
Bei der dualen Berufsausbildung drücken die Azubis auch weiterhin die Schulbank. Foto: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / www.pixelio.de
Geschichte der Berufsschulen in Deutschland
In Deutschland werden Azubis überwiegend dual ausgebildet – also parallel in Betrieb und Berufsschule. Uns erscheint dieses System heute als Selbstverständlichkeit, doch blickt man in andere Länder, stellt man fest, dass es sich eher um einen deutschen Sonderweg handelt. Um einen relativ jungen Sonderweg – muss man hinzufügen. Denn auch unser Berufsschulsystem ist eigentlich noch relativ neu.
Deutsche Auszubildende arbeiten meist an drei bis vier Tagen in der Woche im Betrieb und besuchen an ein bis zwei Tagen die Berufsschule. Diese Parallelität von Praxis und Theorie hat viele Vorteile. Das theoretische Fachwissen, das in der Schule vermittelt wird, kann im Unternehmen sofort praktisch erprobt werden. Umgekehrt können die praktischen Erfahrungen im Unternehmen zu einem umfassenderen Verständnis der Theorie beitragen.
Hinzu kommt, dass an unseren Berufsschulen nicht nur Berufswissen, sondern auch Allgemeinbildung gelehrt wird. Fächer wie Deutsch, Englisch oder Politik/Gesellschaftslehre stehen bei vielen Ausbildungsgängen fest auf dem Schulstundenplan. Das macht Sinn, weil Azubis im ersten Lehrjahr oft über eine sehr unterschiedliche Vorbildung verfügen und sich so Versäumnisse aus der Schulbildung zumindest teilweise ausgleichen lassen.
Duales System als Exportschlager
Die Vorteile der dualen Berufsausbildung werden auch außerhalb von Deutschland immer häufiger zur Kenntnis genommen. In Ländern wie Spanien, Griechenland, Portugal, Italien, der Slowakei und Lettland experimentiert man bereits mit diesem Ausbildungskonzept. Durch die Praxis in den Betrieben erhofft man sich nicht zuletzt eine Übernahme von Azubis in feste Beschäftigungsverhältnisse und damit eine Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit. Das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung berät mittlerweile weltweit viele Länder in Sachen duales Ausbildungssystem. Außerdem wird das System durch deutsche Unternehmen exportiert, die an ihren Auslandsstandorten auf eigene Faust dual ausbilden.
Doch bei all dem handelt es sich bisher eher um Einzelprojekte. Ein landesweites, flächendeckendes Angebot an dualen Ausbildungsmöglichkeiten gibt es bisher eben nur im deutschsprachigen Raum – also in Deutschland, Österreich und in der Schweiz – sowie in Luxemburg und Dänemark. In anderen Ländern erlernen die Azubis ihren Beruf dagegen entweder ausschließlich an Vollzeitberufsschulen (z. B. in Frankreich und Schweden) oder ausschließlich in Betrieben (z. B. in Ost- und Südeuropa und den USA).
Vom Mittelalter bis zur Industrialisierung
Aber auch in Deutschland gibt es die duale Berufsausbildung noch gar nicht so lange. Richtig durchgesetzt hat sie sich eigentlich erst im 20. Jahrhundert. Unsere kaufmännischen und handwerklichen Ausbildungsberufe haben ihren Ursprung im Mittelalter, als auch die meisten Städte gegründet wurden und sich neben der traditionellen Landwirtschaft allmählich die bürgerliche Stadtwirtschaft entwickelte. Kaufmanns- und Handwerkerlehrlinge wurden damals ausschließlich innerhalb der Betriebe auf ihren Beruf vorbereitet. Sie besuchten also nebenbei keine Schule. Mehr noch: Viele Lehrlinge haben damals niemals eine Schule von innen gesehen, sie konnten häufig weder lesen und schreiben noch rechnen.
Eine Berufsausbildung zu machen, bedeutete anfangs also meist, dass der Lehrling sich durch reine Anschauung bemühte, die Fertigkeiten und Arbeitsweisen seiner Vorgesetzten zu imitieren. Dieses Konzept stieß aber an Grenzen als sich die Berufswelten durch technische und wissenschaftliche Erfindungen immer schneller zu verändern begannen. Etwa seit dem 17. Jahrhundert wurden daher mancherorts erste Fachschulen für Handwerker, Kaufleute, Baumeister und Bergleute gegründet. Es handelte sich dabei um freiwillige Angebote für Betriebe, die sich eine schulische Ausbildung ihrer Lehrlinge leisten konnten und wollten. In diesen Schulen wurden zum Beispiel Kenntnisse im technischen Zeichnen vermittelt.
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts veränderten sich in Deutschland die alten Berufswelten mit dem Einsetzen der Industrialisierung noch viel rascher und grundlegender. Dadurch wurde es endgültig unzeitgemäß, dass Lehrlinge ausschließlich das Wissen ihrer Meister übernahmen. Deshalb wurden damals immer häufiger so genannte berufliche Fortbildungsschulen gegründet, in denen man Auszubildende auch theoretisch schulte.
Gründung von Fortbildungsschulen
Die erste kaufmännische Fortbildungsschule entstand zum Beispiel 1818 in Gotha. Bis zu einem flächendeckenden Angebot in Deutschland sollte aber noch viel Zeit vergehen. Der Unterricht in diesen Privatschulen fand ein- bis zweimal pro Woche am Abend nach der Arbeit oder am Sonntag statt. Typische Fächer waren neben Zeichnen und Buchführung auch Deutsch und Rechnen. Zudem wurden in vielen Fortbildungsschulen aber auch Lehrinhalte aus der Volksschule wiederholt. Mit der Zeit entwickelte sich das vielerorts sogar zu ihrem Hauptanliegen. Erst im 20. Jahrhundert wurden die Lehrpläne wirklich konsequent auf überwiegend berufsspezifische Inhalte umgestellt. Zu Beginn der 1920er-Jahre setzte sich dann die Bezeichnung Berufsschule durch (statt Fortbildungsschule).
Einführung der Berufsschulpflicht
Der Besuch einer Fortbildungsschule war für Lehrlinge im 19. Jahrhundert nicht generell verpflichtend. Die Betriebe konnten frei entscheiden, ob sie ihre Azubis dort hinschicken wollten oder nicht. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde allerdings eine neue Reichsgewerbeordnung eingeführt. Diese sah unter anderem vor, dass Städte und Gemeinden staatliche Zuschüsse für die Neugründung von Fortbildungsschulen erhalten konnten. Wollten die Gemeinden dies nutzen, dann mussten sie im Gegenzug die staatliche Aufsicht über die Schulen akzeptieren und sie mussten auf ihrem Gebiet für Lehrlinge unter 18 Jahren eine Plicht zum Besuch der Fortbildungsschule einführen.
Eine allgemeine staatliche Berufsschulpflicht war das natürlich noch nicht. Diese wurde tatsächlich erst 1938 von den Nationalsozialisten eingeführt. Deren Gesetz sah erstmals eine dreijährige Berufsschulpflicht für alle Jugendlichen vor, die nicht mehr zur Volksschule oder auf eine andere höhere Schule gingen. Das betraf Jugendliche, die eine Lehre machten, aber auch arbeitslose Jugendliche.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die neugegründete Bundesrepublik Deutschland die Berufsschulpflicht aus dem Dritten Reich im Wesentlichen übernommen. Zwar gelten nicht in allen Bundesländern exakt dieselben Regeln, aber überwiegend ist es so, dass junge Menschen, die eine betriebliche Ausbildung machen, zumindest bis zum 21. Lebensjahr verpflichtet sind, parallel auch die Berufsschule zu besuchen. Organisatorisch ist das heute kein Problem mehr, da in Deutschland mittlerweile ein flächendeckendes Netz an Berufsschulen existiert.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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