Die riesigen, aber relativ leichten hölzernen Viertelschalen lassen sich mit einem herkömmlichen Kran auf der Baustelle bewegen. (Quelle: Fraunhofer WKI / Malte Mérono)

Plus 2024-05-22T08:00:00Z Weltweit höchster Windkraft-Holzturm

Nahe der schwedischen Stadt Skara wurde Anfang März der weltweit höchste Holzturm für Windkraftanlagen eingeweiht. Der „Wind of Change Tower“ kommt inklusive Windkraftanlage auf eine Gesamthöhe von 150 m. Der Holzturm selbst ragt knapp 105 m in den Himmel und ist damit der höchste seiner Art. Er besteht aus verklebten Furnierschichtholz-Platten. Im Vergleich zu konventionellen Windkraftanlagen aus Beton oder Stahl ermöglicht diese Holzbauweise CO2-Einsparungen von bis zu 90 %.

Der Wind of Change Tower gehört dem örtlichen Energieanbieter Varberg Energi und wurde am 4. März offiziell eingeweiht. Die inklusive Anlagentechnologie und Rotorblätter rund 45 m hohe Windkraftanlage stammt von der auch im deutschen Markt aktiven dänischen Vestas-Gruppe.

Der innen hohle Holzturm dagegen wurde vor Ort aus Einzelmodulen zusammengebaut, die der schwedische Windkraftturmentwickler Modvion aus Göteborg fertigte. Bei der Verklebung der Einzelmodule ließ sich das Unternehmen von Forschenden des Braunschweiger Fraunhofer-Institut für Holzforschung (Fraunhofer WKI) beraten.

Vorgefertigte Einzelmodule

Bei den vorgefertigten Einzelmodulen handelt es sich um bis zu 14 m lange Viertelschalen aus Furnierschichtholz. Bei der Nutzung dieses Materials arbeitet Modvion seit 2016 mit dem finnischen Holzwerkstoff-Produzenten Metsä Wood zusammen. Metsä Wood beliefert Modvion mit Furnierschichtholz, das dann in den Windkrafttürmen des Unternehmens aus Göteborg zum Einsatz kommt.

Der neue Turm bei Skara ist bis zur Rotornabe knapp 105 m hoch. (Quelle: Modvion)

Die gebogenen Viertelschalen stellt Modvion aus dem Metsä-Produkt „Kerto LVL“ her. Die Abkürzung LVL steht für „Laminated Veneer Lumber“ – die englische Bezeichnung für Furnierschichtholz. Kerto LVL ist ein Holzwerkstoff von sehr hoher Festigkeit. Das erlaubt den Bau von sehr tragfähigen und zugleich relativ schlanken Turmrohrwänden. Leichte Türme haben den Vorteil, dass man die Stahlbewehrung in den Betonfundamenten kleiner dimensionieren kann.

Für die Errichtung des Turms in Skara wurden zunächst je vier der angelieferten Viertelschalen miteinander verklebt. Dadurch entstanden einzelne Zylinder, die man in einem zweiten Schritt aufeinandersetzen und mithilfe von Stahlblechen fest verbinden konnte. „Für die Umsetzung des Konzepts von Modvion AB ist das Kleben der Module auf der Baustelle unabdingbar und erfordert ein hohes Maß an Know-how, Vorbereitung sowie Eigenkontrolle“, erläutert Malte Mérono vom Fraunhofer WKI. Ein Projektteam seines Instituts hat den Windkraftturmentwickler daher bei allen klebtechnischen Fragen beraten und die Klebungen auch auf der Baustelle begutachtet.

Viele Vorteile

Für die Modvion-Windkrafttürme mit dem Metsä-Furnierschichtholz hat das Forschungsinstitut RISE (Research Institutes of Sweden) eine Lebenszyklusanalyse durchgeführt. Demnach werden bei einem 110 m hohen LVL-Windkraftturm Holz 90 % weniger Treibhausgase freigesetzt als bei einem entsprechenden Stahlturm. Berücksichtigt man zudem, dass Holz Kohlenstoff speichert, wird der Turm laut einer Metsä-Pressemitteilung sogar kohlenstoffnegativ, da er mehr CO2 bindet, als er bei der Herstellung emittiert.

Blick ins Innere des „Wind of Change Tower“. (Quelle: Modvion)

Windkrafttürme – egal ob aus Stahl oder Holz – sind im Inneren im Wesentlichen leer. Um die gleiche Festigkeit zu erreichen, muss man Turmwände aus Furnierschichtholz zwar dicker dimensionieren als es bei herkömmlichen Stahltürmen der Fall ist, jedoch nicht so dick, dass der Turm dadurch schwerer würde. Im Gegenteil: In der Regel sind Holztürme leichter als gleiche hohe Stahltürme.

Bei gleichem Gewicht sind Konstruktionen aus Furnierschichtholz fester als Stahlbauteile. Hohe Stahltürme müssen zudem verstärkt werden, Holztürme dagegen nicht. Vorteile ergeben sich ferner beim Thema Wartung: Bei Stahltürmen sind die zahlreichen Schrauben und Bolzen regelmäßig zu überprüfen, bei geklebten Holzkonstruktionen entfällt dies.

Je höher Windkrafttürme werden sollen, desto herausfordernder wird der Transport ihrer Einzelteile zur Baustelle. Ihr enormes Gewicht verschlingt viel Transportenergie, außerdem werden Brücken und Unterführungen zu Hindernissen und müssen bedacht werden. Auch hier punktet das Modvion-System. Die vergleichsweise kleinen und relativ leichten Einzelmodule sind gut stapelbar und lassen sich mit herkömmlichen Lkw transportieren. Für die Montage vor Ort genügt ein herkömmlicher Kran.

Was ist Furnierschichtholz?

Furnierschichtholz ist ein aus verleimten Furnieren hergestellter Holzwerkstoff, der im konstruktiven Holzbau bereits vielfältig zum Einsatz kommt. Angeboten werden sowohl stab- als auch plattenförmige Produkte. Typische Einsatzbereiche für die stabförmige Variante sind zum Beispiel Träger, Stützen, Dachsparren und Deckenbalken. Plattenförmiges Furnierschichtholz verwendet man unter anderem für aussteifende Wandschalungen, für aussteifende oder auch tragende Dach- und Deckenschalungen sowie für Dachüberstände.

Die Viertelschalen werden im Werk aus Furnierschichtholz gefertigt. (Quelle: Modvion)

Furnierschichtholz besteht aus 3 mm bis maximal 6 mm dicken Schälfurnieren, die mit Phenolharz so verklebt werden, dass die Holzfasern der Furniere überwiegend parallel verlaufen. Schälfurniere sind einfache, optisch nicht besonders edle Furniere, die man durch Schälen von Rundhölzern gewinnt. Der Aufbau aus einer Vielzahl dünner, fest miteinander verleimter Furnierblätter sorgt dafür, dass Furnierschichtholz ein besonders formstabiler Holzwerkstoff ist. Seine Druck-, Zug- und Biegefestigkeit übertrifft die von herkömmlichem Vollholz bei Weitem.

In Sachen Brandschutz schneidet massives Furnierschichtholz übrigens nicht schlechter ab als die dünnen Stahlwände, die bei herkömmlichen Windkrafttürmen zum Einsatz kommen. Der Stahl wird bei hohen Temperaturen schnell weich, der Holzwerkstoff dagegen verkohlt zunächst nur auf der brandzugewandten Seite. Die Verkohlungsschicht zögert das weitere Abbrennen lange Zeit hinaus. So kommt es, dass massive Holzbauteile im Brandfall oft standfester sind als nicht entflammbare (aber schmelzende) Stahlbauteile.

Neue Höhenrekorde erwartbar

Den ersten Prototyp seines Turmkonzepts hat Modvion übrigens 2020 auf der schwedischen Insel Björkö errichtet. Der dortige hölzerne Windkraftturm ist 30 m hoch. Dass nun bei Skara ein über 100 m hoher Holzturm gelang, verdeutlicht die dynamische Entwicklung der Technik.

Aus den Einzelmodulen entstehen runde Zylinder, die sich zum Turm aufstapeln lassen. (Quelle: Modvion)

Damit scheint das Ende der Fahnenstange aber noch lange nicht erreicht. Modvion rechnet schon ab 2027 mit Turmhöhen bis zu 170 m, da die Anlagen mit zunehmender Höhe einfach effektiver bei der Erfassung der Windenergie seien. Am Werkstoff Furnierschichtholz scheint der „Höhenrausch“ jedenfalls nicht zu scheitern. Nach Angaben des Windkraftturmentwicklers sind mit dem modularen System sogar Holztürme bis 200 m Höhe möglich – gemeint ist hier die Höhe bis zur Rotornabe der Windkraftanlage. Die Vorteile von Holz gegenüber Stahl seien bei wachsender Höhe sogar noch größer.

Modvion plant künftig sogar Holztürme im Offshore-Bereich – also auf hoher See. Die dortige Feuchtigkeitsbelastung scheint kein Problem, denn die Furnierschichtholz-Wände aller Modvion-Windkrafttürme werden von außen mit einer dicken, wasserdichten Farbe beschichtet. Die Nutzungsphase seiner Türme schätzt Modvion übrigens auf 25 bis 30 Jahre. Nach Angaben des Fraunhofer WKI lassen sich die Einzelkomponenten dann demontieren und für weitere Anwendungen trennen. Die Turmwand-Module seien beispielsweise als hochbelastbarer Träger in der Bauindustrie wiederverwendbar.

Dieser Text ist eine Aktualisierung des Beitrags „Windräder aus Holz“ von Juni 2023

zuletzt editiert am 22. Mai 2024