
Bei 45% aller Bauschäden liegen die Ursachen in der praktischen Ausführung.
Pfusch: Alarmierende Bilanz auf Deutschlands Baustellen
Bauschäden durch falsche Gebäudeplanung und -ausführung haben in Deutschland dramatisch zugenommen. Zugleich sind die durchschnittlichen Schadenssummen stark gestiegen. Das ergab eine Studie von Bauherren-Schutzbund und Institut für Bauforschung Hannover in Zusammenarbeit mit dem Haftpflichtversicherer AIA AG.
Die 2015 erschienene „Analyse der Entwicklung der Bauschäden und Bauschadenskosten“ betrachtet den Zeitraum von 2002 bis 2013 und kommt zu dem Ergebnis, dass sich in diesen elf Jahren die durchschnittliche Schadensumme bei Bauschäden mehr als verdoppelt hat: von durchschnittlich 33.000 Euro im Jahr 2002 auf 67.000 Euro im Jahr 2013.
Rasanter Anstieg
Zugleich schoss auch die Anzahl der Versicherungsschäden in die Höhe. Vergleicht man 2002 mit 2013, dann ergibt sich eine Zunahme der jährlichen Versicherungsschadensfälle am Bau von sage und schreibe rund 450%! Nur 2009 und 2011 sanken die Fälle vorrübergehend auch mal, insgesamt zeigt die Schadenskurve im Betrachtungszeitraum aber steil nach oben.
Zu ähnlich alarmierenden Ergebnissen kam zuvor schon eine andere Studie, die der Bauherren-Schutzbund e.V. im Jahr 2012 veröffentlicht hatte. Für die Analyse „Bauqualität beim Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern“ wurden 800 Baustellenkontrollen bei 100 Neubauvorhaben von Ein- und Zweifamilienhäusern aus den Jahren 2009 bis 2011 untersucht. Erschreckende Bilanz: Dabei wurden durchschnittlich 18 gravierende Baumängel pro Bauvorhaben dokumentiert.
Versicherer-Daten ausgewertet
Die Ergebnisse der jüngsten Studie von 2015 basieren auf der Auswertung von insgesamt 4.800 Haftpflichtschäden, die zwischen 2002 und 2013 bei der AIA AG gemeldet wurden. Bei all diesen Fällen ging es um die Regulierung von Bauschäden. Sie repräsentieren eine Gesamtschadenssumme von etwa 215 Millionen Euro und wurden von Bauschaffenden – vor allem Architekten, Bauingenieure und Bauträger – gemeldet, die bei der AIA AG eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen haben.
Nach Angaben der Verfasser der Studie sind die 4.800 Haftpflichtschäden durchaus repräsentativ für die Entwicklung der Bauschadenzahlen in Deutschland insgesamt. Die Untersuchung basiere auf einer „außerordentlich breiten Datenbasis“, die über den gesamten Untersuchungszeitraum eingeflossen sei.
Übrigens hat sich die Anzahl der berufshaftpflichtversicherten Bauschaffenden bei der AIA AG im Betrachtungszeitraum nicht wesentlich verändert. Die beobachtete Zunahme der Bauschäden hängt also nicht damit zusammen, dass die Versicherung im Laufe der Zeit einfach mehr Versicherungsnehmer betreut hat. Ebenso wenig ist der enorme Anstieg der Schadensfälle mit einer allgemeinen Zunahme der Bautätigkeit zu erklären. Im Gegenteil: Die Bautätigkeit in Deutschland war von 2002 bis 2010 rückläufig – erst seit 2011 ist wieder ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Wie es in der Studie heißt, wuchs der Branchenumsatz von 2002 bis 2013 aber lediglich um etwa 11% – also weitaus schwächer als die Anzahl der Bauschäden.
Schadensursachen

Die luftdichte Gebäudehülle erfordert genaueste Detailarbeit und ist daher fehleranfällig. Fotos: Bauherren-Schutzbund e.V.
Was aber hat die Bauschadensfälle so dramatisch ansteigen lassen? Die Studie verweist unter anderem auf die zunehmende Komplexität moderner Bauprojekte – etwa durch die stetig gestiegenen Anforderungen der Energieeinsparverordnung oder auch durch verschärfte Schallschutzvorschriften im Wohnungsbau. Die neuen Zielvorgaben sorgen für bessere Gebäude – wenn bei der Ausführung nichts schiefgeht –, aber sie machen das Bauen auch komplizierter und damit fehleranfälliger. Und manchmal schaffen sie auch ganz neue Schadenskategorien. „Unzureichende Luftdichtigkeit“ etwa ist ein Schadensfall, den es überhaupt erst gibt, seit die Energieeinsparverordnung die Luftdichtheit der Gebäudehülle für Neubauten vorschreibt.
Viele Bauschäden entstehen laut Studie auch durch Kommunikationsdefizite unter den beteiligten Akteuren. Oft gibt es einfach zu wenig Abstimmung zwischen den verschiedenen, beim Hausbau involvierten Gewerken. Das gilt für die Planungsphase ebenso wie für die Arbeit auf der Baustelle selbst. Fachkräftemangel und der Kostendruck am Bau begünstigen außerdem den Einsatz von Subunternehmern mit nur gering qualifizierten Beschäftigten. Wenn für komplexer werdende Aufgaben aber keine richtigen Fachleute eingesetzt werden, sind Fehler natürlich vorprogrammiert.
Die häufigsten Schadensbilder
Auch über die häufigsten Schadensbilder gibt die Studie Aufschluss. Demnach haben zwischen 2002 und 2013 Bauschäden in den Bereichen Wärmedämmung und Haustechnik am stärksten zugenommen. Überdurchschnittlich viele Schäden bezogen sich ferner auf die Bereiche Gebäudeabdichtung gegen Feuchtigkeit, Luftdichtheit der Gebäudehülle sowie Brand- und Schallschutz. Immer häufiger kommt es zudem zu Schadensbildern, bei denen gleichzeitig verschiedene Bauteile betroffen sind. Auch das ist eine Folge der zunehmend komplexen Bauprozesse, bei denen sich Fehler an einer Stelle auch auf andere Gewerke auswirken.
Wer sind die Verursacher?
Schließlich gibt die „Analyse der Entwicklung der Bauschäden und Bauschadenskosten“ auch Auskunft darüber, an welchen Stellen des Prozesses eigentlich die meisten Fehler verursacht werden. Demnach werden 21% der Bauschäden durch Planungsfehler und 25% durch Bauleitungsfehler verursacht. In 45% der gemeldeten Versicherungsfälle wurde der Schaden allerdings durch eine falsche Ausführung auf der Baustelle verursacht. Nur 6% der Schäden gehen dagegen auf Materialfehler zurück. Und bei 3% gibt die Studie „unvorhergesehene Ereignisse“ als Ursache an.