RM Rudolf Müller
Herkömmlicher PU-Hartschaum (hier im Puren-Werk Überlingen) enthält petrobasiertes Anilin.  Foto: Grimm

Herkömmlicher PU-Hartschaum (hier im Puren-Werk Überlingen) enthält petrobasiertes Anilin.  Foto: Grimm

Dämmstoffe
25. April 2023 | Artikel teilen Artikel teilen

Polyurethan: Anilin ohne Erdöl?

Polyurethan (PU) kommt im Bauwesen unter anderem für Hartschaum-Dämmplatten und Bauschaum zum Einsatz. Bisher wird der Kunststoff aus petrochemischen Rohstoffen gewonnen. Das gilt auch für den PU-Baustein Anilin. Doch das könnte sich bald ändern. Der Werkstoffhersteller Covestro will Anilin künftig auf Basis pflanzlicher Biomasse herstellen. In einem Forschungsprojekt wurden erste Prozessschritte bereits erfolgreich im industriellen Maßstab getestet.

Der Kunststoff Polyurethan wird aus den Verbindungen Methylendiisocyanat (MDI) und Polyol hergestellt. Beide Vorprodukte gewinnt man in mehreren Zwischenschritten aus Erdöl. Bei MDI besteht einer dieser Zwischenschritte in der Erzeugung von Anilin. Auch diese Chemikalie wird bislang fast ausschließlich auf Basis von Erdöl hergestellt. Dass es auch anders geht, zeigt der Leverkusener Werkstoffhersteller Covestro. Das 2015 aus der ehemaligen Kunststoffsparte der Bayer AG hervorgegangene Unternehmen ist auf dem besten Wege, biobasiertes Anilin aus zuckerhaltigen Pflanzen herzustellen.

Dreiteiliges Forschungsprojekt

Die Grafik zeigt die herkömmliche PU-Herstellung (A) sowie das neue biobasierte Verfahren (B). Quelle: Schlussbericht Bio4PURPro

Die Grafik zeigt die herkömmliche PU-Herstellung (A) sowie das neue biobasierte Verfahren (B). Quelle: Schlussbericht Bio4PURPro

Das Portfolio von Covestro umfasst auch Vorprodukte zur Herstellung von PU-Schaumstoffen. In diesem Zusammenhang produziert der Konzern jedes Jahr rund 1 Mio. Tonnen Erdöl-basiertes Anilin und gehört damit zu den weltweit größten Herstellern des Stoffes, der auch unter dem Namen Benzenamin bekannt ist.

Seine jüngsten Forschungsaktivitäten zur Entwicklung von biobasiertem Anilin hat Covestro im Rahmen der Projekte Bio4PUR (2016–2019) und Bio4PURPro (2019–2022) betrieben. Der im Dezember erschienene Schlussbericht zum letztgenannten Projekt steht hier als kostenloser Download zur Verfügung. Beide Projekte wurden vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) finanziell unterstützt.

Bereits vor dem ersten Förderprojekt gelang es Covestro mithilfe weiterer Forschungspartner, im Labor einige Gramm biobasiertes Anilin aus zuckerhaltigen Pflanzen wie Zuckerrüben und Zuckerrohr herzustellen. Die entwickelte Methode umfasst zwei Schritte: Zunächst wird eine aus den Pflanzen gewonnene Zuckerlösung mithilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen zum Anilin-Vorprodukt Aminobenzoesäure verarbeitet (biokatalytische Konversion). Im Anschluss an diesen Fermentationsprozess wird aus der Aminobenzoesäure (Aminobenzoat) unter Hitzeeinwirkung Anilin gewonnen (chemokatalytische Konversion).

In den beiden abgeschlossenen Forschungsprojekten wurde das Verfahren weiter optimiert. Im aktuell noch laufenden Vorhaben Bio4PURDemo (2022–2025) geht es nun um die Überführung in den großtechnischen Maßstab.

Keine Qualitätseinbußen

Dieser PU-Schaum (grün eingefärbt) enthält MDI aus biobasiertem Anilin. Quelle: Schlussbericht Bio4PURPro

Dieser PU-Schaum (grün eingefärbt) enthält MDI aus biobasiertem Anilin. Quelle: Schlussbericht Bio4PURPro

Im Rahmen des 2022 abgeschlossenen Projekts Bio4PURPro gelang es Covestro zusammen mit fünf Partnern, erste Teilschritte des Prozesses im industriellen Maßstab zu betreiben. Man konnte mehrere Tonnen des zentralen Anilin-Vorproduktes produzieren. Der eingesetzte Mikroorganismus wurde signifikant verbessert, was sich positiv auf die biokatalytische Konversion und deren Output an Aminobenzoesäure auswirkte. Die Prozessschritte Fermentation und Aufreinigung laufen nun bereits im industriellen Maßstab.

Aus dem biobasierten Anilin-Vorprodukt konnten die Forschenden erfolgreich Anilin herstellen und dieses zum Polyurethan-Vorprodukt MDI weiterverarbeiten. Das ohne Erdöl-Vorprodukte hergestellte Anilin wurde anschließend auch in typischen Polyurethan-Anwendungen wie Isolier-Dämmstoff, viskoelastischen Schaum und als Betonbeschichtung erfolgreich getestet. Verschiedene Tests zeigten, dass die neuen biobasierten Materialen bei ihren Eigenschaften gleichauf liegen mit den etablierten petrochemischen Pendants.

Das von Covestro entwickelte Verfahren funktioniert übrigens nicht nur mit Zuckerrüben oder Zuckerrohr. Auch Stärke enthaltende Pflanzen wie Mais, Weizen und Roggen oder die Lignozellulose aus Stroh, Holz und Bagasse kommen dafür grundsätzlich infrage.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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