Flexible Myzel-Materialien sind zum Beispiel als Polstermaterial, Dämmplatte oder Lederalternative verwendbar. (Quelle: Fraunhofer IAP / Jadwiga Galties)

Plus 2024-10-23T07:00:00Z Dämmstoffe aus Pilzen?

Pilze haben mehr zu bieten als man auf den ersten Blick erkennt. Das gilt sowohl für ihre Gestalt – der größte Teil des Pilzorganismus ist das „unsichtbare“ Myzel im Erdreich – als auch für ihre Verwendbarkeit. Forschende am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung nutzen Pilzmyzel, um daraus unterschiedliche Produkte zu entwickeln: von Verpackungsmaterialien bis hin zu Dämmstoffen.

Ein gewölbter Hut, ein Stiel – so sehen für uns die meisten Pilze aus. Doch ihr größter Teil ist eigentlich ein Geflecht aus Zellfäden, das Myzel, das sich meist unterirdisch ausbreitet und riesige Ausmaße annehmen kann. Dieses fein verzweigte Geflecht wurde bisher wenig genutzt. Doch für Forschende am Potsdamer Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (Fraunhofer IAP) hat das Pilzmyzel ein großes Potenzial als zukunftsweisender Rohstoff zur Herstellung nachhaltiger und biologisch abbaubarer Materialien. In verschiedenen Projekten nutzen sie myzelbasierte Materialien, um daraus etwa Dämmstoffe, Verpackungen oder auch tierfreie Lederalternativen zu entwickeln.

Umweltfreundlich und energieeffizient

„Angesichts von Klimawandel und allmählich versiegenden fossilen Rohstoffquellen sind dringend biologisch abbaubare Materialien gefragt, die weniger energieintensiv produziert werden“, sagt Dr. Hannes Hinneburg, Wissenschaftler am Fraunhofer IAP. Gemeinsam mit seinem Team wandelt er mithilfe von Pilzmyzel – etwa von Speisepilzen oder Baumpilzen wie dem Austernseitling oder dem Zunderschwamm – lokal verfügbare pflanzliche Reststoffe in nachhaltige Werkstoffe um. Häufig geht es dabei darum, erdölbasierte Produkte durch natürliche Bio-Myzel-Komposite zu ersetzen.

Was man sieht, ist in der Regel nur der kleinste Teil des Pilzes. (Quelle: Pixabay)

Als Substrat für ihre Pilzkulturen nutzen die Forschenden Zellulose-haltige organische Reststoffe aus der regionalen Land- oder Forstwirtschaft. Diese Stoffe dienen dem Pilz als Nahrung und werden im Laufe des Stoffwechselvorgangs komplett von einem feinen Geflecht aus Myzel durchzogen. So entsteht ein rein organisches Verbundmaterial, das sich in eine gewünschte Form bringen und durch thermische Behandlung stabilisieren lässt. „Bei der Zersetzung von Zellulose und anderen organischen Reststoffen bildet das Myzel ein verdichtetes dreidimensionales Netzwerk und kann somit eine selbsttragende Struktur aufbauen“, erläutert der Biotechnologe Hinneburg.

Die am Fraunhofer IAP entstehenden myzelbasierten Materialien sind also allesamt eine komplexe Verbindung von Pilzmyzel mit einem organischen Substrat wie etwa Getreideresten, Holzspänen, Hanf, Schilf, Raps oder anderen landwirtschaftlichen Reststoffen. Das Verfahren ist nach Angaben der Forschenden umweltfreundlich und energieeffizient, da das Wachstum der Pilze unter Umgebungsbedingungen stattfinde, das CO2 in den Reststoffen gespeichert bleibe und für den Vorgang nicht einmal Licht notwendig sei.

Die Herstellung im Detail beschreibt Dr. Hannes Hinneburg wie folgt: „Zunächst vermischt man Wasser mit landwirtschaftlichen Reststoffen wie Stroh, Hackschnitzeln und Sägespänen zu einer Masse. Nach der anschließenden Einstellung von Feuchtegrad und Partikelgröße und der darauffolgenden Hitzebehandlung zum Abtöten konkurrierender Keime liegt das Substrat vor. Es bildet die Nahrung für die Pilze und wird mit dem Myzel vermischt. Nach einer Wachstumsphase von etwa zwei bis drei Wochen im Brutschrank entsteht aus der Mixtur – in Abhängigkeit von der Rezeptur und Prozessführung – ein lederähnlicher Stoff oder ein Komposit-Material, das sich weiterverarbeiten lässt“.

Vielseitige Anwendungsmöglichkeiten

Pilzbasierte Stoffe lassen sich zu unterschiedlichsten Produkten verarbeiten. Das Spektrum reicht von Textilpolsterungen und Taschen über Verpackungen und Möbel bis hin zu Dämmplatten für den Innenausbau. Bei der Verwendung als Baustoff funktioniert der Pilz primär als biologischer Kleber, der unterschiedlichste organische Partikel über das Myzel miteinander verbindet.

Nachhaltig und biologisch abbaubar: Verpackungen aus Pilzmyzel. (Quelle: Fraunhofer IAP / Jadwiga Galties)

Die Vielfalt der Anwendungen ergibt sich daraus, dass Pilzmaterialien mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften züchtbar sind. Je nach gewünschter Anwendung können beispielsweise strapazierfähige und elastische, dichte oder offenporige, weich oder harte, dicke oder hauchdünne Materialien geschaffen werden. Die Eigenschaften hängen von der jeweiligen Kombination von Pilzart und landwirtschaftlichem Reststoff sowie von variablen Parametern wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit, aber auch von der Dauer des Pilzwachstums ab. Auch Farbe und Textur lassen sich in der Wachstumsphase gezielt beeinflussen.

„Die zahlreichen positiven Eigenschaften des Materials – es ist wärmedämmend, isolierend, feuchtigkeitsregulierend und brandbeständig – ermöglichen einen wichtigen Schritt in Richtung kreislauffähiges und klimapositives Bauen“, sagt Dr. Hannes Hinneburg. Sein Team arbeitet aktuell übrigens auch an einem myzelbasierten Hartschaum, der künftig EPS als Wärmedämmstoff ersetzen könnte. Zusammen mit Designern entwickelt es zudem das Ausgangsmaterial für tierfreie Pilz-Alternativen zu Lederprodukten wie Taschen und Portemonnaies.

Aufbau industrialisierter Prozesse

Auch bei der Frage, wie sich die Herstellung myzelbasierter Materialien industrialisieren lässt, hat das Fraunhofer IAP bereits wichtige Vorarbeit geleistet. Die Forschenden entwickelten einen Prototyp für ihr so genanntes Rolle-zu-Rolle-Verfahren. Die Methode verspricht erhebliche Vorteile gegenüber der herkömmlichen Herstellung in Boxen und Regalsystemen.

Das neue Verfahren soll eine standardisierte, kontinuierliche Produktion unter kontrollierten Prozessbedingungen wie etwa Temperatur und Feuchtigkeit und einen Output in industrierelevantem Maßstab ermöglichen. „Durch den Einsatz von innovativen Technologien wie künstlicher Intelligenz zur Optimierung der Kombination von Reststoffen und Pilzarten kann die Produktion zudem weiter optimiert werden“, ergänzt Hinneburg.

zuletzt editiert am 21. Oktober 2024