Umzugszeit ist Wandstreichzeit. Klassiker ist hier der weiße Anstrich auf Raufaser-Tapete mit Innenwandfarben aus dem Baumarkt. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um so genannte Dispersionsfarben, auch wenn dieser Begriff auf den Farbeimern in der Regel nur im Kleingedruckten zu finden ist. Doch was zeichnet Dispersionsfarben eigentlich aus, und warum kommen sie so häufig zum Einsatz?
Die meisten Menschen haben wohl schon mal einen Eimer Wandfarbe nach Hause getragen. Manche wählen die günstigen Handelsmarken der Baumärkte, viele schwören aber auch auf die etwas teurere Markenware – also zum Beispiel auf „Alpinaweiß“, der nach Herstellerangaben meistgekauften Innenfarbe Europas. Es gibt große Qualitätsunterschiede, aber auch eine Gemeinsamkeit: Bei den meisten Baumarkt-Wandfarben nämlich kommt als Bindemittel eine Kunstharzdispersion nach DIN 55 94 zum Einsatz.
Viele Vorteile
Verglichen mit Naturfarben oder Mineralfarben sind die kunstharzgebundenen Anstrichmittel üblicherweise deutlich günstiger, was sicher einen Teil ihrer Attraktivität beim Kunden erklärt. Noch bedeutender dürfte sein, dass Dispersionsfarben besonders leicht und sicher zu verarbeiten sind. Man kann sie direkt aus dem Eimer heraus anwenden. Zumindest Qualitätsprodukte überzeugen zudem durch eine hohe Deckkraft. Meist genügt ein einzelner Anstrich. Das spart Arbeitszeit.

Außerdem ist die Farbe bereits nach etwa vier Stunden trocken. Das ermöglicht einen schnellen Einzug. Gerade im Mietwohnungsbereich ist das ein großer Vorteil. Zumal sich mit Dispersionsanstrichen auch schwierige Altfarben-Untergründe in der Regel relativ leicht überstreichen lassen. Die Farben haften zudem nicht nur auf Tapeten, sondern sind auch auf den meisten anderen Untergründen problemlos einsetzbar – sowohl an der Wand als auch an der Decke. Mitunter ist zuvor eine Grundierung erforderlich, etwa bei Gipskartonplatten.
Der Klassiker unter den Dispersionsfarben ist die weiße Wandfarbe, doch lassen sich die Anstrichmittel auch in vielen anderen Farben abtönen. Das Sortiment reicht zudem von matten bis hin zu glänzenden Anstrichen, wobei die glänzende Variante meist besonders widerstandsfähig gegen Wasser ist. Apropos Wasser: Dispersionsfarben werden in verschiedenen Nassabriebklassen angeboten. Das Spektrum reicht von Anstrichen, die man problemlos mit Wasser und einer Bürste reinigen kann, bis hin zu Farbbeschichtungen, die eher empfindlich auf Feuchtigkeit reagieren.
Der Variantenreichtum der Marktprodukte bedeutet zugleich, dass sich manche Eigenschaften bestimmter Dispersionsfarben nicht verallgemeinern lassen. Es gibt qualitativ hochwertige und weniger empfehlenswerte Produkte. Die Unterschiede in Sachen Deckkraft oder Farbintensität können beträchtlich sein. Es gibt Farben mit und ohne Konservierungsmittel oder Biozide.
Vergleich zu Mineralfarben
Der Vorteil der leichten Verarbeitbarkeit wird noch deutlicher, wenn man Dispersionsfarben mit reinen Mineralfarben, zum Beispiel auf Kalk- oder Silikatbasis, vergleicht. Solche Anstriche haben den Vorteil, dass sie besonders diffusionsoffen und schimmelresistent sind. Dispersionsfarben sind dagegen in der Regel weniger diffusionsoffen und anfälliger gegen Schimmelbefall. Eine regelmäßige Raumbelüftung ist daher noch wichtiger.

Dafür sind die klassischen Mineralanstriche aber komplizierter in der Anwendung und eignen sich daher eher für Verarbeiter-Profis. Reine Kalkfarben etwa sind im flüssigen Zustand relativ ätzend und sollten deshalb nur mit Handschuhen und Schutzbrille verarbeitet werden. Da sie zudem sehr schnell trocknen, ist es viel schwieriger, eine glatte, abriebfeste Oberfläche zu realisieren. Weitere Infos dazu bietet unser Beitrag „Vor- und Nachteile von Kalkfarben“.
Auch rein mineralische Silikatfarben sind aufwändiger in der Verarbeitung als Dispersionsfarben. Es handelt sich um zweikomponentige Produkte, die man vor dem Gebrauch erst einmal mischen muss. Vor allem aber sind Silikatfarben nur auf saugfähigen mineralischen Untergründen verwendbar – also zum Beispiel auf Beton, Kalksandstein oder anderen Mauerwerksteinen. Ein direktes Überstreichen von Tapeten ist dagegen nicht möglich. Mehr zu den Einsatzbereichen verrät unser Beitrag „Was ist Silikatfarbe?“.
Um die Anwendungsnachteile von Mineralfarben auszugleichen, bieten die meisten Hersteller mittlerweile auch so genannte Dispersions-Kalkfarben beziehungsweise einkomponentige Dispersions-Silikatfarben an. Solche gebrauchsfertigen „Zwitterprodukte“ verbinden das Produktversprechen von Mineralfarben – ein besseres Raumklima durch Diffusionsoffenheit und Schimmelresistenz – mit einer besseren Verarbeitbarkeit. Dafür enthalten diese Produkte aber zumindest geringe Mengen an organischen Kunstharzen.
Woraus bestehen Dispersionsfarben?
Dispersionsfarben sind wasserbasierte Farben. Das Besondere: Die Inhaltstoffe sind nicht im Wasser gelöst, sondern nur fein in diesem verteilt. Daher die Bezeichnung Dispersion. Darunter versteht man in der Chemie ein Gemisch aus Stoffen, die sich kaum ineinander lösen. Bei den fein verteilten Stoffen handelt es sich außer dem Kunstharz-Bindemittel um die Farbpigmente sowie Füll- und Zusatzstoffe. Bei weißer Farbe kommt oft Titandioxid als farbgebendes Pigment zum Einsatz.

Auch Konservierungsmittel und Biozide sind offenbar bei vielen Dispersionsfarben Standard, um die Haltbarkeit der unverarbeiteten Farbe zu erhöhen beziehungsweise die Schimmelanfälligkeit zu verringern. Für Allergiker kann das unter Umständen problematisch sein. Allerdings verzichten auch viele Hersteller auf Biozide, indem sie ihre Farben stattdessen mit mineralischen Zusatzstoffen anreichern. Mögliche Konservierungsmittel werden übrigens in den Produktdeklarationen der Hersteller nicht immer ausgewiesen. Es kann zum Beispiel sein, dass das angegebene Bindemittel bereits Konservierungsmittel enthält.
Eine Sonderform der Dispersionsfarben sind Latexfarben. Diese sind besonders wasser- und schmutzabweisend sowie abriebfest. Deshalb verwendet man sie häufig in Badezimmern und Küchen oder in sonstigen Bereichen mit hoher Wandbeanspruchung. Früher enthielten Latexfarben tatsächlich Latex – den Milchsaft des Kautschukbaumes – als Bindemittel. Heute wird dieser Rohstoff in der Regel durch Kunstharze ersetzt. Deshalb gehört Latexfarbe zu den Dispersionsfarben. Latexfarben haben sogar einen besonders hohen Kunstharzanteil. Eben das macht sie so leicht verarbeitbar und widerstandsfähig.
Naturharz-Dispersionsfarben
Wir haben die ganze Zeit betont, dass alle Dispersionsfarben mehr oder weniger viel Kunstharz-Bindemittel enthalten. Nun aber müssen wir „gestehen“, dass es auch so genannte Naturharz-Dispersionsfarben gibt. Die Begrifflichkeiten in der Welt der Farben sind schon manchmal verwirrend! Auch bei den Naturharz-Dispersionsfarben handelt es sich um wasserbasierte Dispersionen. Statt synthetischem Kunstharz enthalten diese Produkte allerdings natürliche Pflanzenöle wie Leinöl oder Rizinusöl. Auch kommt in der Regel kein Titandioxid als Weißpigment zum Einsatz.
Anwendungsbereiche und Verarbeitbarkeit sind aber im Prinzip identisch wie bei den synthetischen Dispersionsanstrichen. Die alternativen Rohstoffe machen die Farben allerdings teurer. Nach Angaben der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) sind Naturharz-Dispersionsfarben die gebräuchlichsten Naturfarben im Wandbereich und auf allen mineralischen Untergründen und Tapeten einsetzbar.