RM Rudolf Müller
Brandriegel aus Mineralwolle

Mineralwolle-Brandriegel verhindern bei WDVS aus Polystyrol-Hartschaum effektiv eine Brandausbreitung über die Fassade.

Dämmstoffe
14. November 2013 | Artikel teilen Artikel teilen

Das Brandverhalten von WDVS mit Polystyrol-Hartschaum

Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS) mit Polystyrol-Hartschaum als Dämmstoff wurden in den Medien zuletzt oft in recht reißerischer Form kritisiert. Der Vorwurf: Der Kunststoffschaum begünstige bei einem Raumbrand die geschossübergreifende Brandausbreitung über die Fassade in andere Gebäudebereiche. Die zuständigen Industrieverbände betonen dagegen, dass solche WDVS einen ausreichend langen Feuerwiderstand bieten, solange die Verarbeitung fachgerecht ausgeführt und die vorgeschriebenen baulichen Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden.

Zunächst einmal stimmt es, dass Polystyrol-Hartschaum (EPS oder XPS) ein leicht entflammbares Material ist, das zudem im Brandfall starke Rauchgase entwickelt. Genau aus diesen Gründen wird es allerdings beim Einsatz in WDVS-Fassaden nicht in Reinform verwendet, sondern nur versetzt mit Flammschutzmitteln. Diese sorgen dafür, dass der Dämmstoff – meist kommt EPS zum Einsatz – zumindest die Baustoffklasse B1 („schwer entflammbar“) erreicht.

In einer Informationsbroschüre des Industrieverband Hartschaum (IVH) von 2009 heißt es dazu: „Flammgeschützter EPS-Hartschaum schrumpft bei kurzer Einwirkung einer Zündflamme (…) ohne entflammt zu werden. Erst bei längerer Einwirkung einer Zündquelle auf geschmolzenes Material kann eine Entflammung eintreten, jedoch ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Flammen unter dieser Einwirkung gering und das Brandgeschehen auf die Oberfläche des Schaumstoffs begrenzt. (…) Nur unter dem unmittelbaren Einfluss anderer brennbarer Stoffe mit brandsicherheitlich ungünstigerem Verhalten beziehungsweise in einem Vollbrand mit extrem hoher Wärmeentwicklung verbrennt auch schwerentflammbares EPS vollständig.“

Anforderungen an WDVS

Wenn ein Raumbrand nicht rechtzeitig gelöscht wird, kommt es nach durchschnittlich acht bis zwölf Minuten wegen der sich entwickelnden Rauchgase zu einem Vollbrand der Wohnung, der in der Regel auch die Fensterscheiben sprengt. Gebäudefassaden müssen daher so konstruiert sein, dass sie eine geschossübergeifende Brandausbreitung möglichst lange verhindern, sodass für die Feuerwehr genügend Zeit für Anfahrt und Brandlöschung bleibt. Das gilt auch WDVS-Fassaden.

Bei Häusern, die höher als 22 m sind, muss ein WDVS nach DIN 4102 grundsätzlich die Baustoffklasse A („nicht brennbar“) erfüllen. Bei solchen Gebäuden ist daher Polystyrol-Hartschaum als Fassadendämmstoff nicht erlaubt, stattdessen sind nicht brennbare Materialien wie Mineralwolle einzusetzen. Bei Häusern zwischen sieben und 22m Höhe reicht nach der DIN ein WDVS der Baustoffklasse B1 – bei Gebäuden bis 7m Höhe sogar B2 („normal entflammbar“).

Für diese Einstufung werden WDVS, die ja aus mehreren Schichten bestehen (Kleber, Dämmstoff, Armierung, Putz) in ihrer Gesamtheit als ein Baustoff betrachtet. Das ist auch sinnvoll, denn das Brandverhalten von WDVS hängt schließlich nicht nur vom Dämmstoff ab, sondern auch von der Dicke und Zusammensetzung der Putz- und Klebermaterialien. Auch die Beschaffenheit von Dübeln (meist aus Kunststoff) und der Gewebearmierung spielt eine Rolle. Deshalb werden selbst „rein mineralische“ WDVS – mit Mineralwolle und mineralischen Putzen – nur in die Baustoffklasse A2 („mit brennbaren Bestandteilen“) eingestuft.

Sturzschutz oder Brandriegel

Sturzschutz und Brandriegel im Vergleich

Sturzschutz und Brandriegel sind gleichrangige Alternativen, die denselben Zweck erfüllen. Foto und Grafik: FV WDVS

Das Brandverhalten eines WDVS wird zudem von zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen beeinflusst, insbesondere von der Ausführung des WDVS im Bereich von Fassadenöffnungen. Auch hier gibt es bei mehrgeschossigen Gebäuden zusätzliche Auflagen, wenn Polystyrol-Hartschaum als Dämmstoff eingesetzt wird. So war bei einer Dämmschicht von mehr als 100 mm Dicke schon immer ein so genannter Sturzschutz vorgeschrieben. Das heißt, der Verarbeiter musste oberhalb jeder Fassadenöffnung – also vor allem der Fenster – einen Streifen aus nichtbrennbarem Dämmstoffmaterial in die Kunststoffschaum-Schicht integrieren. Seit ein paar Jahren ist als Alternative zum Sturzschutz auch die Anbringung eines „Brandriegels“ bauaufsichtlich zugelassen. Dieser wird rund um das Gebäude herum als horizontale, durchgängig umlaufende Unterbrechung der Polystyrol-Dämmung oberhalb von jedem zweiten Gebäudegeschoss eingebaut. Brandschutztechnisch ist er nicht sicherer als der Sturzschutz, für den Handwerker aber wesentlich einfacher auszuführen (siehe Grafik).

Ob nun Sturzschutz oder Brandriegel: Beide sichern im Rahmen des Brandschutzes das Ziel, dass das Feuer nicht auf höhere Geschosse überspringt und dort Räume in Brand setzt. Dass bei dauerhafter Beflammung aus einem Fenster heraus oder bei einem anhaltenden Brand am Gebäudefuß jede Fassade mit Polystyrol-Hartschaum irgendwann schmilzt und in Brand gerät bestreitet niemand. Allerdings kann es nicht das Ziel des baulichen Brandschutzes sein, grundsätzlich zu verhindern, dass Baumaterialien Schaden nehmen. Selbst bei einer einfach verputzten Steinwand – ganz ohne Dämmung – werden nach einer Beflammung anschließend sicher neue Putzarbeiten und ein neuer Anstrich erforderlich sein.

Stellungnahme der Industrieverbände

Auch bei einem WDVS mit flammgeschütztem Polystyrol-Hartschaum geht es deshalb primär darum, dass die Brandausbreitung effektiv verzögert und lokal begrenzt wird. Dass anschließend Teile der WDVS-Fassade erneuert werden müssen, versteht sich im Grunde von selbst. In einer gemeinsamen Stellungnahme zu dem Thema haben der Industrieverband Hartschaum (IVH) und der Fachverband Wärmedämm-Verbundsysteme (FV WDVS) Anfang 2012 zudem darauf hingewiesen, dass Polystyrol-Hartschaum in einem WDVS vollflächig umhüllt sei von einer in der Regel nicht brennbaren mineralischen Putzschicht. „Bereits bei einer Dicke von 4 mm halten derartige Putzschichten einer einseitigen Voll-Brandbeanspruchung (Flammen vor der Fassade) über mindestens 30 Minuten stand, ohne sich zu öffnen“, heißt es in der Stellungnahme.

Als Fazit haben sich IVH und FV WDVS in ihrer Stellungnahme darauf festgelegt, dass „bauaufsichtlich zugelassene WDVS unter Verwendung von flammgeschütztem Polystyrol-Hartschaum im Brandfall an Fassaden bei anwendungsgerechter Ausführung zusätzlicher Brandschutzmaßnahmen (dort wo erforderlich) zu keinen erhöhten Risiken führen“.



Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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