Die Sommer werden immer heißer, und vor allem in Stadtgebieten staut sich die Hitze. Mehr Begrünung im öffentlichen Raum oder an Gebäuden würde für mehr Schatten und Frische sorgen, doch solche Maßnahmen sind oft teuer, (zeit-)aufwändig und zudem nicht überall realisierbar. Eine schnelle, flexible und vergleichsweise kostengünstige Verbesserung des Mikroklimas versprechen die „VERD“-Begrünungsmodule des Frankfurter Start-ups OMCC.
Das vertikale Begrünungssystem VERD besteht aus einfach zu installierenden Modulen mit bis zu 7 m hohen Pflanzensegeln, die im Sommer Schatten spenden und gleichzeitig Kohlendioxid binden. Als modulares Serienprodukt ist das System skalierbar und lässt sich flexibel an unterschiedliche Einsatzorte und Nutzungsszenarien anpassen – beispielsweise auf Straßen und Plätzen oder in Innenhöfen.
Temporäre Bepflanzung
Zu den Systembesonderheiten gehört, dass es kaum in die bestehende Infrastruktur eingreift und schnell, kostengünstig sowie flexibel an unterschiedlichsten Orten platzierbar ist. Auch Stadträume, in denen wegen hoher Bodenverdichtung oder begrenztem Wurzelraum keine Baumbepflanzung möglich ist, lassen sich mit VERD effektiv begrünen. Das System lässt sich zudem schnell wieder in seine Einzelteile zerlegen und woanders erneut aufbauen.

Ohnehin gehört es zur VERD-Philosophie, dass die Module nicht ganzjährig begrünt sind. Die mit biologisch abbaubaren Ranknetzen aus Flachs bespannten Pflanzensegel, die in eine sturmsichere modulare Leichtbaukonstruktion gespannt sind, werden im Frühjahr „gehisst“ und mit schnellwachsenden Kletterpflanzen ausgestattet, die im Sommer Schatten spenden. Im Herbst, noch bevor die Blätter welken und fallen, werden Pflanzen und Netze wieder demontiert und als Biomasse zum Beispiel in Energie umgewandelt.
Getragen werden die temporären Pflanzensegel von bis 10 m hohen Leichtbau-Tragwerken aus Holz und Stahl. Als Fundament dient ein kreisförmiger Betonsockel, der auch als Sitzfläche nutzbar ist. Zumindest ist das so bei dem allerersten VERD-Modul, das nach Herstellerangaben noch dieses Jahr in Serienproduktion gehen soll.
OMCC weist darauf hin, dass durch die vertikale Bepflanzung nicht nur wohltuender Schatten entsteht. Auch die Umgebungstemperatur kühle herunter, Feinstaub werde reduziert, die Lärmbelastung gemindert und Kohlendioxid gespeichert. Zudem trage VERD positiv zur Biodiversität bei, da die Pflanzen eine Nahrungsquelle für Insekten bieten.
Start-up aus Frankfurt
Das vertikale Begrünungssystem ist eine Entwicklung des „Office for Micro Climate Cultivation“ (OMCC), in Zusammenarbeit mit dem Designer Stefan Diez und zahlreichen weiteren Partnern. Das Start-up mit Sitz in Frankfurt/Main wurde 2020 von zwei studierten Produktdesignerinnen gegründet. Nicola Stattmann war bereits zuvor selbstständig, zusammen mit ihrem Mann leitet sie das Label „Stattmann furniture“ für nachhaltige Massivholzmöbel. Carlotta Ludig, die zweite OMCC-Gründerin, hat nach ihrem Studium zunächst Berufserfahrungen bei Braun und Siemens gesammelt.

Die VERD-Module stellen nur geringe Anforderungen an ihren Aufstellungsort, und sie greifen, wenn überhaupt, nur minimal in den Boden ein. Dieser Eingriff betrifft das Betonfundament, nicht aber die Pflanzen selbst. Diese nämlich wurzeln in den von Stefan Diez entwickelten Pflanzgefäßen, die unterhalb der Ranknetze hängen und deren Einsatzhöhe variierbar ist. Standard ist eine Höhe von 3 m. Die länglichen, wellenartig geformten Pflanzschalen bestehen aus recyceltem Kunststoff und werden per 3D-Druck hergestellt.
Die Bepflanzung
Die Pflanzgefäße werden mit torffreiem Substrat sowie ausgewählten Samen und Setzlingen schnellwachsender Kletterpflanzen in Bioland-Qualität befüllt. Zur Ausführung dieser alljährlichen Arbeit bietet OMCC den so genannten „VERD-Service“ an, der im Frühjahr auch die Netzbespannung der Pflanzensegel sowie im Herbst den Rückbau der Grünflächen erledigt. Die Versorgung der Pflanzen mit Wasser erfolgt während der Wachstumsphase über ein automatisiertes Bewässerungssystem.
Zur Auswahl stehen unterschiedliche Kletterpflanzenarten. Die einen wachsen stark in die Höhe, andere bilden buschiges Grün aus. Einige blühen in besonders schönen Farben, andere wirken durch ihren Duft oder die Grüntöne der Blätter. Bei allen Varianten handelt es sich aber um schnellwüchsige Pflanzen, mit denen sich die kompletten Modulsegel über den Sommer flächig begrünen lassen. Manche Arten lassen sich auch untereinander kombinieren, was nicht nur die Biodiversität erhöht, sondern auch die Anfälligkeit für Krankheiten reduzieren kann.
Die saisonale Neubepflanzung erfordert zwar regelmäßige Arbeit, hat nach OMCC-Angaben im Vergleich zu mehrjährigen Pflanzen aber auch Vorteile. Zum einen benötigen einjährige Pflanzen vergleichsweise wenig Wurzelraum und es kommt nicht zur Verholzung der Stängel. Zum anderen entfallen durch die „Ernte“ im Herbst zusätzliche Aufwände für Rückschnitt und Laubbeseitigung.
Markteintritt und Prototypen
Mit dem offiziellen Markteintritt des vertikalen Begrünungssystems wollte OMCC im Herbst 2023 starten. In Entwicklung ist zudem bereits ein weiteres VERD-Modul, das zur Fassadenbegrünung und damit zur direkten Abkühlung von Gebäuden eingesetzt werden soll. Diese Variante wird dann mittels Erdschrauben zum Beispiel vor Bürogebäuden oder Industriehallen in den Boden verankert.

Das Fassadenmodul ist aber noch in der Planungsphase. Die freistehende Variante dagegen kann man bereits in der Realität bewundern. Hinter dem Frankfurter Senckenberg-Museum wurden dieses Jahr nämlich die ersten Prototypen aufgebaut.
Diese Module sind bereits Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN) erfasst die Insekten, die die Module besuchen, um ihren Einfluss auf die Biodiversität nachzuvollziehen. Außerdem hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) Messstationen an den Anlagen installiert, um Temperatur, Feuchtigkeit und Windstärke in unterschiedlichen Höhen zu messen und so das Mikroklima um die Anlagen herum zu untersuchen.