Deutschlands braucht mehr Wohnbau. Der klassische Neubau auf neuem Bauland ist mittlerweile aber so teuer, dass kaum noch bezahlbarer Wohnraum entsteht. Eine Alternative wären Nachverdichtungen auf bereits bebauten Grundstücken. Auf diese Weise könnte man neue Wohnungen schneller und günstiger realisieren. Eine aktuelle Studie sieht ein theoretisches Nachverdichtungspotenzial von 625.000 Wohnungen.
„Rentabel und zugleich bezahlbar zu bauen ist unter den momentanen Rahmenbedingungen häufig nur mit enormen Anstrengungen machbar“, weiß Sascha Klaus, Vorstandsvorsitzender des gewerblichen Immobilienfinanzierers Berlin Hyp AG. „Daher gilt es jetzt umso mehr, verschiedenartige Lösungsansätze für eine Entspannung des Wohnungsmarktes zu prüfen und dabei auch vermeintliche Randdisziplinen wie die Nachverdichtung in den Blick zu nehmen.“
Potenzial von 625.000 Geschosswohnungen
Um die Chancen für den Mietwohnungsmarkt durch Nachverdichtungen konkreter zu beziffern, hat die Berlin Hyp die Kurzstudie „Nachverdichtung: Wieviel Potenzial steckt in den Wohnsiedlungen der 1950er und 1960er Jahre?“ in Auftrag gegeben. Sie wurde von der Unternehmensberatung Bulwiengesa erarbeitet und im August 2024 veröffentlicht.

Der Fokus der Untersuchung lag auf Mehrfamilienhäusern in Wohnquartieren aus den 1950er- und 1960er-Jahren, weil dort offenbar ein besonders großes Potenzial für Nachverdichtungen besteht. Denn Nachverdichtung bedeutet Neubau von Wohngebäuden auf bereits bebauten Grundstücken, die über geeignete Freiflächen verfügen. Zwischen 1949 und 1968 wurden hierzulande knapp 6,8 Mio. Wohnungen gebaut, und viele der Siedlungen entstanden am damaligen Stadtrand. Aufgrund dieser Lage, aber auch weil man damals auf geringere Baudichten wert legte, sind sie oft bis heute mit großzügigen Frei- und Grünflächen versehen. Das prädestiniert diese Siedlungen für Nachverdichtungen.
„Konkret könnten nach unseren Berechnungen deutschlandweit etwa 625.000 Geschosswohnungen an nachgefragten Standorten im Rahmen von Nachverdichtungsmaßnahmen gebaut werden“, fasst Bulwiengesa-Mitarbeiter André Adami das zentrale Ergebnis der Studie zusammen. „Wenn auch nur ein Teil dieses Potenzials für den Wohnungsneubau ausgeschöpft würde, wäre das bereits ein signifikanter Beitrag zur Erhöhung des Wohnraumangebots.“
Baustoff-Fachwissen verständlich erklärt: Jetzt Newsletter abonnieren!
Der BaustoffWissen-Newsletter bringt Sie thematisch immer auf den neuesten Stand. Sie erhalten die Branchen-News dann zwei Mal monatlich.
Die Zahl 625.000 ist ein geschätztes Potenzial, das auf bestimmten Annahmen basiert. So hat Bulwiengesa nur solche zwischen 1949 und 1968 bebaute Grundstücke berücksichtigt, die sich im Besitz von kommunalen Wohnungsunternehmen, Genossenschaften oder privaten Wohnungsgesellschaften befinden. Warum? Weil derzeit nur diese Eigentümer finanziell und organisatorisch in der Lage seien, Neubauten zu realisieren. Außerdem wurden nur Flächen in wachsenden Regionen und Städten berücksichtigt, die eine hohe Wohnungsnachfrage aufweisen und sich auch deshalb für Nachverdichtungen anbieten.
Günstiger und schneller
Die Vorteile der Wohnraumschaffung durch Nachverdichtung liegen auf der Hand: Man spart Kosten, weil die Grundstücke bereits erschlossen sind, und man spart Zeit, weil die Genehmigungsverfahren kürzer sind und natürlich auch, weil Erschließungskosten für zum Beispiel Versorgungsleitungen sowie Straßen und Wege in der Regel deutlich niedriger liegen als bei noch völlig ungenutztem Bauland.
Um die Vor- und Nachteile von Nachverdichtungsmaßnahmen zu ermitteln, haben die Autoren der Studie unter anderem ein Experteninterview mit dem kommunalen Berliner Wohnungsunternehmen Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft mbH geführt. Dessen Geschäftsführer Ingo Malter bestätigt: „Nachverdichtungen haben insofern einen hohen Stellenwert, als hier in der Regel nach §34 des Baugesetzbuches gebaut werden kann, was im Gegensatz zur vorhergehenden Entwicklung eines Bebauungsplanes deutliche Zeitvorteile bringt. Durch bereits vorhandene Grundstücke reduzieren sich die Finanzierungskosten teilweise erheblich.“
Bisher wird das Potenzial von Nachverdichtungen aber noch zu selten ausgeschöpft. „Der Anteil der Finanzierungen für Nachverdichtungsprojekte ist zurzeit trotz vieler erkennbarer Vorteile noch überschaubar“, räumt Sascha Klaus von der Berlin Hyp ein. „Bestandshalter sollten daher intensiv prüfen, ob es in ihrem Portfolio nicht vielleicht doch noch ungenutzte Potenziale gibt, die ein wirtschaftliches Bauen an Standorten mit bereits vorhandener Infrastruktur ermöglichen und so einen kleinen Beitrag zur Entlastung des Wohnungsmarktes leisten.“
Nachteile für Bestandsmieter
Für die Bestandsmieter der betroffenen Siedlungen haben Nachverdichtungen natürlich auch Nachteile: vom vorübergehenden Baulärm über den Verlust von Grünflächen oder auch Parkplätzen bis hin zu mehr Verschattung und weniger Privatsphäre.

„Die wesentliche Herausforderung bei solchen Projekten liegt in der Kommunikation mit der angestammten Nachbarschaft“, erläutert Ingo Malter vom oben genannten Berliner Wohnungsunternehmen. „Dabei kommt es aus Sicht der etablierten Nachbarinnen und Nachbarn nicht immer zu befriedigenden Lösungen, sodass wir in einem gewissen Dilemma zwischen Kundenzufriedenheit und Schaffung von dringend erforderlichem Wohnraum stehen.“
Freilich können Bestandsmieter auch vom Neubau profitieren: etwa durch eine Qualitätssteigerung ihres Quartiers und durch das breitere Wohnungsangebot in unmittelbarer Nähe. Ingo Malter: „Manchmal gelingt es, durch gleichzeitige Sanierung der Altbestände – wenn erforderlich – und Schaffung von Versorgungsangeboten, wie zum Beispiel Einkaufsmöglichkeiten, Arztpraxen oder Kitas, die Akzeptanz in der Nachbarschaft zu erhöhen.“