
Wenn Bürolichter dauerhaft erlöschen, bietet sich eine Umnutzung zu Wohnraum an. Foto: Pixabay
Büros zu Wohnungen
Der Trend zum Homeoffice in der Corona-Krise könnte zur Chance beim Thema Wohnungsnot werden – und zwar durch den Umbau freiwerdender Büros zu Wohnungen. Diese Thematik wird auch in zwei aktuellen Studien aufgegriffen, die das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ in Auftrag gegeben hat. Die Wissenschaftler sehen schon bis 2025 ein Potenzial von 235.000 „Ex-Büro-Wohnungen“.
Für die Umbauten müsse es allerdings eine „strikte Sozialquote“ geben. „Es kann nicht sein, dass Büros in attraktiven Innenstadtlagen durchweg zu Luxus-Citylofts umgebaut werden“, hieß es Anfang Februar in einer Pressemitteilung des Bündnisses, dem neben dem Deutschen Mieterbund, der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie sowie der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt auch zwei Akteure aus der Bauwirtschaft angehören: die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau und der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel.
Finanziell attraktiv

Die Umwandlung von Büro- in Wohnraum kostet im Schnitt deutlich weniger als ein Neubau oder die Vollmodernisierung eines Altbaus. Grafik: ARGE e.V.
„Wenn sich das Homeoffice im Arbeitsalltag über die Pandemiephase hinweg etabliert, ist der nächste Schritt nur konsequent: die Umwandlung von Büro- in Wohnraum“, sagt Dietmar Walberg, Chef des Kieler Bauforschungsinstituts ARGE für zeitgemäßes Bauen. Die ARGE hat im Auftrag des Verbändebündnisses „Soziales Wohnen“ die Studie „Bezahlbarer Wohnraum 2021“ erstellt. Diese kommt zu dem Schluss, dass solche Umwandlungen auch finanziell durchaus attraktiv sind. Demnach koste der Büroumbau zur Wohnung im Schnitt gerade einmal 1.108 Euro pro Quadratmeter.
Ein Grund dafür: Büro- und Verwaltungsgebäude bringen bereits das Tragwerk und teilweise auch hohe Standards mit – etwa beim Brandschutz und durch Fahrstuhlanlagen. Zum Vergleich: Bei der Vollmodernisierung eines Altbaus fallen durchschnittlich Kosten von 2.214 Euro pro Quadratmeter an. Und beim Neubau sind es sogar 2.978 Euro. „Damit kostet die Ex-Büro-Wohnung nur ein gutes Drittel von dem, was heute für eine Neubauwohnung bezahlt werden muss – und das oft noch in guter innenstädtischer Lage“, sagt Dietmar Walberg.
Auf einen anderen Vorteil der Büroumwandlung in Wohnraum macht das Pestel-Institut aufmerksam: „Neben der Umnutzung von Büros in den Zentren können deutlich erweiterte Homeoffice-Aktivitäten der Erwerbstätigen auch zur räumlichen Entzerrung der Wohnungsmärkte beitragen. Wer nur noch zweimal pro Woche ins Büro in der Stadt muss, kann seinen Suchradius für den Wohnstandort bei geringerer Fahrleistung deutlich erweitern und so möglicherweise eine aktuell leerstehende Wohnung im ländlichen Raum beziehen.“ So steht es in einer aktuellen Studie des Instituts aus Hannover, die ebenfalls „Bezahlbarer Wohnraum 2021“ heißt und ebenfalls vom Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ in Auftrag gegeben wurde.
Großes Potenzial
Die Pestel-Studie verweist auf Schätzungen, denen zufolge es in Deutschland 350 bis 380 Mio. m2 Bürofläche gibt, deren Umnutzung zu Wohnflächen häufig mit überschaubarem Aufwand möglich sei. „Jedes Prozent Bürofläche, das wegen der dauerhaften Homeoffice-Ausweitung zu Wohnungen umgenutzt werden kann, lässt die Schaffung von rund 50.000 Wohnungen mit jeweils 70 m2 zu“, so die Pestel-Forscher. Würde man 40 % der heutigen Büroflächen entsprechend umbauen, könnten 2 Mio. zusätzliche Wohnungen á 70 m2 entstehen.
Anfang Februar legte das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ auch einen „Akutplan 2025 für soziales und bezahlbares Wohnen“ vor. In dem Papier fordert das Bündnis von Bund und Ländern, bis zum Jahr 2030 den Bestand an Sozialmietwohnungen in Deutschland von gegenwärtig weniger als 1,2 Mio. Wohnungen wieder auf mindestens 2 Mio. Sozialmietwohnungen zu stabilisieren. Darüber hinaus müsse deutlich mehr bezahlbarer Wohnraum in Ballungsgebieten und Wachstumsregionen geschaffen werden.
Eine der fünf zentralen Forderungen, die der Akutplan enthält, trägt die Überschrift „Vereinfachte Umnutzung von Gebäuden zum sozialen und barrierearmen Wohnen“. Dazu gehört auch das Thema der Umnutzung von Büroflächen zu Wohnzwecken. Angesichts von etwa 14,8 Mio. Beschäftigten, die 2020 in Deutschland überwiegend in sitzender Tätigkeit im Büro arbeiteten, sieht der Akutplan „ein erhebliches Potenzial für Homeoffice-Arbeitsplätze“.
Die Autoren der ARGE-Studie schätzen, dass in Deutschland bis zum Jahr 2040 mindestens 136 Mio. m2 Bürofläche in Nichtwohngebäuden überflüssig werden könnten. Daraus lasse sich bereits bis zum Jahr 2025 ein Flächenpotenzial für etwa 235.000 Wohnungen in bisherigen Büro- und Verwaltungsgebäuden prognostizieren. Der Leerstand bei Büroimmobilien in Deutschland sei – nachdem er zuvor etwa zehn Jahre rückläufig war – bereits im ersten Quartal 2020 erstmals wieder angestiegen.
Förderung notwendig

Die Bundesregierung unterschreitet ihr Neubauziel bis 2021 aktuell um etwa 250.000 Wohnungen. Grafik: Pestel-Institut
Damit dieses Potenzial in der Praxis tatsächlich genutzt werden kann, fordert das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ in seinem Akutplan die aktive Unterstützung der Kommunen durch Bund und Länder. Notwendig seien unter anderem „verfahrenstechnische Erleichterungen und die Beseitigung von bauleitplanerischen Hemmnissen“.
Der Bund müsse die Umnutzungen zudem durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen unterstützen, und die Länder müssten ihre sozialen Wohnraumförderungsprogramme entsprechend anpassen. „Die Umnutzung von Büroflächen bietet erhebliche Chancen zur Schaffung von Wohnungen, bedarf aber der politischen Unterstützung und der Förderung“, fasst das Pestel-Institut in seiner Studie zusammen.
Für die Politik müsse eine Förderung der Umnutzung von Büros zu bezahlbaren Wohnungen unterm Strich nicht einmal Mehrkosten verursachen – glauben die Forscher. „Auf der einen Seite wird der bezahlbare und der soziale Wohnungsbau zu wenig gefördert, auf der anderen Seite werden aber enorme Summen durch die Job-Center für die Kosten der Unterkunft, also für die Übernahme der Mieten, ausgegeben“, gibt Pestel-Institutsleiter Matthias Günther zu bedenken.
Dabei leide der Staat dann sogar selbst unter der Mietenexplosion: In den vergangenen fünf Jahren seien die Mieten für Wohnungen mit einfachem Standard, für die der Staat die Kosten der Unterkunft zahle, im Bundesdurchschnitt um 28 % gestiegen. Matthias Günther: „Wenn der Staat durch eine effektivere Wohnungsbaupolitik für mehr Neubau gesorgt hätte, dann würde es auch mehr preisgünstige Wohnungen auf dem Markt geben.“ Die Förderung von bezahlbarem und sozialem Wohnungsbau hilft also nicht nur, die soziale Frage Wohnen zu entschärfen, sondern kann sich auch für den Staat finanziell lohnen, weil dieser dann geringere Mietkosten übernehmen müsste.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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