
Wände aus Mauerziegeln bieten in vielen Fällen einen Feuerwiderstand von mindestens 90 Minuten. Foto: Unipor
Erklärt: Feuerwiderstandsklassen
Im Beitrag über das Brandverhalten von Baustoffen haben wir bereits das System der Baustoffklassen erläutert. Allerdings beziehen sich die in den Landesbauordnungen definierten Brandschutzanforderungen an Gebäude in vielen Fällen gar nicht auf das Brandverhalten einzelner Baustoffe, sondern auf den „Feuerwiderstand“ ganzer Bauteile. Folgerichtig werden in der nationalen Brandschutznorm DIN 4102 und in der europäischen DIN EN 13501 neben den Baustoffklassen auch Feuerwiderstandsklassen beschrieben.
Die Feuerwiderstandsklassen geben an, wie viele Minuten ein Bauteil – zum Beispiel eine Wand, eine Decke oder ein Dach – einem Feuer standhält. Eine Wand der Feuerwiderstandsklasse F30 kann nach DIN 4102 mindestens 30 Minuten brennen, ohne dass sie wesentliche Funktionseigenschaften verliert. Während dieser Zeitspanne muss die Tragfähigkeit gesichert sein und die Wärmedämmung so gut funktionieren, dass die Oberflächentemperatur auf der vom Feuer abgewandten Bauteilseite nicht steigt. Außerdem muss der so genannte Raumabschluss gewährleistet bleiben. Dies ist der Fall, solange das Bauteil das Durchdringen von Flammen und heißen Gasen verhindert.
Brandverhalten und Feuerwiderstand
Baustoffklassen (Brandverhalten) und Feuerwiderstandsklassen beschreiben übrigens völlig unterschiedliche Eigenschaften. Auf der einen Seite geht es um die Frage, ob ein Baustoff überhaupt brennt – und wenn ja, ob er leicht oder schwer entflammbar ist. Auf der anderen Seite geht es um die Minutenanzahl, die ein Gebäudeteil den Flammen standhält.
Der Unterschied gilt auch für Bauteile, die nur aus einem einzigen Baustoff bestehen. Nehmen wir zum Beispiel eine Wand aus Holz. Hier ist der Baustoff zwar brennbar, aber seine Oberfläche verkohlt im Zuge der Beflammung, und dadurch wird das weitere Abbrennen stark verzögert. Somit kann das Material im Brandfall unter Umständen länger tragfähig bleiben als bei Verwendung von Baustoffen, die schwer oder gar nicht entflammbar sind. Stahl ist zum Beispiel ein nicht brennbarer Baustoff, der jedoch bei großer Hitze schmilzt und dann sehr schnell seine Tragfähigkeit verliert. Manche sehen darin den Hauptgrund für den kompletten Einsturz der Türme des World Trade Centers nach den Terroranschlägen von 2001.
Feuerwiderstandsklassen nach DIN 4102

In der Praxis wird die Feuerwiderstandsdauer von Bauteilen zum Glück selten getestet – meist ist die Feuerwehr schnell vor Ort. Foto: Fachverband WDVS
In der DIN 4102 werden insgesamt fünf Feuerwiderstandsklassen unterschieden:
- F30 (feuerhemmend): Feuerwiderstandsdauer von mindestens 30 Minuten,
- F60 (hochfeuerhemmend): mindestens 60 Minuten,
- F90 (feuerbeständig): mindestens 90 Minuten,
- F120 (hochfeuerbeständig): mindestens 120 Minuten,
- F180 (höchstfeuerbeständig): mindestens 180 Minuten.
Bei Brandprüfungen gilt der Feuerwiderstand des Bauteils als „gebrochen“, wenn nur einer der drei bereits oben genannten Kriterien nicht mehr zutrifft: Tragfähigkeit, Raumabschluss oder Wärmedämmung. Diese relativ einfache Klassifizierung ist in Deutschland nach wie vor die Standardnorm für die Baupraxis. Da die Geltungsdauer der vertrauten DIN 4102 bis heute nicht begrenzt wurde, wird hierzulande bisher kaum mit den komplexeren Feuerwiderstandsklassen gearbeitet, die in der DIN EN 13501 beschrieben werden.
Weitere Informationen zu Brandschutzklassen finden Sie hier:
Feuerwiderstandsklassen nach DIN EN 13501
Bei der Feuerwiderstandsdauer unterscheidet die europäische DIN EN 13501 nicht fünf, sondern gleich neun Zeiten: 15, 20, 30, 45, 60, 90, 120, 180 und 240 Minuten. Mit den Minuten ist es aber nicht getan. Die DIN EN 13501definiert zusätzlich fünf Leistungskriterien für Bauteile, mit denen das Ausmaß der Feuerwiderstandsfähigkeit näher bestimmt werden kann:
- Tragfähigkeit R (Résistance),
- Raumabschluss E (Étanchéité),
- Wärmedämmung I (Isolation),
- Strahlungsdurchtritt W (Radiation). Dieses Leistungskriterium bezieht sich auf die Eigenschaft eines Bauteils, im Brandfall den Strahlungsdurchtritt zu verhindern (Warum das Kürzel „W“ lautet, bleibt allerdings rätselhaft. Wahrscheinlich, weil das „R“ schon vergeben war:)
- Stoßbeanspruchung M (Mechanical). Hier geht es um die Eigenschaft, auch im Brandfall noch widerstandsfähig gegen mechanische Einwirkungen zu sein.
Die ersten drei Kriterien finden sich auch in der DIN 4102, die beiden anderen gibt es nur in der europäischen Norm. Der Unterschied ist allerdings, dass die deutschen Feuerwiderstandsklassen nicht zwischen den verschiedenen Leistungskriterien differenzieren. Beispiel: Eine Wand, bei der sich im Brandfall die Temperatur auf der vom Feuer abgewandten Bauteilseite nach 30 Minuten erhöht, wird der Feuerwiderstandsklasse F30 zugeordnet – auch dann, wenn sie bei den Kriterien Tragfähigkeit und Raumabschluss eine viel höhere Widerstandsdauer aufweist.
Die Klassifizierung nach DIN EN 13501 dagegen erlaubt es, die verschiedenen Leistungskriterien auch isoliert zu betrachten. Bleibt eine Wandkonstruktion im Brandfall bis zu 100 Minuten standsicher, so kann man sie mit dem Kürzel R 90 klassifizieren, auch wenn der Raumabschluss schon nach 70 Minuten versagt und die Wärmedämmung bereits nach 40 Minuten. Zugleich gilt für dieselbe Wand aber auch das Kürzel RE 60 – wenn man Tragfähigkeit und Raumabschluss gemeinsam bewertet. Und REI 30 heißt die Feuerwiderstandsklasse, wenn man auch noch die Wärmedämmung mit berücksichtigt.
Wer Lust hat, kann ja mal ausrechnen, wie viele unterschiedliche Feuerwiderstandsklassen eigentlich dabei herauskommen, wenn man alle möglichen Kombinationen aus den neun Zeitangaben und den fünf Leistungskriterien der europäischen Norm berücksichtigt. Fazit: Das System der DIN EN 13501 ist durchaus logisch und sehr genau – aber auch verdammt kompliziert.