Bis 2045 soll die Fernwärme in Deutschland CO₂-neutral sein. Dabei sollen Großwärmepumpen eine wichtige Rolle spielen. Sie nutzen Energie aus natürlichen Quellen wie der Luft, den Gewässern und dem Erdreich, aber zum Beispiel auch aus der Abwärme industrieller Prozesse. Aber was versteht man eigentlich unter Großwärmepumpen und wie groß ist ihr Potenzial in Deutschland?
Nach Angaben des Bundesverbands Wärmepumpe (BWP) unterscheidet sich die Funktionsweise von Großwärmepumpen grundsätzlich nicht von herkömmlichen Wärmepumpen für den häuslichen Gebrauch. Bei der Technik geht es immer darum, Niedertemperaturwärme aus der Umwelt (Luft, Erde, Gewässer) aufzunehmen und diese (unter Einsatz von elektrischem Strom) auf ein höheres Niveau anzuheben.
Großwärmepumpen (GWP) sind allerdings viel leistungsfähiger und können Wärme von deutlich höherer Temperatur zur Verfügung stellen. Ab einer gewissen Größe handelt es sich in der Regel nicht mehr um Serienprodukte, sondern um Sonderanfertigungen, die für die speziellen Bedürfnisse des jeweiligen Projekts extra angefertigt werden. Außerdem nutzen GWP neben Umweltwärme häufig auch Energiequellen wie Abwärme aus Industrieprozessen oder Rechenzentren.
Hohe Leistungsfähigkeit
Wärmepumpen für den Hausgebrauch stellen üblicherweise Wärme zwischen 30 °C und 100 °C (Hochtemperatur-Wärmepumpen) zur Verfügung. Damit lassen sich nicht nur Niedertemperatur-Flächenheizungen (Vorlauftemperatur: 30–40 °C), sondern auch herkömmliche Heizkörper – selbst in ungedämmten Altbauten – betreiben, und man kann Warmwasser aufbereiten.

Das Einsatzfeld von Großwärmepumpen geht weit darüber hinaus. Die Anlagen stellen üblicherweise Wärme bis 200 °C zur Verfügung, die sich in herkömmliche Fernwärmenetze einspeisen lässt, aber auch für industrielle Prozesse nutzbar ist. Die Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien (Fraunhofer IEG) weist darauf hin, dass heutige GWP in Verbindung mit Dampfkompressoren sogar schon Wärme bis 300 °C liefern. Auf diese Weise könne man die Verbrennung fossiler Energiequellen selbst bei Prozessen in der Metallverarbeitung oder in der Chemie-Branche ersetzen.
Ab wann ist eine Wärmepumpe eine Großwärmepumpe? Eine allgemeingültige Definition liegt dafür scheinbar noch nicht vor, gleichwohl wird die Trennlinie von vielen Experten bei Anlagen mit einer thermischen Leistung von 500 Kilowatt gezogen. Zum Vergleich: Herkömmliche Wärmepumpen für Einfamilienhäuser haben meist Leistungswerte um 15 Kilowatt.
Auch die Fraunhofer IEG arbeitet in ihrer Forschung mit der Definition, dass Wärmepumpen ab 500 Kilowatt Leistung Großwärmepumpen sind. Begründung: Ab dieser Größenordnung sind die Anlagen auch in Fernwärmenetzen oder für industrielle Anwendungen einsetzbar. Sie arbeiten dann typischerweise mit anderen Verdichter-Technologien als „normale“ Wärmepumpen.
Die derzeit größte Einzel-Großwärmepumpe hat übrigens eine Leistung von 70 Megawatt (70.000 Kilowatt) und läuft seit Ende 2024 in der dänischen Hafenstadt Esbjerg, wo sie über ein Fernwärmenetz etwa 100.000 Einwohner mit Wärme versorgt. Diese Rekord-GWP wurde übrigens vom deutschen Unternehmen MAN-Energy Solutions gebaut und läuft mit Meerwasser als Wärmequelle. Wie das Foto zeigt, handelt es sich bei dieser Größenordnung nicht mehr um eine Wärmepumpe im herkömmlichen Sinn, sondern um eine Anlage von industriellem Ausmaß.
Marktsituation in Deutschland
Wenn es um den Bau von GWP geht, sind deutsche Unternehmen also durchaus vorne mit dabei. Die Anzahl der Projekte im eigenen Land war lange Zeit aber eher überschaubar. Doch nach Angaben des Bundesverbands Wärmepumpe ist mittlerweile auch in Deutschland Bewegung in den Großwärmepumpen-Markt gekommen. Das Interesse an der Technik wachse „rasant“, der Ausbau gewinne „massiv an Dynamik“ – so der BWP Mitte Juni in einer Pressemitteilung.

Für die nächsten Jahre befinden sich nach Angaben des Verbands bereits Anlagen mit einer Gesamtleistung von über 900 Megawatt im Bau oder zumindest in Planung. Das würde eine Vervielfachung der aktuellen Kapazitäten bedeuten, die aktuell bei rund 180 Megawatt liegen. Deutschland hat bei der Technik allerdings auch Nachholbedarf. Während Länder wie Dänemark, Schweden oder die Schweiz seit Jahren massiv auf Großwärmepumpen setzen, habe Deutschland in den letzten Jahren wertvolle Zeit verloren – findet der BWP.
So seien etwa in Dänemark bereits 178 Anlagen mit über 580 Megawatt im Betrieb. Das ist mehr als dreimal so viel wie in Deutschland – trotz der um fast 90 % kleineren Fläche des Nachbarlandes. Ein Hauptgrund für das hierzulande langsamere Tempo ist die Bürokratie – konkreter gesagt: uneinheitliche und lange Genehmigungsprozesse für Großwärmepumpen. „Viele Projekte verzögern sich wegen regulatorischer Unsicherheiten oder könnten schlimmstenfalls ganz abgesagt werden“, befürchtet BWP-Geschäftsführer Dr. Martin Sabel. Der Branchenverband fordert daher vereinfachte Verfahren sowie eine bessere und verlässlichere Förderung.
Flusswasser als Wärmequelle
Ähnlich wie in Dänemark könnten künftig auch in Deutschland Oberflächengewässer eine wichtige Umweltwärme für Großwärmepumpen werden – insbesondere Flusswasser. Laut Bundesverband Wärmepumpe wird bereits bei mehr als 50 % der hierzulande geplanten oder in Bau befindlichen Projekte auf dieses thermische Potenzial gesetzt.

Doch fehle es bislang an einheitlichen Regelungen für die Rückführung von abgekühltem Wasser. „Gerade in den Sommermonaten kann die Nutzung von Flüssen als Wärmquelle durch die Abkühlung überhitzter Gewässer neben der energetischen auch eine ökologische Funktion erfüllen“, meint Verbands-Geschäftsführer Sabel. „Wir fordern daher einen zügigen, bundesweit abgestimmten Konsultationsprozess, um praxisnahe Rahmenbedingungen und Planungssicherheit zu schaffen.“
Dass die Nutzung von Flusswasser für Großwärmepumpen jedoch selbst in Deutschland keine Utopie mehr ist, zeigt ein Projekt in Köln. Der dortige Energieversorger Rhein-Energie plant die Dekarbonisierung seines Fernwärmenetzes für die Innenstadt und den Stadtteil Deutz durch den Bau einer gewaltigen Großwärmepumpe mit einer Gesamtleistung von 150 Megawatt. Die Anlage am Niehler Hafen soll voraussichtlich Ende 2027 in Betrieb gehen und etwa 50.000 Haushalte mit klimaneutraler Wärme versorgen.
Auch das Kölner Großprojekt wird übrigens von MAN Energy Solutions realisiert. Das Investitionsvolumen liegt bei 280 Mio. Euro. Die GWP wird Rheinwasser als Energiequelle nutzen und soll mit einem natürlichen Kältemittel in einem geschlossenen Kreislauf arbeiten. Die Wärmepumpe soll die thermische Wärme des Flusswassers auf bis zu 110 °C anheben und so die Anforderungen des Kölner Fernwärmenetzes erfüllen.
Potenzial für Fernwärme
Großwärmepumpen werden künftig vor allem dazu beitragen, Fernwärme umweltfreundlicher zu machen. Zur Erinnerung: Bisher stammt ein Großteil der Wärme aus Kohlekraftwerken, die Kraft-Wärme-Kopplung betreiben und dadurch zugleich Strom und Wärme erzeugen. In Deutschland ist der Kohleausstieg bis 2038 geplant. Wenn das gelingt, steht nicht nur der bisherige Kohlestrom, sondern auch ein erheblicher Teil der bisherigen Fernwärme nicht mehr zur Verfügung. Zusätzlicher Handlungsdruck entsteht durch das Klimaschutzgesetz, demzufolge das deutsche Fernwärmenetz bis 2045 CO₂-neutral sein muss.
Aber reichen Umweltwärme beziehungsweise Abwärme aus Industrieprozessen und Rechenzentren wirklich aus, um in Kombination mit Großwärmepumpen die Kapazität der bisherigen Fernwärmenetze aufrecht zu erhalten beziehungsweise sogar zu steigern? Im seit 2021 laufenden Forschungsprojekt „FernWP – Fern- und Prozesswärmeversorgung durch Wärmepumpen als Ersatz der Kohleverbrennung“ wird genau das untersucht.
Beim „FernWP“-Projekt hat ein Forschungsteam unter Leitung der Fraunhofer IEG acht deutsche Kohlekraftwerksstandorte genauer analysiert. Die Frage war, ob vor Ort langfristig genügend ergiebige natürliche Wärmequellen existieren, um das bisherige Fernwärmeangebot aus Kohleverbrennung zu ersetzen. Ergebnis: Die vor Ort verfügbare Niedertemperatur-Umweltwärme könne den Fernwärmebedarf zumindest anteilig decken – an manchen Kraftwerksstandorten sogar komplett.
Zu einer vielleicht sogar noch optimistischeren Einschätzung gelangt die Studie „Roll-out von Großwärmepumpen in Deutschland“, die im Juni 2023 von Agora Energiewende veröffentlicht wurde. Nach Angaben des Agora-Teams ist es technisch grundsätzlich möglich, die gesamte deutsche Wärmenachfrage bis 200 °C vollständig auch durch Wärmepumpen abzudecken. 2045 könnten Großwärmepumpen bis zu 70 % der Fernwärmeversorgung in Deutschland sicherstellen – prognostiziert Agora Energiewende.
Großwärmepumpen-Infoportal
Umfangreiche Informationen zum Thema bietet auch das neue Großwärmepumpen-Infoportal, das die Fraunhofer IEG im Auftrag der Landes-Energie-Agentur Hessen erstellt hat. Über die Website können Kommunen und Unternehmen neben allgemeinen Informationen zur Technik auch passende Produkte und Technologieanbieter sowie Best-Practice-Beispiele finden.
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Der BaustoffWissen-Newsletter bringt Sie thematisch immer auf den neuesten Stand. Sie erhalten die Branchen-News dann zwei Mal monatlich.
Das Herzstück des Portals bildet eine Datenbank, die detaillierte Informationen zu am Markt verfügbaren Großwärmepumpen und Herstellern bereitstellt. Vielfältige Filteroptionen – unter anderem für Leistungsbereich, Temperaturbereich und Kältemittelkategorie – ermöglichen eine gezielte Produktsuche für kommende Betreiber.
Zudem liefert die Datenbank Einblicke in geplante und umgesetzte Projekte in Deutschland. Ergänzt wird das Angebot durch vertiefende Informationen zu Technologien, Kältemittelauswahl und Verschaltungsvarianten sowie durch einen integrierten Wirkungsgrad-Rechner, der die Effizienz verschiedener Systeme vergleichbar macht.