Wiesengras wie oben beschrieben zunächst siliert. Der Hersteller fügt dann aber weitere Bindefasern hinzu. Laut Technischem Merkblatt der Gramitherm-Grasfaserdämmung bestehen die Matten zu 72 % aus Grasfasern sowie zu 20 % aus Jute und 8 % aus recyceltem PET-Kunststoff (Stützfasern).
Bauphysikalische Eigenschaften
Dämmstoffe aus Wiesengras – egal ob lose Sackware oder Dämmmatten – haben in der Regel eine Wärmeleitfähigkeit um 0,040 W/mK. Das liegt im Bereich der Werte, die man allgemein von Naturdämmstoffen kennt. Damit handelt es sich zwar nicht um Hochleistungsdämmstoffe in Sachen Wärmeschutz, aber die diesbezügliche Dämmleistung ist auch nicht schlecht.

Zuma Dämmstoffe ja nicht nur für den Wärmeschutz da sind. Wiesengras bietet auch einen guten sommerlichen Wärmeschutz, denn das Material erwärmt sich nur wenig. Nach Angaben der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) haben Grasdämmstoffe zudem hervorragende schalldämmende Eigenschaften. Die FNR hebt ferner die Diffusionsoffenheit von Wiesengras-Dämmstoff hervor. Die Zellulose nimmt Wasserdampf schadensfrei auf und gibt ihn bei Bedarf wieder ab. Dadurch kann der Dämmstoff zu einem angenehmen Raumklima beitragen.
Eine Wiesengras-Dämmung kann zwar problemlos Wasserdampf zwischenspeichern, sie darf andererseits aber auch nicht wirklich nass werden, ohne einen Großteil ihrer Dämmfähigkeit zu verlieren. Es darf also nicht dazu kommen, dass größere Mengen Wasserdampf im Material kondensieren. Deshalb sind Wiesengras-Dämmstoffe gegen Feuchtigkeit von außen und innen zu schützen. Raumseitig geschieht dies meist mit einer Dampfbremse.
Auf jeden Fall handelt es sich bei dem Dämmstoff um ein wohngesundes Material, das keine VOC-Gifte ausdünstet, gesundheitlich unbedenklich sowie angenehm und hautfreundlich zu verarbeiten ist. Bei einem späteren Rückbau ist die Graszellulose zudem kompostierbar, alternativ kann man sie auch als Biomasse zur Strom- und Wärmeerzeugung nutzen.
Anwendung und Verbreitung
Losen Wiesengras-Dämmstoff verwendet man vor allem für die Hohlraumdämmung von Decken, Dächern und Wänden im Altbaubereich. Die Gramitherm-Matten wiederum werden laut Herstellerangaben hauptsächlich als Dämmung unter dem Dach, auf Außenfassaden, zur Trittschallisolation und für Raumtrennwände in Trockenbauweise eingesetzt.
Wie oft dies in der Praxis tatsächlich geschieht, lässt sich schwer sagen. Eine Statistik zum Dämmstoffmarkt, die Wiesengrasprodukte separat aufführt, ist der BaustoffWissen-Redaktion nicht bekannt. Alles spricht dafür, dass Gras-Dämmstoffe in Deutschland bisher allenfalls in einer sehr kleinen Nische eine Rolle spielen. Industrielle Hersteller scheint es hierzulande bisher nicht zu geben.
Vor einigen Jahren hat das deutsch-schweizerische Unternehmen Biowert mit einer kleinen Fabrik im hessischen Odenwald einen Anlauf unternommen, Wiesengras als Dämmstoff in der Bauwirtschaft zu etablieren. Ab 2007 produzierte man dort einen entsprechenden Einblasdämmstoff und gab ihm sogar einen Markennamen: „AgriCell BW“. Doch mittlerweile hat sich Biowert wieder aus dem Dämmstoffmarkt zurückgezogen. Dem Rohstoff Wiesengras ist das Unternehmen zwar treu geblieben, doch heute stellt man daraus einen Biokunststoff her („AgriPlast“), der neben Pflanzenfasern auch Recycling-Plastik enthält und aus dem Biowert unter anderem nachhaltige Kleiderbügel fertigt.
Googelt mal „Wiesengras-Dämmstoff“, führen die aktuellen Treffer derzeit meist zu Gramitherm. Die Firma stellt ihre Dämmmatte nach einem „exklusiven Schweizer Verfahren“ her, produziert allerdings im belgischen Auvelais. Über derzeit drei deutsche Vertriebspartner kann man den Dämmstoff auch hierzulande beziehen. In Deutschland selbst werden offenbar nirgendwo Wiesengras-Dämmmatten hergestellt.